Analgetika

Schwangerschaft: ADHS durch Paracetamol? APOTHEKE ADHOC, 23.10.2014 14:15 Uhr

Berlin - 

Eine neue Metananalyse zu Paracetamol sorgt bereits vor der Veröffentlichung für Schlagzeilen. Eine regelmäßige Einnahme während der Schwangerschaft erhöhe für das Baby das Risiko, später an ADHS, Hodenhochstand oder Asthma zu erkranken, schreibt Spiegel online (Spon) unter Berufung auf Professor Dr. Kay Brune. Der ehemalige Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Erlangen ist seit Jahren als Kritiker des Wirkstoffs bekannt. In Fachkreisen stoßen die Einlassungen auf Unverständnis.

Laut Brune werden alle zwei Wochen neue Untersuchungen veröffentlicht, die die Risiken des Wirkstoffs belegen. Seiner – noch unveröffentlichten – Übersichtsarbeit zufolge hat auch die empfohlene Anwendung von höchstens vier Gramm am Tag gravierende Nebenwirkungen. Der Review, an dem auch Forscher vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beteiligt waren, soll demnächst im „European Journal of Pain“ veröffentlicht werden.

Ausgewertet wurde demnach unter anderem eine statistische Erhebung mit 64.322 dänischen Müttern und ihren zwischen 1996 und 2002 geborenen Kindern. Demnach haben Kinder von Frauen, die in der Schwangerschaft regelmäßig Paracetamol einnahmen, häufiger Verhaltensauffälligkeiten. Das Risiko, dass die Kinder an ADS oder ADHS erkranken, steigt demnach um 37 Prozent: Insgesamt wurde bei rund 1330 Kindern ADHS oder ADS diagnostiziert. Ein Kausalzusammenhang ist nicht belegt.

Zu ähnlichen Ergebnissen soll im Vorjahr eine norwegische Studie mit 48.631 Kindern gekommen sein: Diese hatte bei betreffenden Kindern eine schlechtere gesamtmotorische Entwicklung und ein gestörtes Kommunikationsverhalten festgestellt. Zudem kann laut Spon der Einsatz von Paracetamol während der Schwangerschaft bei den Kindern das Risiko für Asthma und Hodenhochstand erhöhen. Quellen dafür liefert der Bericht nicht.

Dass die Wissenschaft erst jetzt auf die möglichen Nebenwirkungen von Paracetamol aufmerksam werde, erklären Brune und seine Kollegen laut Spon mit neuen Nachweismethoden und computergestützten Verfahren, die es erlaubten, riesige Datenmengen auszuwerten. „Die Gewissheit, mit der die Medizin noch heute Paracetamol als gut verträglich und harmlos betrachtet, ist wissenschaftlich nicht unterfüttert“, so Brune.

Dass seine Arbeit schon vor der Veröffentlichung für Schlagzeilen sorgt, ist laut Brune darauf zurückzuführen, dass vereinbarte Veröffentlichungs- und Sperrfristen nicht beachtet wurden. Andere Experten trauen sich angesichts der fehlenden Informationen keine Kommentierung der Ergebnisse zu. Nach den bisherigen Daten gebe es keine Sicherheitsprobleme, hieß es etwa vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die Studie werde nach ihrer Veröffentlichung in die laufende Risikoüberwachung einfließen, so ein Sprecher.

Bislang hatte Brune vor allem das Vergiftungsrisiko in den Vordergrund gestellt. „Paracetamol ist in vielen Fällen gar nicht oder nur schlecht wirksam, gleichzeitig aber bereits in geringen Mengen deutlich gefährlich“, sagte Brune, als 2012 auf seine Initiative hin über eine generelle Verschreibungspflicht für Paracetamol diskutiert wurde. Er verwies damals auf Fälle, in denen es bereits bei therapeutischen Dosen zu schweren, akuten Leberschäden gekommen sein soll.

Der mittel- und langfristige Gebrauch könne außerdem zu einer Steigerung des Blutdrucks und in der Folge zu einem erhöhten Auftreten von Herzinfarkten und Schlaganfällen führen, so Brune seinerzeit. Auch auf das Risiko für Asthma bei den später geborenen Kindern bei der Einnahme während der Schwangerschaft wies er schon damals hin. All diese Risiken gebe es weiter, so Brune – plus die jetzt angeblich nachgewiesenen.

Vor zwei Jahren entschieden sich die Experten gegen den Antrag, zumal die OTC-Packungsgrößen gerade erst auf 20 Stück begrenzt worden waren. Dass es bei Paracetamol Risiken gebe, sei bekannt, so der BfArM-Sprecher. „Niemand hat behauptet, dass alles sicher ist.“ Umso wichtiger sei eine gute Beratung und die Beachtung der entsprechenden Hinweise bei der Einnahme.

Paracetamol ist das einzige Analgetikum, das während der gesamten Schwangerschaft eingenommen werden darf und als Zäpfchen auch Kindern unter drei Jahren mit einem Gewicht von weniger als sechs Kilogramm verabreicht werden kann. Die von den Wissenschaftlern jetzt beschriebenen Nebenwirkungen sind bislang nicht in der Fachinformation enthalten.