Sars-CoV-2-Pandemie

Gefährdet „social distancing“ die Parkinson-Versorgung? APOTHEKE ADHOC, 16.04.2020 09:23 Uhr

Die medizinische Akutversorgung ist gewährleistet – doch wie sieht es mit Begleittherapien wie Ergo- und Physiotherapie oder Logopädie in Zeiten von „social distancing“ aus? Foto: Peakstock/shutterstock.com
Berlin - 

Der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zufolge ist die medizinische Akutversorgung von Parkinson-Patienten während der Sars-CoV-2 Pandemie gewährleistet. Die DGN-Kommission Bewegungsstörungen hat dennoch Bedenken: Aufgrund von „social distancing“ könnten Begleittherapien, die vor allem bei chronisch-progressiven Krankheitsbildern zum Einsatz kommen, nicht optimal durchgeführt werden. Dadurch bedingt könnte es zu einer Progression der Erkrankung kommen.

Morbus Parkinson kann bislang nur symptomatisch therapiert werden. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch den Untergang dopaminerger Neuronen. Die vier Hauptsymptome sind Rigor, Bradykinese, Akinese, Tremor sowie posturale Instabilität. Therapeutisch kommt derzeit in erster Linie Levodopa – die Dopamin-Vorstufe – zum Einsatz. Weiterhin können Dopaminrezepor-Agonisten wie Ropinirol und Pramipexol, Muscarinrezeptor-Antagonisten wie Biperiden, MAO-B-Hemmer (Selegilin, Rasagilin), COMT-Hemmer (Entacapon, Tolcapon), NMDA-Antagonisten (Amantadin) sowie Anticholinergika eingesetzt werden.

Komplexes Therapieregime ist gefährdet

Doch nicht nur die medikamentöse Therapie ist wichtig, auch verschiedene Begleittherapien wie Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie können die Einschränkungen des Patienten und die Lebensqualität verbessern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Um die Patienten bestmöglich zu versorgen und die Progression zu verlangsamen, sei eine komplexe, aus mehreren Bausteinen bestehende Therapie notwendig, die im Normalfall zahlreiche Patienten-Behandler-Kontakte erforderlich mache, erklärt die DGN-Kommission Bewegungsstörungen in ihrer Stellungnahme.

Zwar sei die Akutversorgung – beispielsweise bei Infekten, akinetischen Krisen oder Psychosen – während der Krise gewährleistet, die Strategie des „social distancing“ zur Pandemieeindämmung führe jedoch zu nennenswerten Einschränkungen bei der Behandlung von Patienten mit Parkinson-Krankheit: Die üblichen Kontakte zwischen Patient und Behandler, sowie viele gewohnte therapeutische Maßnahmen seien unmöglich – ein längeres Aussetzen könne den Behandlungserfolg gefährden, Einschränkungen der motorischen Fähigkeiten oder sprachlichen Fertigkeiten zur Folge haben und die Progression der Erkrankung fördern.

Ältere Patienten können digitale Angebote nicht nutzen

Viele Praxen würden mittlerweile digitale Angebote zur Verfügung stellen: So können zum Beispiel routinemäßige Präsenztermine per Videosprechstunde oder Telefon wahrgenommen werden. Weiterhin gäbe es zwar ebenfalls zahlreiche Apps und Internetangebote für Bewegungstherapien – viele Patienten seien allerdings nicht mit dem Internet und derartigen Angeboten vertraut und könnten diese daher nicht in Anspruch nehmen. „Gerade Betroffene mit fortgeschrittenem Krankheitsbild benötigen bei video- und internetbasierten Angeboten Unterstützung, die nicht immer gewährleistet ist.“ Selbst in Pflegeeinrichtungen sei die benötigte Unterstützung häufig aufgrund der erforderlichen Hygienemaßnahmen, welche das Personal oft über die Belastungsgrenze im Einsatz halten, nicht gegeben. Begleittherapien würden daher oft ersatzlos wegfallen: Dies führe zu einer schnelleren Progredienz der Erkrankung und einer Zunahme der Immobilisierung. Hinzu komme, dass die Vereinsamung durch das „social distancing“ Depressionen auslösen oder verstärken könne, was ohne regelmäßige Präsenztermine schwer zu diagnostizieren sei.

Familienangehörige oder Freunde könnten dennoch helfen: Tägliches Telefonieren beispielsweise könne die Vereinsamung verhindern. Außerdem trainiert der Patient dabei seine Stimme. Dies würde zwar keinen Logopäden ersetzen, sei aber dennoch wichtig. Ebenso wie das Trinkverhalten, welches von den Betreuungspersonen beeinflusst werden kann: „Viele Patienten trinken zu wenig, was dann zur Verwirrtheit und mitunter auch zu Harnwegsinfekten beitragen kann.“ Daher sollten Parkinson-Patienten regelmäßig an die Flüssigkeitsaufnahme erinnert werden. „Ebenso kann es hilfreich sein, die Patienten regelmäßig zu Bewegung und kreativen Tätigkeiten zu motivieren“, rät die DGN-Kommission.

Wichtig sei sicherzustellen, dass es perspektivisch nicht zu einer Unterversorgung komme – insbesondere bei älteren Patienten oder Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung. Denn häufig hätten die Patienten keine Angehörigen, die entsprechend unterstützen können. Grundsätzlich haben Parkinson-Patienten kein erhöhtes Infektionsrisiko für Sars-CoV-2, dennoch haben die meisten Patienten ein hohes Alter und noch andere Grunderkrankungen. Daher müsse diese Patientengruppe besonders geschützt werden.