Rückblick

2019: Politik schüttelt ABDA durch Lothar Klein, 28.12.2019 09:43 Uhr

Berlin - 

Wie wohl kein anderes Jahr zuvor hat 2019 die Apothekerschaft politisch durchgeschüttelt. Drei Jahre nach dem EuGH-Urteil musste die ABDA nicht nur die Forderung nach einem Rx-Versandverbot begraben, sie steht immer noch mit fast leeren Händen da. Ob und wie das Apothekenstärkungsgesetz jemals verabschiedet wird, steht in den Sternen. Die ABDA hat sich 2019 gehörig „vertaktiert“, sich ins politische Abseits manövriert. Und ABDA-Präsident Friedemann Schmidt zieht sich aus der Rolle des Politik-Moderators in seine Leipziger Apotheke zurück. Außerdem mischt die verordnete Einführung des E-Rezepts den Apothekenmarkt auf. Neue Allianzen rangeln um die Pole-Position. Die Unsicherheit ist groß.

Der politische Startschuss für 2019 knallte schon vor Silvester in der ABDA-Mitgliederversammlung am 11. Dezember 2018. Vor die Kammerpräsidenten und Verbandchef spazierten Arm in Arm ABDA-Präsident Schmidt und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einem seit Monaten verhandelten millionenschweren Plan B: Mit 375 Millionen Euro wollte Spahn den Apotheker die Abkehr vom Rx-Versandverbot schmackhaft machen. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) sollte einen Strukturfonds für neue pharmazeutische Dienstleistungen von 240 Millionen Euro erhalten. Dafür und für die zusätzlichen 120 Millionen Euro für den Nacht- und Notdienstfonds (NNF) sollte das Fixhonorar zweckgebunden um 48 Cent je Rx-Packung steigen.

Im Gegenzug sollte die Boni-Gewährung für ausländische Apotheken auf 2,50 Euro je abgegebener Packung gedeckelt werden. Und um zu verhindern, dass es wegen der Boni zu Verschiebungen der Marktanteile kommt, sollte die Entwicklung evaluiert werden: Sofern der Marktanteil des ausländischen Versandhandels 5 Prozent übersteigen sollte, sollte der Boni-Deckel überprüft und reduziert werden. Hätte, hätte, Fahrradkette…

Der Paukenschlag traf die meisten ABDA-Mitglieder unvorbereitet. Anders als erwartet verweigerte die Mehrheit von Kammern und Verbänden ABDA-Präsident Schmidt die Gefolgschaft. Und über die Weihnachtstage 2018 gärte der Unmut der Apotheker über Spahns 375 Millionen Euro-Angebot und das Taktieren von Schmidt: „Vor einigen Monaten kündigten Sie an, Sie würden aus allen Rohren schießen. Obwohl nach den Vorschlägen von Herrn Spahn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist, kommt von Ihrer Seite nichts“, empörte sich Apotheker Hubertus Nehring in einem Brief an Schmidt stellvertretend für viele Kollegen: „Wo ist der von der ABDA organisierte und koordinierte Aufstand der Apotheken? Wo schießen Sie aus allen Rohren?“ Aus allen Rohren zerschossen wenig später Kammern und Verbände den Plan B. Das Scherbengericht folgte am 17. Januar 2019 in einer Sonder-Mitgliederversammlung.

Spahns Plan B stellten Kammern und Verbände einen eigenen 6-Punkte-Plan entgegen: Kernforderung war ein Verbot von Rx-Boni auch für ausländische Versandapotheken. „Wir haben uns entschlossen, dem Diskussionsangebot von Spahn ein eigenes Angebot gegenüberzustellen“, verkündete ein geläuterter ABDA-Präsident plötzlich. Spahn sagte eine Prüfung zu. Doch die fiel anders aus, als erhofft. Mitte März präsentierte Spahn ein überarbeitetes Eckpunktepapier. Darin sicherte er zu, dass von der ABDA vorgeschlagen Rx-Boni-Verbot ins Sozialgesetzbuch V zu übernehmen. Allerdings strich er die zunächst zugesagte 375 Millionen Euro Geld-Spritze auf nur noch 150 Millionen Euro zusammen. Die Notdienstpauschale soll laut BMG jetzt statt auf über 500 Euro auf circa 350 Euro steigen. Statt heute 16 Cent sollen dann 21 Cent pro Packung in den Nacht- und Notdienstfonds fließen. So steht es noch heute im daraus entstandenen Apothekenstärkungsgesetz (VOASG).

Erst jetzt mischte sich im Frühjahr die SPD in die Debatte ein: Fraktionsvize Karl Lauterbach lehnte die Festschreibung des Rx-Boni-Verbot im SGB V als „besorgniserregend“ ab; Wiederstand gab es auch aus dem SPD-geführten Justizministerium. Die Juristen machten nach wie vor Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit geltend. Wochenlang ging es hin und her: Vom kategorischen Nein ließ sich die SPD zu einem faulen Kompromiss verleiten. Am 17. Juni stimmte das Kabinett dem nochmals überarbeiteten VOASG zu ­– allerdings mit einer tückischen Prüfklausel. Vor der Verabschiedung im Bundestag muss Spahn eine Unbedenklichkeitserklärung der EU-Kommission aus Brüssel einholen. Diese hatte nämlich bereits Ende März Spahns Plänen eine Absage erteilt. Darauf warten bis jetzt alle gespannt.

Als wäre all das nicht schon problematisch genug, ging die ABDA im September beim Deutschen Apothekertag auf ein Danaergeschenk des Bundesrates ein. Die Länder stellten sich gegen Spahn Rx-Boni-Verbot und stimmten wie schon drei Jahre zuvor in einer Resolution für ein Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Ohne auf die politische Realisierbarkeit zu achten, forderten die Delegierten nach einer zweistündigen kontroversen Beratung Spahn auf, das Rx-VV ergänzend zum Apothekenstärkungsgesetz einzubringen und rasch zu beraten. Spahn fühlte sich desavouiert.

Der Konter des Bundesgesundheitsministers ließ nicht auf sich warten: „Wenn sie mir die Botschaft mitgeben, der Bundesrat kann das besser, dann stelle ich die Dinge in Berlin ein. Das meine ich ernst“, donnerte Spahn von der ABDA-Bühne in den Saal. Er wolle zudem mit einer Mär aufräumen, „die ich ständig lese“, zürnte er weiter: Er selbst würde erst mit seinen Apothekenstärkungsgesetz „die Preise freimachen“. „Wo waren sie die letzten drei Jahre?“, fragte Spahn. Das EuGH-Urteil von 2016 habe die Preisbindung aufgelöst, dann können „einige heute nicht so tun, als wäre ich es“.

Seitdem liegt das Apothekenstärkungsgesetz auf Eis. Spahn wartet auf die Stellungnahme der EU-Kommission und die soll frühestens im Januar erfolgen. Aber nicht nur mit der RxVV-Verirrung hat die ABDA den Apothekern wohlgesonnene Politiker verärgert. Vorgezogen aus dem VOASG hat die Koalition unter anderem die Modellprojekte zu Grippeschutzimpfungen in Apotheken. Dagegen leisten Kammern nicht nur passiven Widerstand: Die Landesapothekerkammer Brandenburg will sich nicht an Modellprojekten für Grippeschutzimpfungen in Apotheken beteiligen. Die Delegiertenversammlung verabschiedete eine Resolution, die sie wortgleich von der Landesärztekammer übernommen hatte. Darin heißt es unter anderem, dass Apothekern die notwendigen Kompetenzen fehlen, um Impfungen durchzuführen.

Es sei zum Verzweifeln mit den Apothekern, rauft man sich in der Regierungskoalition die Haare. Beim Eppendorfer Dialog gab CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich seine sonst gepflegte diplomatische Zurückhaltung auf: „Der Regel-Apotheker lebt in der alten Welt“, kritisierte er. „Die sitzen in ihren Schützengräben und verteidigen ihre Positionen“, teilte Hennrich in Richtung ABDA aus und schob gleich noch eine Warnung hinterher: Es sei nicht klug, bei den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen das Medikationsmanagement ins Zentrum zu stellen: „Da bin ich sehr skeptisch.“ Der Einsatz künstlicher Intelligenz könne hier die Apotheker ganz rasch überflüssig machen. Stattdessen riet Hennrich, das Impfen in Apotheken anzunehmen: „Das können Plattformen nicht.“

Stichwort Plattform: Während die ABDA sich 2019 mit Abwehrkämpfen befasste, griffen anderen im Apothekenmarkt an. Bereits Ende 2018 gründeten Noweda und Burda den „Zukunftspakt Apotheke“, um den Apothekenmarkt mit einer Handelsplattform erobern. 2019 bauten beide ihre Positionen aus. Noch im Dezember 2018 zogen Gehe, Noventi, Rowa, Sanacorp, Wort & Bild mit der Initiative „Pro AvO“ (Pro Apotheke vor Ort) nach. Seitdem rangeln beide um die Vorherrschaft auf dem Apothekenmarkt mit harten Bandagen. Apotheken Umschau gegen Mylife heißt das Duell auf dem Markt der Apotheken-Zeitschriften. Aber es geht um mehr. Mit internetbasierten Handelsplattformen sollen neue Distributionsmöglichkeiten geschaffen werden, um von der Branche erwarteten Angriffen von Amazon und anderen auf den deutschen Arzneimittelmarkt zuvorzukommen.

Das E-Rezept steht vor der Tür und wird den Apothekenmarkt verändern. Im Januar stimmt 2019 das Bundeskabinett dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) zu. Darin wurden DAV und Krankenkassen verpflichtet, die Vorbereitungen für die Einführung des E-Rezepts zu treffen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Spahn setzte den Apotheken eine Frist zum Anschluss an die TI der Gematik bis zum Herbst 2020. E-Rezept-Modellprojekte entwickelten sich. Zuerst in Hamburg mit der TK, die DocMorris über die Schweizer Zur Rose im Boot hat. Dann folge Gerda in Baden-Württemberg.

Plötzlich sprang auch der DAV auf den E-Rezept-Zug auf: Im Mai stellte Verbandschef Fritz Becker beim DAV Wirtschaftsforum eine eigene WebApp vor, obwohl der DAT nur knapp drei Jahren zuvor noch beschlossen hatte, auf die Entwicklung eigener digitaler mobiler Angebote zu verzichten. Seitdem fordert der DAV von der Politik eine Monopolstellung für das eigen E-Rezept-Tool. Die Entscheidung steht noch aus.

Derweil schnappte sich die niederländische Versandapotheke DocMorris die Ärzte: Im Juni verkünden DocMorris und der Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands (SpiFa) eine Kooperation. Im Oktober schnappte sich DocMorris die Häusärzte und vereinbarte in Westfalen-Lippe ein Pilotprojekt zum E-Rezept. Anfang Dezember folgte der dritte Streich mit der Kooperation mit dem führenden Telemedizinanbieter Kry aus Schweden. Überall spielt das E-Rezept eine Rolle. Die Idee dahinter: Die Ärzte bestimmen bei der Verordnung über den Einsatz des E-Rezept-Tools. Wer die Ärzte auf seiner Seite hat, macht den Deal.

Wie sehr die Märkte 2019 in Bewegung geraten sind, belegen zwei Paukenschläge kurz vor Jahresschluss: Getrieben von ihren US-Müttern schließen sich die Großhändler Gehe und Alliance Healthcare zusammen. Kopf an Kopf mit Phönix entsteht so ein neuer Megaplayer im Arzneimittelmarkt. Zusammen stärker werden wollen auch die beiden konkurrierenden Pharmaverbände BAH und BPI. Die Pharmabranche sieht sich wachsenden Vorschriften der Politik gegenüber. Auch die Digitalisierung der Medizin sorgt für Druck. „Insgesamt steigt das Tempo der gesundheitspolitischen Gesetzgebung sowohl in Europa als auch in Deutschland“, erklärte der BPI. Als Beispiel nannte er auch die Debatte um Lieferengpässe bei Arzneien.

Zum Schluss: Die Umwälzungen auf dem Apotheken- und Arzneimittelmarkt will einer nur noch aus der Ferne verfolgen. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hat Anfang Dezember seinen Verzicht auf eine weitere Amtszeit angekündigt. Schmidt macht für seine Entscheidung persönliche Gründe geltend. Fakt ist aber auch, dass Kammern und Verbände dem ABDA-Präsidenten im Jahr 2019 immer öfter nicht gefolgt sind. Es gab Kritik an seinem Kurs in Sachen Rx-VV und seiner Moderatorenrolle. In einer schwierigen Phase muss sich die Apothekerschaft demnächst einen neuen Cheflobbyisten suchen.