Großbritannien

OTC-Antibiotikum gegen Blasenentzündung

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Berlin -

Blasenentzündungen sind schmerzhaft und unangenehm, lassen sich mit einem Antibiotikum aber in der Regel unkompliziert behandeln. Derzeit braucht es dafür aber auch in Großbritannien eine ärztliche Verordnung. Dr. Kyle Knox, Allgemeinmediziner von der University of Oxford, fragt in der Fachzeitschrift „British Medical Journal“, warum das so ist: Eine Freigabe des Wirkstoffs Nitrofurantoin würde Arzttermine sparen.

In einer Zeit schnellen Informationsflusses, wachsender Autonomie bei den Patienten und überlasteten Arztpraxen sei es sinnvoll, sicheren Zugang zu einer effektiven Behandlung ohne die Kosten und Verzögerungen einer ärztlichen Beratung zu ermöglichen, schreibt Knox. Die Infektionen würden ohnehin relativ gleichförmig behandelt werden, da die Ursachen und Reaktionen auf orale Antibiotika in der Regel bekannt und vorsehbar seien, so der Mediziner.

Trotz klarer Richtlinien, eindeutigem Krankheitsprofil und kalkulierbarer Wirksamkeit und Sicherheit sei Nitrofurantoin nur auf Verschreibung erhältlich, moniert Knox. Er kritisiert, die Rx-Strategie reduziere den Einsatz von Antibiotika nicht, sondern sorge nur für größeren Aufwand in der medizinischen Grundversorgung in Arztpraxen. Darüber hinaus würden weitere Hürden im Zugang zu sicherer und effektiver Behandlung für Frauen aufgebaut.

Aufgrund der von der britischen Regierung verfolgten Strategie in Sachen Antibiotika-Resistenzen sei Großbritannien unter den europäischen Ländern mit der niedrigsten Verschreibungsrate von Antibiotika in der ambulanten Versorgung. Man könne davon ausgehen, dass betroffene Frauen versuchen würden, ohne Antibiotika auszukommen und offen wären für andere Behandlungsmethoden, so Knox. Auch nach 50 Jahren, die Nitrofurantoin nun eingesetzt werde, schlage der Wirkstoff daher in fast 90 Prozent der Fälle an.

Schwangerschaftstests, Notfallkontrazeptiva und Malariaprophylaxe-Mittel seien in britischen Apotheken bereits ohne Rezept verfügbar. Die Pharmazeuten würden für die Compliance- und Risikenbewertung während einer Opioidsubstitutionstherapie zu Rate gezogen. Diese Beispiele zeigten, dass es durchaus möglich sei, den Zugang zu komplexen Diagnose- und Behandlungsmethoden in Apotheken auszulagern. Darüber hinaus gebe es bereits zwei Antibiotika, die rezeptfrei abgegeben werden dürften: Azithromycin bei komplikationsfreien Chlamydien-Infektionen und Chloramphenicol gegen Bindehautentzündung.

Eine entsprechende Änderung sei allerdings nur dann erstrebenswert, wenn sie von den betroffenen Frauen auch angenommen würde. Der Preisunterschied sei so gering, dass er wohl kaum als Argument dienen könne, schreibt Knox: 4,20 Euro für eine Drei-Tages-Therapie stünden 11,70 Euro für ein Rezept gegenüber. Es sei außerdem zu klären, wieviel Wert Patientinnen der ärztlichen Einschätzung beimessen, obwohl der Zugang zu einem Antibiotikum einfacher wäre. Unter Umständen könnten Betroffene mit schwerwiegenderen Harnwegsinfekten auch zu spät einen Arzt konsultieren. Das müsse erst geprüft werden, so der Mediziner.

Einfache Blasenentzündungen sind weit verbreitet. Etwa 30 Prozent aller prämenopausalen, sexuell aktiven Frauen werden im Alter von 26 Jahren mindestens einmal von einer bakteriellen Zystitis betroffen gewesen sein, heißt es in dem Artikel. Normalerweise verheilten die Infektionen auch ohne weitere Behandlung ohne Folge- oder Spätschaden, nur selten entwickelten sich Nierenentzündungen daraus. Eine Behandlung ziele vor allem darauf ab, die Schwere und Dauer der Symptome zu lindern.

Blasenentzündungen bei Frauen machen 1 Prozent der 300 Millionen Arztbesuche pro Jahr in Großbritannien aus. In 70 Prozent der Fälle ist der Erreger Escherichia coli für die Beschwerden verantwortlich. Eine Metaanalyse aus 32 Studien zeigte, das eine dreitägige Anwendung mit Antibiotika genau so wirksam sei wie eine fünf- bis zehntätige Behandlung, die auf die Linderung der Symptome abziele.

Die herkömmliche Diagnosemethode für Blasenentzündungen basiere auf einer Mittelstrahlanalyse des Urins der Patientin und werde anhand von mehr als 50 Jahre alten Grenzwerten gemessen, kritisiert Knox. Mehr als die Hälfte aller Diagnosen würden aber Bakterienzahlen unterhalb dieser Schwelle feststellen. Insoweit sei die Behandlung anhand von Erfahrungswerten weitaus kosteneffizienter als das herkömmliche Vorgehen.

Die meisten Frauen seien in der Lage, die klassischen Symptome zu beschreiben, die letztlich auch behandelt werden sollen, schreibt Knox. In der Diagnostik verlasse man sich heute darauf, dass die Patientinnen ein gutes Gefühl für ihre Beschwerden hätten, anstatt aufwändige Tests durchzuführen. Die drei klinischen Indizien Harndrang, nächtliches Wasserlassen und Flocken im Urin seien zu 82 Prozent zuverlässige Werte, um Infektionen des Harntrakts zu identifizieren.

Nitrofurantoin ist seit den 1950er Jahren auf dem Markt und weist in Kurzzeitanwendungen eine gute Verträglichkeit auf. Übelkeit und Blähungen seien die am stärksten verbreiteten Nebenwirkungen. Bei Menschen mit einer glomerulären Filtrationsrate von weniger als 45 ml/min sollte von einer Behandlung abgesehen werden, weil der Stoff über die Nieren ausgeschieden würde und insoweit keine therapeutische Konzentration im Urin erlangen könnte. Der Wirkstoff könne sogar bei Schwangeren eingesetzt werden.Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen für einen OTC-Switch der Substanz.

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