Corona-Lockerungen

Ärzte fordern bessere Krisenmechanismen

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Berlin -

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), dringt angesichts der Corona-Pandemie auf weitere Verbesserungen der Krisenmechanismen. „Wir müssen jetzt die Zeit nutzen, damit wir für ein mögliches Wiederaufflackern der Corona-Infektionen und für künftige Epidemien gut gerüstet sind.“

Die Krise habe gezeigt, dass engere europäische Vernetzung und Abstimmung nötig seien. Das gelte für Meldestrukturen, technische Plattformen von Corona-Apps, Vorräte an Schutzausrüstung und das Entwickeln von Medikamenten und Impfstoffen.

In Deutschland hat die Politik vieles richtig gemacht“, sagte Reinhardt. „Trotzdem müssen wir auch hier Strukturen reformieren.“ Die Zuständigkeiten von Bund und Ländern in Krisenzeiten seien klar zu regeln. „Wir brauchen ein vernetztes System von Krisenstäben, das dauerhaft auf Standby geschaltet ist.“ Nachzuhalten sei zudem, dass Bund, Länder, Kommunen und öffentliche Einrichtungen Pandemiepläne regelmäßig aktualisierten und zu Übungszwecken scharf schalteten.

Reinhardt befürwortete weitere Lockerungen von Corona-Beschränkungen, deren Auswirkungen aber sehr genau zu beobachten seien. Auch nach den bisherigen Öffnungsschritten spiele sich das Infektionsgeschehen glücklicherweise nach wie vor auf einem niedrigen Niveau ab. „Es ist deshalb geboten und auch aus Sicht des Infektionsschutzes durchaus verantwortbar, die Aufhebung weiterer Einschränkungen zu prüfen.“

Mit Blick auf weitergehende Lockerungen in Thüringen sagte Reinhardt, das Land setze damit auf mehr Eigenverantwortung der Bürger. „Das ist per se nicht falsch, allerdings gehen mir die neu geschaffenen Möglichkeiten für Großveranstaltungen wie Volksfeste und Festivals doch eher zu weit.“ In Thüringen sind Kontaktbeschränkungen seit Samstag aufgehoben. Es wird nur noch empfohlen, sich nur mit einem weiteren Haushalt oder maximal zehn Menschen zu treffen. Volksfeste und Festivals sollen in Einzelfällen wieder erlaubt werden können.

„Wir müssen darauf achten, dass es keine unkontrollierte Dynamik gibt“, sagte Reinhardt. Wichtig sei, dass Länder und Kommunen schnell reagieren könnten. „Wir brauchen passgenaue Eindämmungsmaßnahmen vor Ort, damit wir bei einem möglichen Wiederaufflammen nicht ein ganzes Land oder ganze Regionen stilllegen müssen.“

Bei Großveranstaltungen müsse man weiter zurückhaltend sein, betonte der Ärztepräsident. Dies müsse jetzt definitiv nicht sein, auch wenn es für Veranstalter natürlich bitter sei. „Damit sollten wir warten, bis es einen Impfstoff oder zumindest eine gute Therapie bei schweren Verläufen gibt. Es sind ja genau solche Ereignisse, bei denen schnell einige wenige Infizierte sehr viele Menschen anstecken können.“

Mit Blick auf die Schulen sprach Reinhardt von einer schwierigen Frage. „Es ist nicht ganz einfach, im normalen Schulbetrieb Abstand und Hygieneregeln gerade bei kleineren Kindern in irgendeiner Form aufrechtzuerhalten.“ Andererseits gingen Kinder schon seit Monaten nicht regelhaft zur Schule. Homeschooling könne das nicht ersetzen, besonders auch das Miteinander mit Gleichaltrigen. „Es geht um Bildungschancen und Lebenszeit von Kindern, die nicht einfach wiedergutzumachen oder nachzuholen sind.“

In der Abwägung sei er daher dafür, ein bisschen mehr Mut zu haben. „Wir sollten versuchen, nach den Sommerferien so gut wie möglich zu regelhaftem Unterricht zurückzukommen.“ Dafür sollten pragmatische Lösungen gesucht werden. So könnten Lehrkräfte, die zu Risikogruppen zählen, den Präsenzunterricht durch digitale Angebote ergänzen.

Angesichts von Sorgen vor einer erneuten Zunahme von Infektionen sagte der Ärztepräsident: „Ich spreche ungern von einer zweiten Welle, weil es viele Menschen nur noch mehr verängstigt. Das hört sich nach Tsunami an, nach einer Welle, in der man untergehen kann.“

Auch mit Blick auf den Herbst und Winter sei es wahrscheinlich, dass das Infektionsgeschehen schwanke. „Wenn wir die Abstands- und Hygieneregeln weiter gut einhalten, kann es aber gelingen, ein großes Aufflackern zu verhindern. Sicher weiß das aber niemand, insofern bleibt Vorsicht angebracht.“

Zwar könne es passieren, dass manche im Alltag nachlässiger würden. „Es ist menschlich, dass die Disziplin ein bisschen nachlässt, wenn die Gefahr nicht mehr so offensichtlich ist.“ Es sei aber unverändert wichtig, sich zum Beispiel nicht die Hände zu geben, sondern etwa den Corona-Gruß mit dem Ellenbogen zu nutzen. „Auch dabei kann man sich nett ins Gesicht gucken und einen freundlichen guten Tag wünschen.“ Diese Schutzmaßnahmen seien zum jetzigen Zeitpunkt unverändert richtig und wichtig, sagte Reinhardt. „Daran sollte man alle erinnern und vielleicht auch ein bisschen wohlwollend ermahnen.“

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