Hartmannbund

Ärzte streiten über Fernbehandlung

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Berlin -

Im Mai will der Deutsche Ärztetag das Fernbehandlungsverbot kippen. Dazu soll die Berufsordnung geändert werden. Dann wäre der Weg frei für Telesprechstunden, auch wenn der Arzt den Patienten nicht persönlich kennt. Doch jetzt regt sich Widerstand dagegen. In einer Umfrage des Hartmannbundes lehnten eine klare Mehrheit der Ärzte Fernbehandlungen ab.

Als einen „deutlichen Fingerzeig“ hat der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, dieses Ergebnis gewertet. Rund 60 Prozent der über 3800 Umfrageteilnehmer hatten sich skeptisch gegenüber Plänen der Bundesärztekammer geäußert, auf dem Deutschen Ärztetag in Erfurt das Fernbehandlungsverbot weiter zu lockern. „Das Ergebnis zeigt – vor allem auch mit Blick auf zahlreiche Kommentierungen der Teilnehmer – dass es nicht nur zum Thema Digitalisierung im Allgemeinen, sondern offenbar ganz konkret auch zur Online-Behandlung noch ein hohes Maß an Diskussions- und Aufklärungsbedarf gibt“, sagte Reinhardt.

62 Prozent der befragten Ärzte sagten, mit Fernbehandlungen werde „eindeutig eine Grenze überschritten und wir sind gut beraten, dies auch deutlich zu machen“. Die Ablehnung der Fernbehandlung war bei niedergelassenen Ärzten mit 69 Prozent am größten vor den Klinikärzten mit 61 Prozent. Etwas offener zeigten sich die Medizinstudierenden: Hier lehnten „nur 58“ Prozent die Fernbehandlung ab.

Gerade diejenigen, die vor allem auch an die Chancen der Digitalisierung glaubten und an die Unvermeidlichkeit, sich dieser Entwicklung aktiv zu stellen, müssten alle Anstrengungen unternehmen, sich mit berechtigten Einwänden und Bedenken der Kollegen auseinanderzusetzen. Dies dürfe angesichts der Dynamik der Entwicklung allerdings nicht auf die lange Bank geschoben werden, wollten Ärzte Mitgestalter sein und nicht Getriebene. „Die Politik sitzt uns im Nacken“, sagte Reinhardt – nicht zuletzt mit Hinweis auf entsprechende Ankündigungen von Gesundheitsminister Jens Spahn.

Reinhardt: „Wir werden deshalb diese Ergebnisse mitnehmen in unsere Verbandsgremien, aber auch in den Vorstand der Bundesärztekammer. Wir müssen die Zeit bis zum Deutschen Ärztetag intensiv nutzen, um die Kolleginnen und Kollegen so umfangreich und detailliert zu informieren, dass sie in Erfurt eine in jeder Hinsicht fundierte Entscheidung treffen können.“ Es dürfe der Ärzteschaft auf keinen Fall noch einmal so ergehen wie bei der Entscheidung über den Physician Assistant. „Hier gab es auf dem Ärztetag in Freiburg eine breite Mehrheit, die inhaltliche Diskussion über das Thema wurde aber erst im Nachgang richtig geführt. Daraus sollten wir lernen.“

Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren sei zu gewährleisten, dass ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelt. Nur mit Patienten, mit denen bereits ein Erstkontakt zustande gekommen ist, dürfe somit derzeit eine Behandlung per (Video-)Telefonie oder Internet erfolgen, so das aktuelle Berufsrecht.

Derzeit laufen in Baden-Württemberg bereits vier Modellprojekte zur Telemedizin, für die Ausnahmen vom Verbot der Fernbehandlung gelten. Zunächst wurden ausschließlich Fernbehandlungen von Privatversicherten über die Teleclinic GmbH genehmigt mit 150 Ärzten aus 30 Fachrichtungen. In den Modellregionen Tuttlingen und Stuttgart werden auch Kassenpatienten fernbehandelt. Drittes und viertes Modellprojekt bilden Fernbehandlungen im Justizvollzug sowie allgemeinmedizinische Videosprechstunden baden-württembergischer Ärztinnen und Ärzte über den deutschen Ableger des etablierten schwedischen Gesundheitsversorgers KRY.

Auf dem 120. Deutschen Ärztetag 2017 wurde bereits mehrheitlich beschlossen, die geltenden Regelungen zum Fernbehandlungsverbot zu überprüfen. Insbesondere wurde die Frage danach, ob ein persönlicher Erstkontakt mit dem Patienten unumgänglich sei, kontrovers diskutiert. Ein erster Entwurf der Bundesärztekammer in Bezug auf die Lockerung des Fernbehandlungsverbotes soll nun den Delegierten des 121. Deutschen Ärztetages Anfang Mai 2018 zur Abstimmung vorgelegt werden: „Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über elektronische Kommunikationsmedien ist erlaubt, wenn dies im Einzelfall ärztlich vertretbar ist“, heißt es darin. Damit bliebe die persönliche Betreuung weiterhin Standard und die Behandlung auch ohne persönlichen Erstkontakt ausschließlich über Kommunikationsmedien eine zusätzliche Option, über die die behandelnden Ärztinnen und Ärzte im Einzelfall eigenverantwortlich entscheiden.

In der Ärzteschaft wird über den Einsatz der Telemedizin intensiv diskutiert. „Wir Ärzte gefährden unseren Beruf und machen uns bald ersetzbar, wenn wir Online-Behandlung zulassen“ heißt es beispielsweise oder: „Das alte Sprichwort ‘Am Telefon und durch die Hose stellt man keine Diagnose‘ gilt uneingeschränkt fort.“ Die Abschaffung des Fernbehandlungsverbotes sei der Wegbereiter für den sukzessiven Ersatz von Ärzten durch Algorithmen, fürchtet ein anderer Arzt.

„Eine Art der Fernbehandlung über Funk gebe es seit Jahrzehnten notgedrungen in der Seefahrt. Auch wenn dies dem heutigen Anspruch nicht mehr gerecht werden kann, wird durch eine Beschränkung auf Präsenzbehandlungen ein Feld für ärztliche Tätigkeit aufgegeben, dass sich angesichts der Möglichkeiten zur Kommunikation und Ferndatenübertragung rasant weiterentwickeln wird“, sieht ein anderer Arzt die Lage. Es werde Zeit, zu begreifen, dass man nicht nur im digitalen Zeitalter lebe, sondern es auch nutze. „Andere Länder überholen uns. Wir müssen mit der Zeit gehen. Das ist der Fortschritt den wir nicht aufhalten, sondern den wir mit beeinflussen sollten“, beurteilt ein anderer Arzt die Entwicklung.

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