Influenza

Keine Grippeimpfstoffe für Allergiker Enrico Blasnik, 16.09.2016 10:14 Uhr

Berlin - 

Alexander Jaksche hat lange gesucht, aber trotz intensiver Recherche konnte er für die kommende Grippesaison keinen Impfstoff ohne Hühnereiweiß finden. Der Apotheker hat vergeblich im eigenen Lager nachgeforscht, beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) angerufen und sogar beim Großhandel nachgefragt. Nirgends erhielt er Informationen zu Influenza-Impfstoffen ohne Ei-Proteine. Erstmals gibt es in ganz Europa keine Alternative mehr. Jaksche fragt sich, wie er Allergiker im Winter versorgen soll.

„Ich habe deshalb das PEI angerufen, aber nachdem ich fünfzehn Minuten am Telefon warten musste, habe ich aufgelegt“, sagt Jaksche. Er ist Inhaber der Apotheke an der Mathildenhöhe in Darmstadt. Der Großhändler, den er anrief, führte sogar eine Spezialsuche durch – ohne Erfolg. „Die Namen der Präparate ändern sich jährlich, die Fusionen der Unternehmen irritieren völlig“, so Jaksche.

Ein Beispiel ist der aus Zellkulturen hergestellte Influenza-Impfstoff Optaflu. Der Grippeimpfstoff ist seit diesem Jahr nicht mehr auf dem deutschen Markt erhältlich. Es gibt kein alternatives europäisches Präparat. Ein Grund könnte sein, dass Hersteller an keiner Ausschreibung teilnehmen können.

Seqirus (ehemals bioCSL) ist neben Sanofi Pasteur MSD und Mylan der große Gewinner der Ausschreibungen für diesjährige Grippesaison. Der Konzern hatte die Influenza-Vakzine von Novartis übernommen; für Impfstoffe ohne Hühnereiweiß sieht es dennoch schlecht aus: „Momentan gibt es keine Alternativen auf dem Markt. Unser Mutterkonzern stellt Zellkultur-basierte Grippeimpfstoffe in der Produktionsanlage in Holly Springs in den USA her und vermarktet sie auch da“, sagt Deutschlandchef Frank Eberlein. Im Prinzip gebe es die Möglichkeit, diesen Impfstoff über eine internationale Apotheke und eine personengebundene Verschreibung zu beziehen. „Das ist krass. Da kommen beim Import ja allein 50 bis 70 Euro Versandkosten hinzu, das macht keine Krankenkasse mit”, so Jaksche.

2011 kam der Hühnereiweiß-freie Grippeimpfstoff Preflucel von Baxter. Der Hersteller hatte damit geworben, dass die Produktionsmethode schneller, reiner und unabhängiger von der Lieferbarkeit von Hühnereiern sei. Jedoch wurde Preflucel zurückgerufen, nachdem sich herausstellte, dass bei einer Charge unerwünschte Nebenwirkungen auftraten. Als das PEI schließlich Alarm schlug und die Patientensicherheit gefährdet sah, zog Baxter alle Chargen aus dem Handel.

„Leider gibt es für die kommende Grippe-Saison keine Impfstoffe ohne Hühnereiweiß“, bestätigt auch das PEI auf Anfrage. Die Grippeimpfung unterliegt laut Behörde der Risiko-Nutzen-Analyse des Arztes. „Auch bei Allergikern hängt die Entscheidung letztlich vom Arzt ab. Das fängt damit an, dass der Patient danach mindestens eine halbe Stunde in der Praxis verbleibt, um einen anaphylaktischen Schock auszuschließen“, so das PEI. Das Institut erhält derzeit sehr viele Anfragen von Apothekern.

Den Fachinformationen zufolge sollen Personen, die bekanntermaßen nach Aufnahme von Hühnereiweiß durch Nah­rung mit anaphylaktischen Symptomen – Blutdruckabfall, Übelkeit, Darmspas­men, Lidschwellungen, Spasmen der Atemwege bis hin zum sogenannten ana­phylaktischen Schock – reagieren oder in einem Hauttest auf Eiproteine positiv re­agieren, nicht mit Impfstoffen, die Hühnereiweiß enthalten, geimpft wer­den.

Internationale Studien belegen je­doch, dass auch Kinder mit anamnestisch bekannter Hühnereiweißallergie gefahr­los gegen zum Beispiel Masern, Mumps und Röteln geimpft werden können. Das PEI verweist auf eine entsprechende Stellungnahme aus dem Jahr 2009. Eine Hühnereiweißallergie werde in internationalen und nationalen Leitlinien nicht mehr als Kontraindikation genannt.

Personen mit klinisch sehr schwerer Hüh­nereiweißallergie – zum Beispiel Schockreaktionen und Atemnot nach Genuss gerings­ter Mengen von Hühnereiweiß oder chro­nisches, therapiebedürftiges Asthma auf­grund einer Hühnereinweißallergie – soll­ten laut PEI unter besonderen Schutzmaßnahmen und anschließender Beobachtung, gege­benenfalls im Krankenhaus, geimpft wer­den.

Das wird Jaksche seinem Arzt nun mitteilen, der sich bei ihm nach den Möglichkeiten für die Impfung bei einigen seiner Patienten erkundigt hatte. Demnächst will der Apotheker bei einem Importeur nachfragen. Er will vorbereitet sein, wenn allergische Patienten in seiner Offizin nach alternativen Grippeimpfstoffen fragen: „Ab Oktober geht es ja richtig los.“

Ein Herstellungsverfahren von Grippeimpfstoffen ohne Eibasis hatte erstmals im Jahr 2001 der österreichische Virologe Dr. Otfried Kistner vorgestellt: Auf dem Treffen der American Chemical Society präsentierte der damalige Direktor des Forschungsprojekts von Baxter den Impfstoff aus inaktivierten Viren.

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis gehörte zu den ersten Herstellern, die in das neue Herstellungsverfahren investierten. Vor wenigen Jahren jedoch gab es öffentliche Kritik für Novartis und dessen Grippeimpfstoff Optaflu. Es stand im Verdacht, krebserregend zu sein. Zu diesem Zeitpunkt war Novartis' Rabattimpfstoff Begripal nicht lieferbar und Optaflu bot sich als Alternative an. Nach und nach hatte der Pharmakonzern die Impfstoffsparte abgestoßen. Für die Impfstoffe fand Novartis bioCSL und GSK als Käufer. Im Mai gab der Hersteller zudem bekannt, dass die Produktionsanlage der Zellkulturen in Marburg umgebaut werden soll. Laut Novartis werden dort ab 2018 biopharmazeutische Produkte gefertigt.

Außer dem auf Zellkulturen-basierten Herstellungsverfahren präsentierten deutsche Forscher vor vier Jahren eine neue noch schnellere Methode zur Produktion von Grippeimpfstoffen. Das Biotech-Unternehmen Curevac sowie Experten des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) waren in den Forschungen involviert. Das Verfahren basiert auf der Viruserbsubstanz, die in Messenger Ribonukleinsäure (mRNA) umgeschrieben wird und so die gewünschten Virusproteine für die Immunisierung bildet.