Antidot als Therapieoption

Desferal gegen Covid-19 Alexandra Negt, 20.04.2020 13:53 Uhr

Desferal (Deferoxamin) könnte womöglich die Schwere von Covid-19-Verläufen positiv beeinflussen, davon gehen iranische Wissenschaftler aus. Diese Annahme wird aktuell in einer doppelblinden Studie überprüft. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Desferal ist ein Arzneimittel zur Behandlung von Eisenvergiftungen. Es enthält den Wirkstoff Deferoxamin, der eine hohe Affinität gegenüber dreiwertigen Eisenionen aufweist und mit den Kationen Chelatkomplexe bildet. Hierdurch kommt es zur Maskierung von unerwünschten Wirkungen der Metallionen bei einer Intoxikation. In einer randomisierten doppelblinden Studie mit 50 Probanden soll nun untersucht werden, ob das Novartis-Präparat die Schwere von Covid-19-Verläufen senken kann. In die Studie mit einbezogen werden Patienten, die während Covid-19 eine Lungenentzündung ausgebildet haben.

Wissenschaftler der iranischen Kermanshah University of Medical Sciences forschen aktuell an der Wirksamkeit von Desferal bei Sars-CoV-2 Infektionen mit gleichzeitiger Lungenentzündung. Sie vermuten, dass Deferoxamin die Schwere der Pneumonien verringern kann. Die Studie überprüft die Auswirkungen einer intravenösen Desferal-Injektion parallel zur Standardbehandlung von Sars-CoV-2-Infektionen, die von Lungenentzündungen begleitet werden.

An der randomisierten doppelblinden Studie nehmen 50 Probanden teil. Mit ersten Ergebnissen rechnen die Forscher im September. Zum einen wollen sie herausfinden, ob Deferoxamin die generelle Sterblichkeitsrate senken kann, zum anderen soll geschaut werden, ob der Verlauf von Covid-19 gemildert werden kann. Die Wissenschaftler wollen hierfür die klinischen, labortechnischen und radiologischen Befunde beider Gruppen vergleichen.

Die Vermutung, dass eine intravenöse Gabe des Eisen-Antidots zu weniger schweren Verläufen führen könnte, stützt sich auf dem Wissen, dass ein Virus sich am besten in einer eisenreichen Wirtszelle repliziert. Die iranischen Wissenschaftler ziehen hierfür Ergebnisse aus früheren Studien heran, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen dem Metall und Viren beschäftigt haben.

Einige grundlegende Zellvorgänge benötigen Eisen. Im Körper des Menschen kommt Eisen in Enzymen (Zytochromen, Peroxidasen, Katalase), in Hämoglobin und Myoglobin vor. Als Reserve-Eisen ist das Metall in Form von Ferritin und Hämosiderin gespeichert. Wissenschaftler der Oxford University haben bereits vor zehn Jahren herausgefunden, dass einige Viren dazu in der Lage sind, selektiv eisenreiche Zellen zu infizieren, indem sie während des Zelleintritts an einen Transferrinrezeptor binden. Bei anderen Virusinfektionen wie HIV und Hepatitis C ist eine Eisenüberladung mit einer schlechten Prognose verbunden.

Innerhalb der Virus-Wirtszellen-Beziehung scheint Eisen eine wichtige Rolle zu spielen. Auch Wissenschaftler der medizinischen Universität Innsbruck konnten 2014 in Laborexperimenten zeigen, dass eine schlechte Eisenhomöostase den Verlauf einer Virusinfektion zugunsten des pathogenen Eindringlings beeinflussen kann. Unter der Eisenhomöostase versteht man den Eisenstoffwechsel, also die Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Eisen im Organismus. Eine pharmakologische Veränderung des Eisenvorkommens im Körper könnte die Resistenz des Wirts gegen intrazelluläre Pathogene erhöhen.

Wissenschaftler aus Utrecht konnten bereits zeigen, dass Eisen die Replikation des HI-Virus beeinflussen kann – eine Verringerung der Eisenverfügbarkeit konnte die HIV-1-Replikation teilweise hemmen. Die Wissenschaftler untersuchten die Wirkstoffe Deferoxamin und Deferipron. Beide Arzneistoffe bilden nach Verabreichung katalytisch inaktive Eisen-Chelat-Komplexe. Die Forscher konnten ebenfalls einen synergistischen Effekt ausmachen: Wurden beide Stoffe parallel gegeben, wurde die HIV-1-Replikation noch effektiver gehemmt. Diese Beobachtungen führten die niederländischen Wissenschaftler zu der Annahme, dass Eisenchelatbildner mit unterschiedlichen Wirkmechanismen bei der antiretroviralen Kombinationstherapie von zusätzlichem Nutzen sein könnten.