Alter Streit um Metoprolol Succinat

AOK vs. Apothekerin: „Nur“ 1000 Euro Strafe für falsche PZN

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Berlin -

Eine Apothekerin muss 1000 Euro Vertragsstrafe an die AOK Baden-Württemberg zahlen. Das hat das Landessozialgericht (LSG) entschieden und damit einen jahrelangen Streit um falsch abgerechnetes Metoprolol Succinat beendet. Das Gericht sah zwar ein Verschulden bei der Apothekerin, kürzte die Forderungen der Kasse aber deutlich ein. Revision zum Bundessozialgericht (BSG) wurde nicht zugelassen, das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

Der Streit geht zurück auf seinerzeit neu gestarteten Rabattverträge der AOK im Juni 2011. Für Metoprolol Succinat hatte der Hersteller Betapharm den Zuschlag erhalten. Weil es aber bis kurz vor dem Start der Verträge gerichtliche Auseinandersetzungen über die Vergaben gegeben hatte, war Betapharm zu Beginn nicht lieferfähig. Da überhaupt keine Ware im Umlauf war, fiel bei der AOK sofort auf, dass etliche Apotheken – es sollen 1200 gewesen sein – den Rabattpartner auf das Rezept druckten, obwohl sie augenscheinlich etwas anderes abgegeben hatten. Die Kasse ging massiv dagegen vor, stellte gegen einige Apotheker sogar Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaften stellten die Ermittlungsverfahren allerdings ein.

Die AOK teilte dem Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) im Juli 2012 zudem mit, Verwarnungen gegen besonders auffällige Apotheken auszusprechen und gegen zehn von ihnen zusätzlich Vertragsstrafen zu verhängen. Die Betroffenen hatten in den beiden fraglichen Monaten nach Angabe der Kasse zwischen 37 und 120 Packungen fehlerhaft abgerechnet. Auch die beklagte Apothekerin soll in 44 Fällen falsch abgerechnet haben und daher 9200 Strafe zahlen.

Die Apothekerin wehrte sich über ihren Verband gegen die geforderte Strafzahlung. Diese hielt man beim LAV in Art und Höhe weder für verhältnismäßig, angemessen noch gerechtfertigt. Man traf sich vor Gericht und hier ging es maßgeblich um drei Fragen: Kann eine Kasse über eine sogenannte Leistungsklage von der Apotheke eine Vertragsstrafe fordern oder ist hierzu ein Verwaltungsakt notwendig? Hat sich die AOK ausreichend mit dem LAV ausgetauscht, bevor die Strafe verhängt wurde? Und schließlich: War die geforderte Strafe der Höhe nach angemessen?

Die Kasse hatte nämlich eine nochmalige Abstimmung mit dem LAV abgelehnt und von der Apothekerin die Zahlung einer Vertragsstrafe von nunmehr 6560 Euro gefordert. Die Falschabrechnungen in 44 Fällen seien eine schwerwiegende Pflichtverletzung, das Vertrauensverhältnis sei schwer und nachhaltig beschädigt worden. Die noch geltende Friedenspflicht wegen der Nichtlieferfähigkeit der Medikamente ließ die Kasse als Entschuldigung nicht gelten. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und die AOK hatten sich wegen der Lieferengpässe darauf verständigt, dass bis Ende August 2011 keine Retaxierungen bei Nichtbeachtung der Rabattverträge ausgesprochen werden sollten.

Die Apothekerin trug vor, dass der Kasse maximal ein Schaden von 18,92 Euro entstanden sei. Von einer Manipulation der Abrechnung könne keinesfalls gesprochen werden. Dies habe auch die Staatsanwaltschaft so beurteilt, die das Ermittlungsverfahren eingestellt hatte. Es handle sich um eine Bagatellsache. Die Apothekerin erklärte, sie habe seinerzeit noch mit einer alten Computersoftware gearbeitet, die die vorgelegten Kassenrezepte mit der PZN bedruckt habe, bevor die Verfügbarkeit überprüft worden sei.

Im September 2013 klagte die Kasse vor dem Sozialgericht Mannheim (SG). Im Januar 2015 wurde die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Kasse hätte ihre Forderung demnach durch einen Verwaltungsakt festsetzen sollen. Die Forderung der Vertragsstrafe sei unabhängig davon unbegründet, denn es gebe gar keine wirksame vertragliche Vereinbarung für eine Vertragsstrafe in der geforderten Höhe. Und schließlich fehle das notwendige „Benehmen“ – also eine Abstimmung – mit dem LAV.

Das LSG wies die Berufung der Kasse schon im September 2016 Berufung zurück. Die AOK gab sich noch nicht geschlagen, ging in Revision und erzielte beim Bundessozialgericht im Juni 2017 einen Teilerfolg. Das Urteil der Vorinstanz wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Die Klage sei nämlich zulässig. Das LSG sollte also noch die Frage der Abstimmung mit dem LAV klären sowie die Verhältnismäßigkeit der geforderten Strafe.

Also nahm das LSG sich der Sache erneut an, der Versuch einer gütlichen Einigung scheiterte hier abermals. Die AOK sah sich im Recht: Mehrfach habe der damalige Vize und Rabattvertragschef Dr. Christopher Hermann sich mit Vertretern des LAV in der Sache ausgetauscht. Die Strafe sei angesichts des „groben und systematischen Verstoßes“ auch angemessen, sie betrage zudem nur 0,37 Prozent des von der Apotheke mit der Kasse erzielten Jahresumsatzes.

Das LSG kam bei nochmaliger Prüfung zu dem Schluss, dass die Kasse eine Vertragsstrafe verhängen durfte. Das Gericht bezog sich dabei auf den Rahmenvertrag, der für die „sanktionsfähigen Pflichtverletzungen“ wiederum auf den Arzneiliefervertrag (ALV) verweist. Zu den „schweren Verstößen“ zählt hier die „Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen“. Die Kassen dürfen demnach Vertragsstrafen bis zu 25.000 Euro verhängen.

Die von der Kasse in diesem Fall geforderte Vertragsstrafe von 6560 Euro erschien dem LSG aber als unverhältnismäßig. Zwar falle zu Lasten der Apothekerin ins Gewicht, dass sie grob fahrlässig gehandelt habe, da Lieferengpässe seit Einführung der Rabattverträge als Problem vor allem bei Beginn der Laufzeit bekannt gewesen seien. Die Apothekerin hätte also ihre Arbeitsabläufe anpassen und das Team sensibilisieren müssen. Auf eine Mitschuld der AOK durch die Meldung der Rabattarzneimittel in Kenntnis möglicher Lieferschwierigkeiten könne sich die Apotheke nicht berufen, so die Richter.

Zugunsten der Apothekerin sei aber zu berücksichtigen, dass die Pflichtverstöße nicht vorsätzlich begangen wurden. Auch sei zu keinem Zeitpunkt die Gesundheit der Versicherten gefährdet gewesen. Und drittens wiege der bei der AOK verursachte wirtschaftliche Schaden mit 18,92 Euro nun wirklich nicht schwer. Bei den 44 falschen Abgaben handele es sich gleichartige Verstöße, was der von der Kasse vorgesehenen Bestrafung im Einzelfall entgegenstehe. Zu berücksichtigen sei zudem, dass die Konfrontation mit dem später eingestellten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Betruges „für die Beklagte allgemein emotional belastend“ gewesen sei.

Nach alldem hält das Gericht eine Vertragsstrafe von 1000 Euro für angemessen. Weil die AOK einen viel höheren Betrag zu Unrecht gefordert hat, laufen auch ihre Zinsforderungen ins Leere. Und sie muss nun die Hälfte aller Prozesskosten tragen, die auf jeden Fall im fünfstelligen Bereich liegen dürften. Dafür hat sie das Recht erstritten, Vertragsstrafen zu verhängen.

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