Skabies-Medikamente

Infectopharm will Importe ersetzen Carolin Bauer, 01.10.2015 09:18 Uhr

Berlin - 

Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen fordert von Behörden im Notfall schnellen Einsatz. Bei einem Skabies-Ausbruch in einer Hamburger Unterkunft mussten Betroffene wochenlang auf Arzneimittel warten. Denn bisher sind zur Behandlung von Krätze nur Cremes zugelassen. Ivermectin-haltige Tabletten mussten importiert werden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat für solche Notfälle eine Sonderregelung geschaffen. Infectopharm will im kommenden Jahr eine orale Darreichungsform auf den Markt bringen.

Krätze ist angesichts der eingeschränkten Hygienebedingungen von Flüchtlingen während ihrer Reise und den vollen Unterkünften ein Problem. Im Hamburger Erstaufnahmelager Jenfelder Moorpark ist die Situation zuletzt eskaliert. Gesundheitsbehörde und Betreiber mussten wegen eines Ausbruchs Arzneimittel für alle Bewohner besorgen. Dazu mussten gemäß der Regelung für Einzelimporte für alle namentliche Rezepte ausgestellt werden.

Bei der Lieferung der Tabletten mit Ivermectin habe es Verzögerungen gegeben, sagt eine Sprecherin des Betreibers „fördern und wohnen“. „Das zog sich über Wochen hin.” Die Flüchtlinge seien zwischenzeitlich mit Creme behandelt worden. Es sei schwierig sicherzustellen, dass alle 700 Menschen komplett eingecremt seien, sagt sie.

Als die in Frankreich bestellten 750 Dosen Ivermectin eintrafen, wurden die Flüchtlinge für einen Tag in die Messehallen verlegt. Dort wurden die Tabletten verabreicht, neue Kleidung gestellt und gleichzeitig die Unterkunft gereinigt. Während der Behandlung waren rund 60 Ärzte, Sanitäter und 30 Dolmetscher im Einsatz. Außerdem halfen 25 Freiwillige mit. Die Kosten für die Arzneimittel hat die Innenbehörde der Stadt getragen.

Nur etwa ein Viertel der rund 700 Bewohner waren laut „fördern und wohnen“ zu diesem Zeitpunkt noch erkrankt. Bei vielen sei der Hautausschlag nach der Therapie mit Creme wieder abgeklungen. „Doch in einem Zeltdorf, wo viele Menschen sehr nah beieinander leben, ist die Gefahr groß, dass man sich wieder neu ansteckt“, sagt Bereichsleiterin Melanie Anger. Deshalb seien sicherheitshalber alle Menschen behandelt worden.

Infectopharm arbeitet derzeit an der Einführung einer oralen Darreichungsform von Ivermectin. Hierzulande sei Skabies leitliniengerecht nur mit topischer Permethrin-Creme therapierbar. „Tabletten sind bei einer solchen epidemischen Infektion, wie wir sie derzeit in den Flüchtlingsunterkünften beobachten, einfach besser”, sagt Geschäftsführer Dr. Markus Rudolph. Bislang gebe es keine Zulassung für den deutschen Markt. Der hessische Hersteller erwartet, das Produkt Mitte 2016 auf den Markt zu bringen.

Angesichts der Situation in Flüchtlingsheimen hat der hessische Hersteller auch bei der Politik um Unterstützung geworben. „Wir haben an die unterschiedlichsten politischen Ebenen appelliert und versucht klar zu machen, dass ein Problem vorliegt,”, so Rudolph. Der Markt in Frankreich sei angesichts der starken Nachfrage leer gefegt. Tabletten seien bei Massenunterkünften die bessere Behandlungsmethode, da der Aufwand im Gegensatz zur Creme geringer sei.

Das Unternehmen hat mit Infectoscab (Permethrin) eine Creme auf dem Markt; das Präparat ist verschreibungspflichtig und seit Ende 2004 erhältlich. Der Hersteller beobachtet seit Jahresanfang einen steigenden Absatz. Die Lieferfähigkeit sei kein Problem, so Rudolph. Das Präparat wird auch in Österreich und Frankreich vertrieben. Es hilft laut Infectopharm anders als die Wirkstoffe Benzylbenzoat oder Crotamiton in 95 Prozent der Fälle nach der ersten Behandlung gegen Skabies.

Das BMG hat auf den Massenausbruch in Hamburg reagiert: Im Notfall dürfen die zuständigen Behörden der Länder vorübergehend von den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes abweichen, um auch eine Behandlung mit Arzneimitteln zu ermöglichen, die nicht zugelassen sind. „Ausbrüche der Skabies sind dann als bedrohliche übertragbare Krankheit einzuordnen, wenn sie aufgrund schwerer Verlaufsformen oder der Gefahr ihrer raschen ­Weiterverbreitung eine Gefährdung der Bevölkerung darstellen können.“

Die Gesundheitsminister der Länder hatten im Sommer vorgeschlagen zu prüfen, „ob die Zulassung für Ivermectin-haltige Arzneimittel erleichtert werden kann“. Damit verfolgen die Minister das Ziel, Herstellern die Entscheidung zu erleichtern, eine Zulassung zu beantragen. Außerdem solle das BMG eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage für die Meldung von Skabies-Erkrankungen schaffen.

Krätze wird durch den Erreger Sarcoptes scabiei var. hominis bei Körperkontakt übertragen. Die indirekte Übertragung über Textilien spielt nur eine unwesentliche Rolle. Epidemien treten laut Robert Koch-Institut (RKI) typischerweise in Institutionen wie Kindergärten, Einrichtungen für Behinderte, Gefängnissen, Altersheime und Krankenhäusern auf.