Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Atherosklerose: Darmbakterien im Visier Deniz Cicek-Görkem, 12.06.2017 12:31 Uhr

Berlin - 

Neben Faktoren wie Übergewicht, Hypertonie und Diabetes werden auch Darmbakterien in Verbindung mit kardiovaskulären Erkrankungen gebracht. Grund dafür ist die Produktion des Stoffwechselprodukts Trimethylamin (TMA), das ernährungsbedingt beim Konsum bestimmter Nahrungsmittel entsteht. Bislang sind die Hintergründe nicht vollständig geklärt, da Daten zu den mikrobiellen Gemeinschaften fehlen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) haben eine spezielle funktionelle Diagnosemethode entwickelt, um das Potenzial der TMA-Bildung zu messen und spezielle Bakterienarten zu identifizieren. Die im Fachjournal „Microbiome“ veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass das Mikrobiom zukünftig ein Wirkort von Arzneimitteln werden könnte. 

Darmbakterien sind unerlässlich für eine intakte Darmflora: Sie unterstützen das Verdauungssystem, indem sie Nahrungsbestandteile in kleinere Teile aufspalten und Nährstoffe transportieren. In Fleisch und Eiern kommen zum Beispiel quartäre Ammoniumverbindungen wie Cholin und Carnitin vor. Mithilfe von Darmbakterien werden diese Stoffe in Trimethylamin (TMA) metabolisiert und im nächsten Schritt in der Leber enzymatisch zu Trimethylamin-N-oxid (TMAO) umgewandelt. Bakterielle Abbauprodukte können aber auch schädigend sein: Die Oxid-Verbindung fördert in bestimmten Immunzellen die Cholesterolaufnahme, was wiederum zur Plaquebildung führt. Somit wäre die Grundlage für eine Arteriosklerose geschaffen.

„Bisher gibt es zwar schon umfassende Erkenntnisse über TMA und dessen Einfluss für die menschliche Gesundheit“, sagt Dr. Marius Vital, Wissenschaftler in der HZI-Arbeitsgruppe „Mikrobielle Interaktionen und Prozesse“. Es sei aber noch sehr wenig über die Häufigkeit und die spezifische Zusammensetzung der verantwortlichen Mikrobengemeinschaften im Darm bekannt. Das sei einerseits mit dem geringen Vorkommen von TMA-Produzenten im Darm, andererseits aber vor allem mit fehlenden spezifischen Methoden zur Quantifizierung zu erklären.

Die wichtigsten Schlüsselenzyme des TMA-Syntheseweges sind die Cholin-TMA-Lyase und die Carnitin-Oxygenase. Um das Potenzial der mikrobiellen Darmgemeinschaften zur TMA-Bildung messbar zu machen, untersuchten die Forscher humane Stuhlproben von 50 Probanden. Bei allen Proben fand man potenzielle TMA-Produzenten. Dabei wurde die Lyase bei allen Organismen nachgewiesen, die Oxygenase dagegen nur bei etwa einem Viertel.

Für diese Enzyme errichteten die Forscher eine Gendatenbank, die sich auf mehr als 67.000 Genome stützt. Im nächsten Schritt wurden für sie genspezifische Assays erstellt, um die TMA-Produzenten aufgrund ihrer genetischen Fähigkeit zu identifizieren. Die Bestimmung der Anzahl dieser Darmorganismen erfolgte mit quantitativer Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und die anschließende Charakterisierung ihrer Zusammensetzung mittels DNA-Sequenzierung.

„Wir konnten über die molekularbiologische Suche nach den TMA-Schlüsselenzymen – ohne Kultivierung – Bakterien im Darm quantifizieren, die alle in der Lage sind, Trimethylamin zu produzieren. Durch die Sequenzierung konnten wir erkennen, dass es sich dabei um zum Teil unbekannte Bakterien handelt, die nahe Verwandte der Clostridien sind“, sagt Vital. Durch das neue Diagnoseverfahren könne man nun spezifische Risikogruppen sichtbar machen und Modelle zur Veränderung der Darmflora generieren. Beispielsweise könnten Pro- und Präbiotika oder auch Fäkaltransplantationen zum Einsatz kommen. „Dabei stehen wir jedoch noch ganz am Anfang und es braucht noch viele Studien, um die genauen Zusammenhänge besser zu verstehen“, so Vital.

Der Kontext zwischen Ernährung, Darmflora und Herz-Kreislauferkrankungen soll im Rahmen einer Kohortenstudie detaillierter erforscht werden. Dafür ist eine Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern anderer Arbeitsgruppen des HZI geplant. Zukünftig könnten spezifische Therapien möglicherweise die Bildung des Trimethylamins durch die Darmbakterien blockieren und somit das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen senken.