Herford

Schließung: „Auf eine Imbissbude kann ich verzichten“ APOTHEKE ADHOC, 16.05.2019 15:08 Uhr

Ende einer Familiengeschichte: Ende Juni muss die Neustädter Apotheke im westfälischen Herford schließen. Inhaber Jost Müller betreibt die über 300 Jahre alte Offizin in vierter Generation. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Im westfälischen Herford endet bald eine kleine Apothekerdynastie: Nach über 300 Jahren Betrieb schließt Ende Juni die Neustädter Apotheke. Es ist die zweitälteste der Stadt. Fast ein Drittel der Zeit ihres Bestehens ist sie in Händen der Familie von Inhaber Jost Müller – eine Menge Stadt- und Familiengeschichte also. „In so einer Situation macht man nicht zu, weil es mal ein Jahr schlecht läuft“, sagt Müller. Doch es ging einfach nicht mehr. Die Schuld dafür sieht er auch bei der lokalen Stadtverwaltung.

Leicht hatte der Apotheker es in den letzten Jahren nicht. „Wir haben etliche Leiden auf uns genommen“, sagt er. Doch es half nichts: Die Apotheke lässt sich nicht mehr halten. Damit schließt ein traditionelles Haus: Irgendwann zwischen 1650 und 1690 wurde die Offizin gegründet, genauer lässt es sich heute nicht mehr sagen. Das toppt in Herford nur die Altstädter Apotheke, sie befindet sich seit 1612 am Alten Markt in der Innenstadt.

Aber auch für die Müllers selbst ist es der Endpunkt einer langen Familiengeschichte, ist die Apotheke doch in vierter Generation in ihrer Hand: Im März 1906 hatte Jost Müllers Urgroßvater Gotthard Müller die Apotheke erworben, am 1. Januar 1939 übergab er sie an seinen Sohn Eckhard – der keine drei Monate später verstarb. Also verpachteten die Müllers die Apotheke fast 30 Jahre lang, bis 1966 Vater Walrat Müller übernahm. Der betrieb sie stolze 34 Jahre, bis er am 1. Januar 2000 an seinen Sohn übergab. Abgemeldet war er damit aber noch lange nicht: Bis heute steht der mittlerweile 82-jährige Papa regelmäßig mit in der Apotheke. „Am liebsten pflegt er das Meerwasseraquarium, das seit Jahrzehnten ein Markenzeichen der Neustädter Apotheke ist“, schreiben die Müllers auf ihrer Internetseite.

Nun gehören die Müllers zur Reihe der Inhaber, die in den letzten Jahren ihre Sachen packen mussten. „Als ich vor 20 Jahren in Herford angefangen habe, da gab es allein hier in der Fußgängerzone sechs Apotheken“, erzählt der Noch-Inhaber. „Ab dem 1. Juli sind es noch zwei.“ Und wie so oft folgt das Sterben der Apotheken auf den Weggang der Ärzte. Immer mehr Praxen haben in den letzten Jahren in der Nachbarschaft geschlossen. „Das schlägt bei uns voll durch“, sagt er. „Herford hat die geringste Hausarztdichte Deutschlands. Und das sind nun mal die Brot- und Butterärzte der Apotheker.“

Hoffnung, dass es für die Apotheken auf absehbare Zeit besser wird, hat er nicht. Von den aktuellen Gesetzesvorhaben zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken erwartet er jedenfalls nicht. „Boni-Deckel“, sagt er abschätzig. „Das glaubt doch kein Mensch, dass das funktioniert.“ Worauf man denn noch hinarbeiten solle, „wenn man von der Politik keinen Silberstreifen am Horizont sieht“, fragt er rhetorisch. „Und die Konkurrenz durch die Versandapotheken fängt gerade erst an.“

Aber der Blick muss nicht nach Berlin oder Heerlen schweifen, um Gründe für den Niedergang des geschichtsträchtigen Hauses zu finden. So kritisiert er die Herforder Stadtverwaltung, der er eine „Abschottungspolitik der Innenstadt“ vorwirft: Nicht nur zahlreiche Baustellen im direkten Umfeld der Apotheke haben ihm in den letzten Jahren das Leben schwergemacht. Zu allem Überfluss hat der Stadtrat auch noch ein Autoverbot für den Neuen Markt, an dem die Apotheke liegt, beschlossen. Für Müller ein Unding: „Eine Apotheke muss mit dem Auto anzufahren sein“, sagt er. „Wir haben auch gehbehinderte Kunden. Für die zählt jeder Meter.“

Im Juli beginnt für Jost Müller nun ein neuer Abschnitt seines Berufslebens: Mit 56 ist er zu jung für die Rente, also fängt er im benachbarten Löhne nochmal als angestellter Apotheker in der Werre-Apotheke an. Für die Räumlichkeiten der Neustädter Apotheke will sein Vater nun einen neuen Pächter finden, hat es dabei aber nicht allzu eilig, zitiert ihn die Regionalzeitung Neue Westfälische: „Auf eine Imbissbude oder einen weiteren Telefonladen kann ich verzichten.“