Verjährungsfrist

AOK verklagt Apotheker

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Berlin -

Mindestens eine Kasse wird noch in diesem Jahr Apotheken verklagen, um die Verjährung möglicher Ansprüche zu stoppen. In den vergangenen Wochen hatten mehrere Kassen von Apothekern entsprechende Verzichtserklärungen gefordert. Die AOK Hessen wird nach Informationen von APOTHEKE ADHOC ernst machen und Klage gegen Apotheker einreichen, die die Erklärung nicht unterschrieben haben. Steuerexperten sehen allerdings kaum eine Chance für die Kassen, mit ihren Forderungen durchzudringen.

Die AOKen aus Hessen, Niedersachsen, Rheinland/Hamburg und Sachsen-Anhalt sowie die IKK gesund plus und die IKK Südwest hatten Apotheken angeschrieben und den Verzicht auf die Einrede der Verjährung bei der umsatzsteuerlichen Behandlung von Herstellerabschlägen gefordert. Das Finanzgericht Münster hatte – allerdings schon im März – entschieden, dass Kassen keine Umsatzsteuer auf Herstellerabschläge bezahlen müssen. Die letztinstanzliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) steht noch aus, die Kassen fürchten zum Jahreswechsel eine Verjährung etwaiger Rückforderungsansprüche gegenüber den Apothekern.

Wenn die Apotheken die geforderte Verzichtserklärung nicht abgeben, bleibt den Krankenkassen nur eine Möglichkeit, den Eintritt der Verjährung zu hemmen: Sie müssen die Apotheken verklagen – und haben diesen Schritt teilweise auch schon angekündigt. Dem Vernehmen nach wurde der heutige 23. Dezember im Vorfeld als Datum auserkoren, an dem die Klagen bei den Sozialgerichten anhängig gemacht werden sollen.

Die AOK Hessen erklärte auf Nachfrage von APOTHEKE ADHOC: „In der Tat hat die AOK Hessen die von Ihnen genannten Verzichtserklärungen versandt und wird Klage gegen jene Apotheken einreichen, die die Erklärungen nicht unterzeichnen. Unsere Rechtsauffassung in dieser Angelegenheit sehen wir durch verschiedene Gerichtsurteile zu diesem Thema bestätigt.“ Gemeint sind neben dem Urteil des FG Münster zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundessozialgerichts (BSG), deren Übertragbarkeit auf niedergelassene deutsche Apotheken von Steuerberatern allerdings erheblich angezweifelt wird.

Die AOK Hessen hat laut einem Sprecher dennoch keine andere Wahl, als die Apotheker zu verklagen: „Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind wir verpflichtet, alles Vertretbare zur Sicherung von Einnahmen zu tun, da es sich um Beitragsgelder handelt.“ Man habe im Vorfeld alle wesentlichen Partner wie den Hessischen Apothekerverband (HAV) und auch die Treuhand Hannover über das Vorgehen informiert.

Die AOK Niedersachsen wird offenbar ebenfalls klagen – ohne das auf Nachfrage wörtlich zu benennen. Hier heißt es: „Die Treuhand hat den von ihnen steuerlich beratenen Apotheker empfohlen, die Verjährungsverzichtserklärungen zu unterzeichnen. Entsprechend verzeichnen wir einen guten Rücklauf bei den Verjährungsverzichtserklärungen.“ Die Steuerberatungsgesellschaft habe man im Vorfeld ebenso informiert wie Apothekerkammer und -verband. Abschließend folgt auch hier der Verweis auf die unausweichlichen Pflichten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und die Beitragsgelder der Versicherten.

Bei der AOK Rheinland/Hamburg ist man sich noch nicht sicher, ob man den Weg vor Gericht wählt: „Bei dem von Ihnen beschriebenen Sachverhalt handelt es sich um ein laufendes Verfahren, im Rahmen dessen wir kurzfristig entscheiden werden, ob wir aus Gründen der Fristwahrung Klagen einreichen werden.“ Auch hier der Verweis auf die eigene Zwangslage: „Als gesetzliche Krankenkasse sind wir verpflichtet, mögliche Ansprüche für das Jahr 2015 gegenüber den Apotheken zu sichern.“

Die Kassen verweisen auf drei Urteile. Im Verfahren vor dem FG Münster ging es um ausländische Versandapotheken. Das Gericht entschied, dass die Krankenkassen keine Umsatzsteuer auf Herstellerabschläge bezahlen müssen. Die jetzt aktiv gewordenen Kassen gehen davon aus, dass sich der Sachverhalt auf deutsche Apotheken übertragen lässt, wenn der BFH die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt.

Die AOK Sachsen-Anhalt hat zwar noch kein offizielles Statement abgegeben, nach Aussage von Steuerberatern aber in Apotheken angerufen und nachgehakt, ob die Inhaber denn nun die geforderte Verzichtserklärung abgeben werden. Die Kasse war die erste AOK, die auf Apotheken zugegangen war. Angefangen hatte die IKK gesund plus mit Sitz in Magdeburg, von der eine aktuelle Stellungnahme über das weitere Vorgehen ebenfalls noch aussteht.

Zwischenzeitlich sind allerdings erhebliche Zweifel an den Forderungen der Krankenkassen laut geworden. Die Treuhand Hannover und andere Steuerberater empfehlen, die Erklärung auf jeden Fall auf die änderbaren Steuerfestsetzungen 2015 zu beschränken. Und die Steuerberater der Kanzlei Schneider + Partner warnen sogar davor, die Verzichtserklärung wie von den Kassen gefordert abzugeben, „da sie sachlich mehrfach unrichtig ist“: „Ein Einspruch gegen Umsatzsteuerbescheide der Vorjahre wäre unzulässig, da verfristet.“ Die Steuerberater sehen zudem überhaupt keinen Sinn in der Forderung, da die steuerliche Belastung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem BFH für die Kassen exakt gleich wäre. „In der Summe bleibt die Gegenleistung nach jetziger Handhabung unverändert“, so Scheider + Partner. Die Kanzlei hat dazu eine Beispielrechnung vorgelegt.

Tatsächlich ist auffällig, dass die allermeisten Kassen, darunter große AOK und sämtliche Ersatzkassen, keine entsprechenden Forderungen stellen. Die Einschätzung des GKV-Spitzenverbands gegenüber APOTHEKE ADHOC: „Einen Anspruch der Krankenkassen auf entsprechende Rückzahlungen und darauf, dass Apotheken ihre Umsatzsteuersachverhalte in diesem Zusammenhang offen halten, gibt es bisher nicht. Etwas anderes ist, im Rahmen der laufenden Vertragsbeziehungen auf den Vertragspartner zuzugehen und darum zu bitten, dass die Apotheken die Umsatzsteuerbescheide offen lassen. Das machen auch bereits einige Krankenkassen. Jede Kasse wird und muss hier ihren eigenen Umgang mit der Thematik finden.“

Vom Deutschen Apothekerverband (DAV) war auch knapp vier Wochen nach Bekanntwerden des Problems und trotz mehrfacher Nachfragen keine Einschätzung zu dem Thema zu bekommen. Die Landesapothekerverbände (LAV) haben sich – mit Ausnahme des HAV – zurückhaltend geäußert und meist an die Steuerberater der Apotheker verwiesen.

Spätestens wenn den Apothekern jetzt tatsächlich Klagen ins Haus flattern, ist auch ein Anwalt hinzuzuziehen. Allerdings steht zu erwarten, dass auch die Sozialgerichte die Verfahren aussetzen würden, bis der BFH entschieden hat – sofern die Klagen überhaupt angenommen werden.

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