Diagnostika

Biomarker für Reizdarm entdeckt Deniz Cicek-Görkem, 24.04.2018 14:50 Uhr

Diese Mikroorganismen sind unerlässlich für eine intakte Darmflora, können aber auch schädigende Wirkungen verursachen. Sie produzieren Trimethylamin (TMA), das beim Konsum bestimmter Nahrungsmittel entsteht. Foto: Pixabay
Berlin - 

Beim Reizdarmsyndrom (RDS) werden organische Ursachen ausgeschlossen, die genauen Ursachen sind nicht vollständig geklärt. Ein internationales Team unter maßgeblicher Beteiligung der Technischen Universität München (TUM) liefert nun erste Hinweise auf die organischen Auslöser der Erkrankung, wie im Fachjournal „Public Library of Science“ (PLOS) nachzulesen ist.

Definitionsgemäß liegt die Krankheit des RDS vor, wenn chronische, das heißt länger als drei Monate anhaltende Beschwerden wie Bauchschmerzen und Blähungen bestehen, die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen. Zweitens sollen die Beschwerden begründen, dass der Patient deswegen Hilfe sucht, und so stark sein, dass die Lebensqualität hierdurch relevant beeinträchtigt wird. Voraussetzung ist dabei, dass keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vorliegen, welche wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind. Für die Diagnosestellung des RDS müssen derzeit alle drei Punkte erfüllt sein.

Doch bald könnte die Ausschlussdiagnose der Vergangenheit angehören. Denn Wissenschaftler um Professor Dr. Michael Schemann vom Lehrstuhl für Humanbiologie der TUM haben in Kooperation mit weiteren Kollegen an einer Nachweismöglichkeit des Reizdarmsyndroms aufgrund einer organischen Veränderung geforscht und Indizien für körperliche Ursachen erhalten. „Bisher werden Magen-Darm-Beschwerden nur aufgrund des Ausschlussprinzips diagnostiziert“, sagt Schemann. „Deshalb ging es uns darum, einen Biomarker zu finden, der ein Reizdarmsyndrom, zumindest bei einer bestimmten Patientengruppe, anzeigt.“

Als wichtigen auslösenden Faktor der Erkrankung wird eine veränderte Aktivität der Nerven in der Darmwand betrachtet. Schleimhautbiopsie-Überstände von Reizdarm-Patienten lösen eine erhöhte Nervenaktivität aus, während Überstände von gesunden Probanden keinerlei Wirkung zeigen. Die Forscher konnten nachweisen, dass die nervenaktivierende Wirkung der Reizdarm-Überstände im Wesentlichen durch bestimmte Proteasen vermittelt wird, die den Protease-aktivierten Rezeptor PAR1 stimulieren. Den Analysen der Wissenschaftler zufolge gibt es ein Reizdarm-spezifisches Proteinmuster, insbesondere ein Reizdarm-typisches Proteaseprofil.

Mithilfe der Proteomanalyse konnten sie 204 Proteine identifizieren, deren Konzentration in den Reizdarm-Überständen gegenüber den Biopsien von gesunden Probanden oder Patienten mit Colitis ulcerosa unterschiedlich hoch waren. Darunter waren vier Proteasen, die ausschließlich in den Überständen von Reizdarmpatienten erhöht waren: Elastase 3a, Chymotrypsin C, Proteasom Untereinheit Typ beta-2 und eine unsepzifische Unterform von Komplementsfaktor C3.

Zuletzt experimentierte das Team mit einem Proteasehemmer eines probiotischen Bifidobacterium longum-Stammes. Dieser Antagonist blockierte die durch den Reizdarm-Überstand ausgelöste Nervenaktivierung. „Zusammenfassend können wir sagen, dass das Proteasen-Profiling eine vielversprechende Strategie zur Entwicklung von Reizdarm-Biomarkern ist“, so Schemann. „Sie stellen weitere Hinweise für definierte organische Ursachen des Reizdarmsyndroms dar.“

Es ist bekannt, dass RDS-Patienten eine genetische Prädisposition aufweisen. Diese haben Störungen der intestinalen Barriere, Motilität, Sekretion und/oder viszeralen Sensibilität. Zudem ist die Krankheit oft mit einer Störung des enteralen Immungleichgewichts assoziiert. Weiterhin ist die Sympathikus-Parasympathikus-Aktivierung und auch die Darmflora verändert. Bei einem Teil der Betroffenen ist die Erkrankung spontan rückläufig, häufig aber auch chronisch verlaufend. Es besteht keine gesteigerte Koprävalenz mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, aber durchaus mit schwerwiegenden anderen Erkrankungen, wie beispielsweise Depression.