AMK schlägt Alarm

Atropin-Vergiftungen nach Apotheken-Rezeptur

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Berlin -

Albtraum für eine Apotheke: Gleich bei drei Patienten traten nach Einnahme homöopathischer Atropin-Rezepturen deutliche Hinweise auf eine Intoxikation auf. Nachdem Arzneimittelkommission (AMK) und Zentrallaboratorium (DL) eingeschaltet wurden, konnte der Sachverhalt aufgeklärt werden. Die AMK fordert Konsequenzen.

Bei einem 56-Jährigen und einem 62-jährigen Mann traten etwa 15 Minuten nach der Einnahme von 30 Tropfen der in der Apotheke hergestellten homöopathischen Atropin-Lösungen typische Vergiftungssymptome auf, wie die AMK berichtet. Dazu gehörten Geschmacks- und Sehstörungen, Unwohlsein, Sprachstörungen und Benommenheit. Beide mussten vom Notarzt beziehungsweise im Krankenhaus behandelt werden. Eine 76-jährige Patientin musste sogar zweimal stationär aufgenommen werden, nachdem sie im Abstand von vier Tagen eine ähnliche Rezeptur eingenommen hatte. Auch bei ihr traten Symptome wie Schwindel und trockener Mund sowie Bluthochdruck und Verwirrtheit auf.

Nachdem die behandelnden Ärzte bei den beiden Männern aufgrund der geweiteten Pupillen zunächst einen Alkohol- beziehungsweise Drogenkonsum vermuteten, ergab im ersten Fall eine Blutanalyse eine Atropin-Konzentration von 18 ng/ml, wobei laut AMK der zeitliche Abstand zwischen Einnahme und Blutentnahme nicht bekannt ist. Damit war eine signifikante therapeutische Plasmakonzentration erreicht, die laut AMK bei 2 bis 25 ng/ml liegt. Das obere Ende der Spanne wird eigentlich nur nach wiederholter i.v.-Gabe von Atropin zur Behandlung einer Organophosphatintoxikation unter Beobachtung der klinischen Symptomatik erreicht.

Wie konnte es dazu kommen? Die Apotheke hatte die homöopathischen Rezepturen auf Verordnung einer Heilpraktikerin hergestellt. Dazu wurde zunächst eine bestellte Dilution Atropinum sulfuricum D4 im Verhältnis 1:10 (M/M) verdünnt. Diese verdünnte Lösung (D5-Dilution, „Spasmon“) wurde dann patientenindividuell mit drei anderen Homöopathika gemischt, wobei der Anteil der D5-Dilution jeweils 50 Prozent (M/M) betrug.

Aufgrund der Häufung der Fälle und der Symptomatik vermutete die Apotheke einen Qualitätsmangel bei der gelieferten Dilution und nahm Kontakt mit dem Hersteller auf. Dort versicherte man, dass die Qualität einwandfrei sei.

Parallel analysierte das ZL die Rezepturen und stellte einen Gehalt von 3,52 – 4,07 mg/g Atropinsulfat fest. Bei der D5-Mischung wurde wie erwartet ein doppelt so hoher Gehalt von 7,69 mg/g nachgewiesen. Damit war der Atropin-Gehalt in allen untersuchten Lösungen laut AMK um bis zu Faktor 800 zu hoch.

Aufgrund der Herstellungsprotokolle und in Zusammenschau mit den Laborbefunden konnte laut AMK ausgeschlossen werden, dass die Zubereitung in der Apotheke zu der festgestellten Gehaltsabweichung geführt hatte, zumal der letzte Schritt zur Herstellung der gebrauchsfertigen Lösung aufgrund der Analytik nachweislich korrekt war.

Daher wurde der Hersteller erneut aufgefordert, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Nunmehr räumte das Unternehmen eine Verwechslung ein: Nach Kontrolle der Lagerbestände habe man feststellen müssen, dass D4-Dilution und Urtinktur verwechselt und fehlerhaft deklariert waren.

Statt der D4-Dilution war in der Apotheke also die Urtinktur verarbeitet worden. Dass die Zubereitung nicht um den Faktor 1000 zu hoch dosiert war, lässt sich laut AMK vermutlich auf methodische Unterschiede und die komplexen Gemische zurückführen.

Auf Wunsch der AMK ermittelte das ZL die jeweils verabreichten Einzeldosen; hierzu wurde das Gewicht der aus den sichergestellten Flaschen abgegebenen Tropfen herangezogen: Die Patienten nahmen demnach zwischen 2,7 und 4,6 mg Atropinsulfat pro Dosis ein.

Aus pharmakologisch-toxikologischer Sicht waren die geschilderten Nebenwirkungen plausibel: Ab einer Dosis von 1 mg peroral verabreichtem Atropinsulfat können laut AMK Durstgefühl, erhöhte Körpertemperatur, erhöhte Herzfrequenz nach initialer Bradykardie, milde Arrhythmien, beginnende Dilatation der Pupillen, Verlust der Akkommodation, Lichtscheue und Zunahme des Augendruckes auftreten. Bei Anwendung höherer Dosen verstärken sich diese Effekte und es treten zentralnervöse Reaktionen wie Schwindel, Gangunsicherheit, Unruhe, Verwirrtheit und Erregung auf.

Die AMK weist darauf hin, dass bei der Herstellung von homöopathischen Atropinsulfat-Lösungen eine Gehaltsbestimmung laut Homöopathischem Arzneibuch nur für Urtinktur oder D1-Dilution vorgesehen ist. Daher habe die Firma die D4-Dilution auch nicht bezüglich des Gehalts untersucht. Dieses Vorgehen sei in Anbetracht des beschriebenen Risikos abzulehnen, so die AMK. Dies gelte auch für andere potenziell toxische Urtinkturen.

Apotheker:innen, die Atropin-haltige Homöopathika beziehen und weiterverarbeiten, sollten sich laut AMK daher im Sinne des vorbeugenden Patientenschutzes den Atropin-Gehalt von der Firma durch Analysezertifikate bestätigen lassen. Außerdem erscheine es ratsam, im Rahmen der Apothekenpraxis eine eigene Analytik zu etablieren. Hierzu habe das ZL eine Hilfestellung entwickelt. Apotheken sollten auf die beschriebenen Nebenwirkungen achten und Fälle, in denen unter Einnahme von individuell hergestellten Homöopathika mit potenziell toxischen Urtinkturen, melden.

Die betroffenen Patienten erholten sich: Die Nebenwirkungen besserten sich jeweils ein bis zwei Tage nach Abbruch der Einnahme. Eine vierte Patientin konnte vor der Einnahme der Rezeptur gewarnt werden.

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