Absetzen oder weiter einnehmen?

ACE-Hemmer und Covid-19

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Berlin -

Laut mehreren Berichten deuten Daten aus Zell- und Tierexperimenten darauf hin, dass ACE-Hemmer und Sartane eine Infektion mit Sars-CoV-2 potentiell fördern könnten. „Für diese formulierte Hypothese fehlt es aber bislang an klinischer Evidenz“, so Professor Thomas Eschenhagen, Vorstandsprecher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und Direktor des Instituts für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Therapie sollte ohne ärztliche Rücksprache aufgrund von fehlender Evidenz nicht abgebrochen werden.

RAAS-Inhibitoren

Zu der Gruppe der RAAS-Inhibitoren, also zu den Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems gehören Inhibitoren des Angiotensin-konvertierenden Enzyms (ACE-Hemmer), Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) und Reninhemmer. ACE-Hemmer gehören weltweit zu den häufig eingenommenen Herzmedikamenten (Ramipril, Enalapril, Lisinopril & Co.). Genau deshalb fordern Forscher eine Leitlinie zur Verwendung dieser Arzneimittel bei Patienten mit Covid-19. Die bisher erhobenen Daten beim Menschen reichen laut aktuell wissenschaftlichem Stand kaum aus, um eine valide Aussage zu treffen. Ein Team von Wissenschaftlern hat nun im New England Journal of Medicine diskutiert, ob die Auswirkungen von ACE-Hemmern auf die ACE2-Spiegel und ACE2-Aktivität bei Patienten mit Lungenverletzung sogar eher vorteilhaft als schädlich sein könnten. Die Forscher rücken ebenfalls die Folgerisiken nach Absetzen der Medikation in den Fokus.

Chinesische Fallserie

In der größten Fallserie aus China, die bislang während der Covid-19-Pandemie veröffentlicht wurde, war Bluthochdruck die häufigste vorliegende Grunderkrankung. Die Datenerhebung zeigte, dass Patienten, die unter einer Erkrankung des Herzens litten (Hypertonie, KHK, Herzinsuffizienz) bei einer Covid-19-Infektion häufiger auf der Intensivstation behandelt werden mussten, als ansonsten Gesunde. Sie mussten auch häufiger beatmet werden als Menschen ohne Grunderkrankungen. Die Empfehlung zum Absetzen von Sartanen und ACE-Hemmern könnte laut den Wissenschaftlern daher rühren, dass in der Fallserie davon ausgegangen wurde, dass die Medikation zu den beobachteten schweren Krankheitsverläufen beigetragen haben könnte. Diese Annahme scheint stark mit dem Alter der Patienten zu korrelieren – Patienten über 60 Jahre sterben häufiger an einer Corona-Infektion als Jüngere. Die Wissenschaftler bemängeln, dass genau diese Schlüsselfaktoren bei der Auswertung der Fallserie nicht konsequent berücksichtigt wurden.

Mangelnde Fallzahlen

Die Wissenschaftler merken an, dass zahlreiche spezifische Details in den chinesischen Studien fehlen würden. Aus bevölkerungsbezogenen Studien wird geschätzt, dass 30 bis 40 Prozent der chinesischen Patienten, die an Bluthochdruck leiden auch eine entsprechende blutdrucksenkende Therapie erhalten. Von dieser Gruppe erhielten rund 25 Prozent RAAS-Inhibitoren, also auch ACE-Hemmer. Am Ende, so die Forscher, müsse davon ausgegangen werden, dass nur eine kleine Gruppe der an Covid-19 erkrankten Patienten tatsächlich Sartane als Dauermedikation eingenommen haben. Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass es mehr Daten darüber geben müsste, ob RAAS-Inhibitoren einen Verlauf tatsächlich verschlechtern, bevor eine Empfehlung zum Absetzen der Medikation gegeben werden könnte. Eine generelle Empfehlung zum Absetzen sei nicht sinnvoll – die Ärzte müssten eine Änderung der Arzneimittel individuell entscheiden.

Wechselwirkung zwischen SARS-CoV-2 und dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System

Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System ist komplex. Es besteht aus verschiedenen regulatorischen und gegenregulatorischen Peptiden, so ist beispielsweise ACE2 ist ein wichtiges gegenregulierendes Enzym, das Angiotensin II zu Angiotensin abbaut und dadurch seine Auswirkungen auf die Vasokonstriktion, die Natriumretention und die Fibrose abschwächt. In Studien am Menschen haben Gewebeproben aus 15 Organen gezeigt, dass ACE2 fast im ganzen Körper exprimiert wird, einschließlich im Herzen, in den Nieren und in der Lunge. Die zirkulierenden Spiegel an löslichem ACE2 sind im physiologischen Zustand niedrig und die funktionelle Rolle von ACE2 in der Lunge scheint – so schätzen die Wissenschaftler – unter normalen Bedingungen relativ gering zu sein. Trotz erheblicher struktureller Homologien zwischen ACE und ACE2 sind die enzymaktiven Stellen unterschiedlich – folglich wirken sich ACE-Hemmer in der klinischen Anwendung nicht direkt auf die ACE2-Aktivität aus.

Gemischte Ergebnisse im Tierversuch

Versuchsmodelle an Tieren haben gemischte Ergebnisse hinsichtlich der Auswirkungen von ACE-Hemmern auf die ACE2-Spiegel oder die Aktivität im Gewebe gezeigt. Im Gegensatz zu verfügbaren Tiermodellen gibt es beim Menschen nur wenige Studien zu den Auswirkungen der RAAS-Hemmung auf die ACE2-Expression. In einer Studie hatte die intravenöse Verabreichung von ACE-Hemmern bei KHK-Patienten keinen Einfluss auf die Angiotensin-Produktion. Dieser Befund stellt für die Wissenschaftler in Frage, ob ACE-Hemmer direkte Auswirkungen auf den ACE2-gerichteten Angiotensin-II-Metabolismus haben.

Unterschiedliche Studiendesigns erschweren Vergleich

Es gibt zahlreiche weitere Studien, die alle unterschiedliche Ergebnisse liefern. Für die Auswertung dieser Studien sei die Berücksichtigung unterschiedlicher Faktoren im Studiendesign problematisch. Das vergleichen dieser Studien sei laut den Forschern des New England Journal of Medicine kaum möglich. Die bislang vorliegenden, scheinbar widersprüchlichen Daten, würden auch auf die Komplexität der RAAS-Reaktionen hinweisen. Die Forscher merken weiterhin an, dass Daten, die die Auswirkungen von ACE-Hemmern, ARB und anderen RAAS-Hemmern auf die lungenspezifische Expression von ACE2 zeigen, fehlen – es liegen keine ausreichenden klinischen Daten vor. Die Wissenschaftler halten fest: Es sind weitere Studien am Menschen erforderlich, um das Zusammenspiel zwischen SARS-CoV-2 und RAAS-Inhibitoren zu beschreiben.

Schaden einer fortlaufenden Therapie nicht bestätigt

Das Virus SARS-CoV-2 scheint, so die Wissenschaftler, die ACE2-Expression im Körper herunter zu regulieren. Das Enzym kann keine Schutzwirkung mehr in den Organen ausüben. In einer chinesischen Studie wurde postuliert, dass eine unverminderte Angiotensin-II-Aktivität teilweise für eine Organverletzung während einer Virusinfektion verantwortlich sein kann. Diese Annahme wurde bisher nicht im ausreichenden Maß bestätigt. Nach dem initialen Angriff des SARS-CoV-2-Spike-Proteins kommt es zu einer Herunterregulierung der Häufigkeit von ACE2 auf den Zelloberflächen.

In vitro verringert sich bei fortschreitender Virusinfektion die ACE2-Expression der Membran. Eine Herunterregulierung der ACE2-Aktivität in der Lunge erleichtert die anfängliche Infiltration von neutrophilen Granulozyten. In einer kleinen Studie schienen Patienten mit Covid-19 erhöhte Spiegel an Plasma-Angiotensin II zu haben, die wiederum mit der Gesamtviruslast und dem Grad der Lungenverletzung korrelierten.

Absetzen vermeiden

Die theoretischen Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, ob die pharmakologische Regulation von ACE2 die Infektiosität von SARS-CoV-2 beeinflussen kann, sollten nach Meinung der Wissenschaftler nicht zum Absetzen der Medikation führen. Sie verweisen darauf, dass es zu schweren Symptomen kommen kann, wenn Patienten ihre ACE-Hemmer oder andere Inhibitoren absetzen. Covid-19 sei besonders risikoreich für Patienten mit kardiovaskulären Grunderkrankungen – ist das Immunsystem bereits geschwächt, sollte keine Anpassung der Medikation vorgenommen werden. Das Absetzen könnte bei Hochrisikopatienten zu einer klinischen Dekompensation führen. Das bedeutet, dass das körpereigene Gegenregulationssystem inklusive der Reparaturvorgänge im Verlauf einer Erkrankung versagen kann.

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