Fachgesellschaften warnen

Trügerischer Rückgang: Weniger Herzinfarkte wegen Corona?

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Berlin -

Die Corona-Pandemie führt das Gesundheitssystem vielerorts an seine Grenzen. In Deutschland berichteten Krankenhäuser jedoch in den vergangenen Wochen über eine deutliche Abnahme von Patienten mit Herzinfarkt. Doch die sinkende Zahl trügt womöglich – die Fachgesellschaften warnen.

Die akute psychische Belastung sowie die Folgen der Einschränkungen müssten die Anzahl der Herzinfarkte in Zeiten von Corona eigentlich eher ansteigen lassen. Zudem ist mittlerweile bekannt, dass das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 auch das Herz angreifen und schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen mit sich bringen kann. Doch Berichten zufolge ist in den vergangenen Wochen genau das Gegenteil der Fall: Viele Krankenhäuser verzeichnen eine sinkende Herzinfarkt-Rate. Die Fachgesellschaften gehen allerdings davon aus, dass die Rate der Herzinfarkte nicht wirklich sinkt – stattdessen trügen die Zahlen: Patienten mit akuten Herzbeschwerden würden in der momentanen Situation seltener Notaufnahmen und Krankenhäuser aufsuchen, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie-, Herz-und Kreislaufforschung. „Es gibt Hinweise darauf, dass die Zahl der Krankenhausaufnahmen von Patienten mit akuten Herzbeschwerden vielerorts in den letzten Tagen und Wochen dramatisch zurückgegangen ist.“

Verunsicherung bei Patienten hat schwerwiegende Folgen

Viele Patienten seien verunsichert und würden sich auch bei eindeutigen Symptomen scheuen, medizinische Hilfe zu rufen und in Anspruch zu nehmen. Zum einen aus Angst vor einer eventuellen Covid-19-Ansteckung, zum anderen aus Sorge vor einer nicht adäquaten Versorgung in überlasteten Krankenhäusern. „Offensichtlich machen sich Patienten mit akuten Herzerkrankungen derzeit Gedanken darüber, ob sie in diesen Tagen während der Corona-Pandemie in den Kliniken gut behandelt werden können“, erklärt die Fachgesellschaft. Außerdem könnten Herzinfarkte aufgrund von Corona auch verschleiert werden: Bei gleichzeitig vorliegender Covid-19-Infektion wird der Tod nicht dem Infarkt, sondern der Viruserkrankung zugeschrieben.

Offener Brief der Fachgesellschaften

Die Folge dieser Verunsicherung könnte eine gravierende medizinische Unterbehandlung von kardiovaskulären Ereignissen sein. Die Fachgesellschaften – darunter die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie-, Herz-und Kreislaufforschung, die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz-und Gefäßchirurgie, die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler sowie die Deutsche Herzstiftung – haben daher einen offenen Brief an Bundesforschungsministerin Anja Karliczek gerichtet, in dem sie die Sicherstellung einer adäquaten medizinischen Versorgung von Patienten mit schweren Herzbeschwerden auch in Zeiten der Covid-19-Pandemie fordern.

Um ihren Appell zu untermauern, berufen sich die Fachgesellschaften auf eine Analyse von US-Kardiologen, die im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht wurde. Die Publikation zeigt den dramatischen Rückgang von Fällen akuter Herzinfarkte. Für die Analyse wurden die Daten von neun über die USA verteilten Herzzentren mit hohem Aufkommen an Katheterinterventionen ausgewertet: Es wurde die Anzahl von Eingriffen vor Covid-19 – vom 1. Januar 2019 bis Ende Februar 2020 – und nach Covid-19 – vom 1. bis 31. März 2020 – verglichen. Das Ergebnis: Vor Corona wurden in den neun Zentren mehr als 180 Eingriffe monatlich wegen eines Herzinfarktes verzeichnet, seit der Pandemie Anfang März sind es nur noch rund 138 – das entspricht einem Rückgang von 38 Prozent.

Folgekomplikationen vermeiden

Wenn akute Herzinfarkte nicht zeitnah und adäquat behandelt würden, könnten sich in naher Zukunft schwere Folgekomplikationen ableiten, darunter Myokardrupturen, kardiogener Schock, Reinfarkte, Herzinsuffizienz oder ventrikuläre Arrhythmien. Um das Vertrauen der Patienten wiederherzustellen und solch schwerwiegenden Folgen vorzubeugen, müssten Patienten und Bevölkerung umfassend informiert und aufgeklärt werden, erläutern die Fachgesellschaften. „Kein Patient sollte aus Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus auf die zwingend notwendige medizinische Hilfe in einem Krankenhaus verzichten“, heißt es im offenen Brief.

Die Versorgung von herzmedizinischen Notfällen in deutschen Krankenhäusern sei allzeit sichergestellt und erfolge unter Beachtung der notwendigen Isolationsmaßnahmen von mit dem Covid-19-Virus infizierten Patientinnen und Patienten. „Bei typischen Herzschmerzen, Luftnot oder Engegefühl im Brustbereich soll umgehend der Notruf 112 gewählt werden“, raten die Fachgesellschaften. Auch dringliche oder notfallmäßige Herzoperationen dürften nicht hinausgezögert werden, da dies zu Organschäden oder gar zum Tod von Erwachsenen oder Kindern mit angeborenen Herzfehlern führen könne.

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