Einsatz bei chronischen Schmerzen zweifelhaft

Pregabalin/Gabapentin: Rätselhaft steigende Verordnungen

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Berlin -

Pregabalin und Gabapentin wurden ursprünglich für die Behandlung von Epilepsie entwickelt. Aber die Wirkstoffe werden auch zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen wie beispielsweise infolge einer Gürtelrose eingesetzt. Die Ergebnisse einer im „British Medical Journal (BMJ) Open“ veröffentlichten Studie zeigen jedoch, dass die Arzneistoffe auch zur Behandlung von chronischen Schmerzen eingesetzt werden, obwohl die Wirksamkeit in diesem Therapiegebiet zweifelhaft ist.

Professorin Dr. Annette Becker und Dr. Annika Viniol von der Philipps Universität Marburg analysierten die Verschreibungsdaten von Schmerzmedikamenten im Zeitraum zwischen den Jahren 2009 bis 2015 von etwa vier Millionen Versicherten. Dabei entdeckte das Team widersprüchliche Trends. „Den offensichtlich eher schwachen therapeutischen Wirkungen und dem vergleichsweise kleinen Anwendungsgebiet stehen jedoch stetig steigende Verschreibungszahlen in den vergangenen Jahren gegenüber“, sagt Viniol.

Während die Anzahl der Verordnungen von Pregabalin und Gabapentin in den einzelnen Jahren stets zunahmen, litten nur 25 Prozent der Patienten, die erstmals mit den Wirkstoffen behandelt wurden, auch unter neuropathischen Schmerzen. Drei Viertel der behandelten Patienten hatten hingegen chronische Schmerzen ohne eine neuropathische, also auf ein Nervenleiden zurückzuführende, Schmerzkomponente oder zeigten zumindest Hinweise auf denkbare pathophysiologische neuropathische Komponente. Etwa 80 Prozent der Patienten brachen gar die Behandlung ab, möglicherweise durch ein Therapieversagen oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen bedingt. 61 Prozent erhielten keine Folgeverordnung innerhalb von zwei Jahren.

„Wenn bereits mehrere Therapien wirkungslos waren, so greift man zu Pregabalin oder Gabapentin – in der Hoffnung, dass Nervenschmerz bei den Beschwerden eine Rolle spielt“, vermutet die Medizinerin und rät zur Zurückhaltung. Ärzte und Patienten sollten bei der Verschreibung Vorsicht walten lassen und stattdessen auf konservative Maßnahmen zurückzugreifen.

Laut Arzneiverordnungsreport entfallen auf Pregabalin 2017 etwa 98,5 Millionen verordnete Tagesdosen (DDD), ein Plus von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Liste führt Lyrica mit etwa 31 Millionen DDD an, gefolgt von Ratiopharm und Beta mit etwa je 14 Millionen DDD und TAD. Gabapentin kommt im Jahr 2017 auf 44,3 Millionen DDD, das bedeutet ein Plus von 8,2 Prozent. Die meisten Verordnungen entfallen auf Micro Labs mit etwa 21 Millionen DDD, gefolgt von Teva mit etwa 8 Millionen DDD und Aurobindo mit 4,6 Millionen DDD.

Pregabalin ist zur Anwendung bei neuropathischen Schmerzen, Epilepsie und generalisierten Angststörungen zugelassen. Das Analogon der Gamma-Aminobuttersäure (GABA) bindet an eine Untereinheit spannungsabhängiger Calciumkanäle im zentralen Nervensystem, die an der Freisetzung verschiedener Neurotransmitter beteiligt sind. Neben der entspannenden Wirkung ruft das lipophile GABA-Derivat in hohen Dosen euphorische Zustände hervor. Das Arzneimittel kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden, wobei die Gabe auf zwei bis drei Einzeldosen verteilt werden kann. Zu Therapiebeginn sollte über einen Zeitraum von mindestens einer Woche einschleichend aufdosiert werden. Wird das Arzneimittel abgesetzt, wird entsprechend ausgeschlichen. Pregabalin wird laut Arzneimittelverordnungsreport mit 89 Prozent fast ausschließlich zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt.

Gabapentin wurde 1995 als Zusatztherapie bei partiellen Anfällen mit und ohne Generalisierung auf den Markt gebracht. 2001 folgte die Zulassung für die Behandlung neuropathischer Schmerzen. Der Wirkstoff besitzt antiepileptische und analgetische Eigenschaften. Die Wirksamkeit ist auf die Bindung an spannnungsabhängige Calciumkanäle zurückzuführen.

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