Wenn Influenza auf Covid-19 trifft

Grippeschutz: Zu niedrige Impfquoten, zu wenig Aufklärung APOTHEKE ADHOC, 17.11.2020 07:41 Uhr

Corona-Welle trifft Influenza-Saison: In diesem Winter treffen gleich zwei potenziell tödliche Erkrankungen aufeinander und belasten die Risikogruppen somit doppelt. Foto: Tero Vesalainen/shutterstock.com
Berlin - 

Die Grippeschutzimpfung scheint in diesem Jahr so begehrt wie noch nie zu sein – ein Nebeneffekt der Corona-Pandemie. Denn auch wenn es sich um zwei verschiedene Erkrankungen und Viren handelt, so überschneiden sich die Risikogruppen in weiten Teilen. Insgesamt sind die Impfquoten in Deutschland jedoch noch immer viel zu niedrig. Das liege auch an mangelnder Aufklärung, kritisieren Experten.

Jedes Jahr versuchen sich Ärzte und Apotheken auf die Grippesaison vorzubereiten. In diesem Jahr steht man dabei vor einer besonderen Situation: Denn auch die Zahl der Corona-Infektionen steigt erwartungsgemäß im Herbst deutlich an. Als klassische Grippesaison gilt der Zeitraum zwischen Anfang Oktober und Mitte Mai – die Hauptsaison für Influenza steht damit noch bevor.

60+: Nur 35 Prozent sind geimpft

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Senioren einen Durchimpfungsgrad von 75 Prozent – in Deutschland sind jedoch grade einmal 35 Prozent der über 60-Jährigen gegen die Grippe geimpft. Professor Dr. Klaus Wahle, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin und Diabetologie, sowie ehemaliges Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO), empfindet dies als „Katastrophe“. Er findet, das größere Interesse an der Influenza-Impfung sollte genutzt werden, um die Bedeutung zu unterstreichen – „nicht nur für einen Individualschutz, sondern einen Bevölkerungsschutz“, erklärt er.

Wichtig seien dafür nicht nur die Standardimpfungen, sondern auch die Indikationsimpfungen – beispielsweise bei gesundheitlichen Vorschädigungen wie chronischen Erkrankungen, einer Gefährdung durch die Lebensweise oder beruflicher Gefährdung. Diese würden derzeit jedoch nur unzureichend umgesetzt. In den unteren Altersklassen seien die Impfquoten deshalb extrem niedrig. Erst ab einem Alter von etwa 70 Jahren würden die Quoten langsam steigen. Doch auch hier ist noch Luft nach oben.

Impfquoten durch offene Kommunikation steigern

Die Angst vor Covid-19 ist in diesem Jahr sehr präsent. „Doch auch die Influenza kann jeden von uns treffen – nicht nur Covid-19“, gibt Wahle zu bedenken. Wichtig sei in Bezug auf die Grippeschutzimpfung eine „unvoreingenommene, ehrliche Kommunikation“. Besonders wichtig sei beispielsweise eine Aufklärung in Bezug auf die Wirksamkeit der Vakzine.

Die Effektivität der Schutzimpfung liegt bei etwa 30 Prozent – „sie schützt damit nicht unbedingt vor einer Infektion“, erklärt Wahle. Das heiße jedoch nicht, dass der Schutz nicht funktioniere. Bei einer regelmäßigen Impfung würde das Risiko für Hospitalisierungen oder Behandlungen auf der Intensivstation signifikant sinken. „Die Impfung schützt damit vor Tod und schweren Verläufen.“

Auch widersprüchliche Aussagen zu Grippeimpfstoffen müssten klar kommuniziert werden: So würden sich beispielsweise Gerüchte über Nebenwirkungen oder Krankheitssymptome unmittelbar nach der Verabreichung hartnäckig halten und viele Menschen von einer Impfung abhalten. Einen wesentlichen Aspekt, der die Impfquoten erhöhen könnte, sieht Wahle zudem in einer Auswahl des passenden Impfstoffs für den jeweiligen Patienten und seine Bedürfnisse.

Reichen die Grippeimpfstoffe aus?

Die Verteilung der Grippeimpfstoffe sorgt regelmäßig für Probleme. Auch in der aktuellen Saison wurde bereits über massive Engpässe berichtet. Patienten warten auf ihre Vakzine, Apotheken beklagen laut einer aposcope-Umfrage deutliche Ausfälle: Knapp drei von vier Apotheken haben derzeit keine Ware vorrätig, die meisten warten auf Nachlieferungen und haben bereits lange Wartelisten angelegt, die bei Nachschub abgearbeitet werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die Abda sehen jedoch keine Engpässe – als Grund für die fehlende Ware wird die sukzessive Verteilung der Impfstoffdosen angegeben. Seit kurzem ist die nationale Reserve im Handel, um aufzustocken.

Sollten die Impfstoffe tatsächlich nicht ausreichen, ist eine Nachproduktion kaum möglich – rund zwölf Monate dauere die Produktion, erläutert Deborah Di Salvo, Geschäftsführerin von Seqirus. Während also der Impfstoff für die aktuelle Saison knapp werden könnte, sind die Hersteller schon fast im Betrieb für die nächste Grippesaison. Die Vorbestellung sei ohnehin schon schwierig zu kalkulieren, in dieser Saison sei die Bestellung der Grippeschutzimpfungen allerdings besonders herausfordernd gewesen, erklärt Wahle. „Keiner hat gewusst, dass wenige Wochen später die Covid-Welle kommt.“ Es bleibt also abzuwarten, ob die erhöhte Nachfrage gedeckt werden kann.

Ein weiterer Aspekt, der ersten Berichten zufolge diskutiert wird, ist eine mögliche Schutzwirkung der Influenza-Vakzine auf Infektionen mit Sars-CoV-2. Dr. Raja Rajaram, Head of Medical Affairs für Europa von Seqirus, weist jedoch darauf hin, dass es für aussagekräftige Daten in diesem Bereich noch zu früh sei. Bisher sei es nur in wenigen Fällen zu einer Co-Infektion von Influenza und Covid-19 gekommen. Die Zukunft werde diesbezüglich womöglich weitere Daten liefern können.