Arzneimittelforschung

Innovationen: Kleine (Fort)schritte Dr. Kerstin Neumann, 09.04.2016 08:20 Uhr

Frankfurt - 

Wann ist ein neues Arzneimittel eine Innovation? Während einige Experten schon eine Verbesserung der Galenik als Durchbruch feiern, sehen andere darin lediglich eine weitere Option ohne Wert. Diese Bewertung hat aber erhebliche Auswirkungen auf Preis und Vermarktung. Während Forscher und Hersteller betonen, dass ein Benefit für den Patienten im Mittelpunkt stehen müsse, setzen die Krankenkassen auf den Nutzen für das System.

Bei der Veranstaltung „Hochschule und Industrie“ an der Goethe-Universität Frankfurt zeigte Professor Dr. Werner Weitschies von der Universität Greifswald auf, dass schon bei der Definition von Innovation kein Konsens herrscht: Während Politik und Krankenkassen Schrittinnovationen mit Analogpräparaten und damit Scheininnovationen gleichsetzen, definiert die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) sie als „schrittweise Optimierung von Arzneimitteln“.

„Ein großer Teil der heutigen Arzneistoffe sind als Schrittinnovationen eingeführt worden“, betont Weitschies. „Wären wir beispielsweise bei Cimetidin als Arzneistoff stehen geblieben und hätten die Derivate Ranitidin und Famotidin nicht entwickelt, hätten wir heute ein schlecht verträgliches Arzneimittel mit vielen Interaktionen“. Der wirkliche Nutzen einer einstigen Sprunginnovation für den Patienten komme oft erst mit anschließenden Schrittinnovationen wirklich zum Tragen.

Häufig würden außerdem die Begriffe Arzneistoff und Arzneimittel gleichgesetzt. „Für Apotheker ist es vollkommen klar, dass Darreichungsformen erhebliche Unterschiede machen können, um die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen“, so Weitschies. Bei einer Nutzenbewertung von Arzneimitteln würden solche Aspekte aber überhaupt nicht gewürdigt, bemängelt der Greifswalder Forscher. „Dafür gibt es keinen politischen Willen“.

Für Weitschies ist klar: Die fehlende Motivation für Schrittinnovationen in Deutschland gefährdet den Therapiefortschritt. „Damit wird auch die Existenz von mittelständischen Unternehmen gefährdet. Die können sich große Forschung gar nicht leisten, sondern leben von der Optimierung der Arzneimittel.“ Das nicht anzuerkennen, sei innovationsfeindlich.

So denkt auch Dr. Markus Rudolph, Geschäftsführer von Infectopharm. „Als mittelständischer Hersteller für Kinderarzneimittel sehe ich eine innovationsfeindliche Haltung bei der Betrachtung von Schrittinnovationen.“ Auf der einen Seite gebe es das erklärte politische Ziel, gerade für Kinder innovative Wege zu gehen. Da könne er nicht verstehen, dass Schrittinnovationen nicht adäquat berücksichtigt würden. „Für berufstätige Eltern eines Kindergartenkinds macht es einen großen Unterschied, ob ein Arzneimittel zweimal oder dreimal täglich gegeben werden muss“, so Rudolph. Da sei auch ein Aspekt der Compliance und damit der Arzneimittelsicherheit.

Dr. Frank Verheyen von der Techniker Krankenkasse sieht die Lage anders. „Innovationen in Deutschland sind möglich, aber wir müssen uns differenziert damit auseinandersetzen“, sagt Verheyen. „Wir müssen das System finanzierbar halten. Es gibt eben nur begrenzt Geld. Der einzelne Patient ist dabei nicht relevant“. Er kenne keine Studie, die zeige, dass beispielsweise eine Veränderung der Darreichungsform zu einer Kostensenkung im Gesundheitssystem führe.