Dem Virus zuvorkommen

Forscher wollen Mutationen vorhersagen

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Berlin -

Die verschiedenen Virus-Mutationen bereiten derzeit große Sorge: Nicht nur, weil sie ansteckender und tödlicher sind, sondern auch, weil es je nach Mutation zu einer verringerten Wirkung der Impfstoffe kommen kann. Zwar könnten diese nach Angaben der Hersteller relativ zeitnah angepasst werden, Forscher der Universität Graz wollen jedoch künftig vorsorgen und die Relevanz existierender – aber auch hypothetischer Corona-Varianten – vorhersagen. Dadurch könnten die Vakzine bereits frühzeitig optimiert werden.

Dass Viren mutieren ist bei Weitem nichts neues, in einer pandemischen Lage könnte dies jedoch weitreichende Folgen haben. „Wie jedes Virus, verändert sich auch Sars-CoV-2 unaufhörlich“, erklären Forscher des Bioinformatik-Unternehmens Innophore, des Austrian Centre of Industrial Biotechnology und der Universität Graz. Bislang können die Impfstoffhersteller auf solche Veränderungen nur rückwirkend reagieren und die Vakzine entsprechend anpassen. Das Forscherteam aus Graz möchte das jedoch ändern.

Impfstoff-Optimierung 2.0

Mithilfe von modernen AI-basierten Screeningmethoden und virtuellen Szenarien wollen sie „die Relevanz existierender, aber auch hypothetischer, zukünftiger Corona-Varianten studieren und vorhersagen“. Das soll es den Impfstoffherstellern erlauben, die vorhandenen Vakzine schneller zu optimieren, damit sie gegen unterschiedlichste Mutationen wirksam sind. Ziel der Forscher*innen sei es, gemeinsam mit den Herstellern frühzeitiger die Kontrolle über Epidemien zu erlangen. „Wie schnell neue Varianten sichtbar werden, hängt von der Art des Virus ab, aber auch von seiner Verbreitung. Je weiter ein Virus verbreitet ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich evolutionär begünstigte Mutationen durchsetzen“, erklärt Christian Gruber, CEO des Grazer Bioinformatik und AI-Unternehmens Innophore.

Seit Januar wird intensiv an den entstehenden Sars-CoV-2-Mutationen geforscht. Außerdem wird deren Relevanz und Gefahr eingeschätzt. „Dazu haben wir anfangs den strukturellen Aufbau des Virus erforscht, um zu verstehen, wie und an welcher Stelle es sich verändert beziehungsweise auch um vorherzusagen, wie es sich in Zukunft verändern könnte.“ In Zusammenarbeit mit internationalen Partnern habe man begonnen, kontinuierlich globale Sequenzdaten zu analysieren. „Das war schon zu Beginn bei unseren Arbeiten mit dem Chinese Center for Desease Control and Prevention und später mit der Harvard Medical School und Google relevant und musste zum Teil bei Wirkstoffsuchen berücksichtigt werden“, erklärt Gruber.

Mehr als eine halbe Million Genom-Sequenzierungen wurden bis heute global durchgeführt – eine gute Basis für die Beobachtungen zur Ausbreitung und Veränderung der Virus-Varianten. „Nun wissen wir zum Beispiel, dass Veränderungen im gesamten Genom des Virus vorkommen und dass diese mitunter direkte Auswirkungen auf Ansteckung und Übertragung haben. Das zeigt sich aktuell bei der B.1.1.7 Variante, entdeckt in Großbritannien, gefolgt von der B.1.351 Variante aus Südafrika und der brasilianischen Variante B.1.1.28 P.1.“

KI sagt Relevanz und Gefährlichkeit voraus

Die künstliche Intelligenz ist bei der Forschung ein wichtiger Bestandteil: „Basierend auf den global nun vermehrt durchgeführten Sequenzierungen können wir durch AI und Modellierungsmethoden virtuell verschiedene Szenarien berechnen.“ Indem die Daten mit klinischen und im Labor durchgeführten Beobachtungen abgeglichen werden, könnten die Vorhersagemodelle zusätzlich verbessert werden. „Mit anderen Worten versetzen wir uns in die Lage des Virus: Wie reagiert es, welche Mutationen kann es ausbilden? Dadurch können die Veränderungen und die Relevanz existierender, aber auch hypothetischer Corona-Varianten prognostiziert und auf atomarer Ebene studiert werden.“ So könnte die Gefährlichkeit von Mutationen bereits abgeschätzt werden, noch bevor sich das Virus verändert. „Damit werden wir dem Virus einen Schritt voraus sein.“

In einer Studie der Grazer Forscher*innen wird die Methode bereits getestet: Im Zuge der Untersuchung werden momentan noch weniger verbreitete Mutationen untersucht, die strukturell auffällig sind. Die Veränderung befindet sich an der Stelle „Serin 477“ – dadurch könnten die Varianten stärker an menschliche Zellrezeptoren binden und somit hochrelevant werden. „Die erstmals in Wien aufgetretene Variante S477G findet man nun in acht Ländern. Mit der S477N-Virusmutation haben sich, aktuellen Zahlen zufolge, über 27.000 Menschen weltweit infiziert.“

Biontech habe bereits auf die Arbeit der Forscher*innen reagiert und die Daten bestätigt. „Solche Ergebnisse stellen insofern eine Riesenchance für alle Impfstoffhersteller dar, da diese Modelle dazu beitragen, dass die Industrie Impfstofflinien vorbereiten und entwickeln kann, die auch noch unbekannte und womöglich gefährlichere Mutationen abfedern können“, erklärt Gruber. „Anders als ein Medikament, mit der eine bereits bestehende Erkrankung behandelt wird, wirken Impfstoffe präventiv – also noch bevor es zu einer Erkrankung kommt. Ab dem Zeitpunkt der Impfung können keine Anpassungen mehr durchgeführt werden.“ Deshalb seien Vorhersagen möglicher Virusvarianten bei der Herstellung von Impfstoffen sehr wichtig. „Die enge Zusammenarbeit von Grundlagenforschung und Industrie hat uns in weniger als einem Jahr zu Lösungen geführt, die eine aktive Epidemiebekämpfung ermöglichen.“ Jetzt sei es nötig, diese Kooperationen zu institutionalisieren und auf Dauer auszulegen, um global gegen Viruserkrankungen vorbereitet zu sein.

 

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