Antibiotika-Alternative

Bakteriophagen gegen multiresistente Keime Deniz Cicek-Görkem, 13.10.2017 12:49 Uhr

Berlin - 

Bakteriophagen sind Viren, die Bakterien befallen und abtöten. Während diese in Osteuropa sogar therapeutisch eingesetzt werden, ist in der westlichen Welt der Einsatz als Arzneimittel relativ unbekannt. Deutsche Wissenschaftler der Universität Hohenheim sehen ein hohes Potenzial für den Einsatz in der Medizin, der größte Vorteil dürfte in der Therapie von multiresistenten Keimen liegen. Kürzlich fand das 1. Deutsche Bakteriophagen-Symposium in Stuttgart statt. Nicht nur die Forscher zeigten großes Interesse an dem Thema, sondern auch deutschen Zulassungsbehörden sowie Pharmaunternehmen.

„Vom Schnupfen über Durchfall bis zur Lungenentzündung: Bereits jetzt lassen sich bakterielle Infekte bei Mensch und Tier mithilfe von dafür geprüften Bakteriophagen bekämpfen“, erklärt Dr. Wolfgang Beyer, wissenschaftlicher Direktor des 1. Deutschen Bakteriophagen-Symposiums. Seiner Ansicht nach müsse der Therapieansatz auch in Deutschland und Westeuropa Einzug in die Medizin finden, denn bislang erschwerten fehlende Regelungen therapeutische Anwendungen. „Derzeit gibt es keine zugelassene Form dieser Viren in Deutschland“, so Beyer. Sie seien nur in Form eines compassionate-use im Sinne der Helsinki-Deklaration einsetzbar. Oftmals als letzte Therapieoption, wenn es schon spät ist für den Patienten.

Der Wirkmechanismus sei einfach: „Für jedes krank machende Bakterium gibt es einen passenden Phagen, der es zerstört. Man muss nur den richtigen finden. Dann lassen sich viele Infektionen bekämpfen – ganz ohne oder auch in Kombination mit Antibiotika.“ Eine Lösung könne ein standardisierter Phagen-Mix sein, der viele Infektionen therapieren könne. In schwierigeren Fällen könne ein Antibiogramm erstellt werden, so dass der dazu passende Phage gesucht wird – im Sinne einer personalisierten Medizin.

„In Osteuropa gibt es Phagen-Mischungen rezeptfrei in der Apotheke zu kaufen“, berichtet Bayer von seinen Auslandsreisen. In Deutschland stecke dieses Thema dagegen noch in den Kinderschuhen: „Es ist zwar nicht verboten, Phagen in Deutschland zu vertreiben. Um sie als zugelassenes Arzneimittel auf den Markt zu bringen, sind allerdings teure und langwierige Tests nötig“, so der wissenschaftliche Direktor. Es sei wichtig, dieses Zulassungsverfahren zu beschleunigen, denn die gängigen Antibiotika würden zunehmend versagen im Kampf gegen multiresistente Keime. Die Behörden hätten ein generelles Interesse daran: „An der Konferenz nahmen auch Vertreter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) teil.“

Diese besonderen Viren, die nicht nur in der Arzneimitteltherapie, sondern auch in der Lebensmittelhygiene eingesetzt werden können, wurden Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt. Am Pariser Institut Pasteur forschte man dazu in den 1930er-Jahren ebenso wie im georgischen Tiflis. Als Pionier der Bakteriophagen-Forschung gilt der georgische Bakteriologe Georgi Eliava. Er gründete zusammen mit dem kanadischen Mikrobiologen Félix Hubert d’Hérelle in Tiflis das Georgi-Eliava-Institut für Bakteriophagen, Mikrobiologie und Virologie, das auch heute noch existiert.

„Dass Bakteriophagen von der medizinischen Forschung in Deutschland und der westlichen Welt so lange nicht beachtet wurden, hat historische Gründe“, sagt Beyer. Mit der Spaltung Europas in Ost und West und dem Siegeszug des Penicillin seien diese speziellen Viren nach 1945 zunehmend in Vergessenheit geraten. „Dank des erfolgreichen Einsatzes der Antibiotika hatte man im Westen schlicht keinen Bedarf an Bakteriophagen“, erklärt Beyer. „Heute, im Kampf gegen multiresistente Keime, sieht das anders aus.“

Um die Forschung voranzureiben und eine Vernetzung der Wissenschaftler zu ermöglichen, wurde am 1. Deutschen Bakteriophagen-Symposium die Gründung des Netzwerks „Nationales Forum Phagen“ beschlossen. Der Wissenschaftler Beyer begrüßt das und wünscht sich, dass innerhalb der Zulassungsregularien ein Weg gefunden wird, um die Phagen in der ambulanten und stationären Therapie zur Anwendung kommen zu lassen. In Zeiten der Antibiotikaresistenzen sei dies von sehr großer Bedeutung. Georgien mache es vor: Es gebe dort aufgrund der Verwendung dieser Viren keine Antibiotikaresistenzen. „Wir brauchen die Bakteriophagen als Alternative, und zwar jetzt“, sagt Beyer.