Zettel am Schaufenster

„Scheiss Apothekenmafia!“

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Berlin -

Der Streit um Hausapotheken in Arztpraxen sorgt in Österreich weiterhin für Aufregung. Während im steirischen Ort Scheifling die Menschen auf die Straße gehen, weil die Hausapotheke geschlossen, die echte Apotheke aber noch nicht geöffnet ist, wurde eine Apothekerin in Altlengbach bei Wien zur Zielscheibe wütender Bürger und eines Hausarztes. Der fährt eine Kampagne gegen die Pharmazeutin, weil er sich mit der Schließung seiner Hausapotheke nicht abfinden will. Die Apothekerin erhebt ihrerseits schwere Vorwürfe gegen den Arzt. Zuletzt prangte ein Schild an ihrer Apotheke: „Scheiß Apothekenmafia!“, stand darauf.

Eigentlich ist es ganz einfach: Ist die nächste Apotheke mindestens sechs Kilometer entfernt, darf ein Landarzt einen Arzneimittelvorrat halten und dispensieren. Eröffnet eine öffentliche Apotheke, ist die Hausapotheke deshalb überflüssig und muss geschlossen werden. Doch so einfach ist es eben nicht immer, wie Apothekerin Maria Nagler in den vergangenen Jahren schmerzhaft erfahren musste. Nachdem sie sich 2015 eine Konzession gesichert hatte, eröffnete sie im Oktober 2016 die Apotheke Altlengbach. Zuvor hatte der Ort 20 Jahre lang keine öffentliche, dafür aber zwei Arztpraxen mit Hausapotheke. Die wurden mit der Eröffnung hinfällig, doch es wurde eine Übergangsfrist von drei Jahren vereinbart. Danach sollte Schluss sein.

Einer der beiden Ärzte ging kurz darauf ohnehin in den Ruhestand – der andere dafür auf die Barrikaden. Er klagte sich durch alle Instanzen und kam stets als Verlierer aus dem Gerichtssaal. Doch das ist nicht Naglers Problem. Ihr Problem ist der Feldzug gegen sie und ihre Apotheke, den Dr. Günther Malli seitdem vorantreibt. „Der macht schon seit 2015 gegen mich mobil und hetzt seine Patienten gegen mich auf“, sagt sie. Schon ein Blick auf die Homepage der Praxis gibt einen Eindruck davon, was Nagler meint. Auf der Startseite gibt es nur ein Thema: den Streit um die Hausapotheke. „Zwangsschließung meiner Hausapotheke auf Antrag von der Apotheke in Altlengbach“, schlägt den Patienten da entgegen, oder: „Landarztpraxis: Enteignung als Dauergefahr“.

Der Arzt nutzt seinen Webauftritt, um umfassend über seine Sicht auf den Konflikt zu informieren. „Es war für mich als Arzt nur schwer zu verkraften, meinen langjährigen Patienten zu erklären, dass eine Medikamentenabgabe nicht mehr möglich ist“, schreibt er da beispielsweise. „Wenn man dann noch miterleben muss, wie verzweifelt die Patienten in dieser Situation sind, voller Sorge, weil sie ihren Medikamenten jetzt nachlaufen müssen, obwohl es die vergangenen 26 Jahre so einfach war.“ Er habe „jahrelang versucht, an Vernunft und Menschlichkeit an die Apothekerin zu appellieren und ihr im Sinne und zum Wohl der Patienten das Nebeneinander vorgeschlagen“, so der Arzt. Stattdessen habe er nur Post von ihren Anwälten erhalten.

Nagler zufolge ging sein Engagement jedoch weit über Appelle an die Menschlichkeit hinaus. „Er hat nur Lügengeschichten über mich verbreitet: Dass ein internationaler Pharmakonzern die Apotheke eröffnet habe und dergleichen. Er hat sogar wöchentliche Posteinwürfe organisiert, die alle Haushalte im Briefkasten hatten“, erzählt sie. Die nächste Eskalationsstufe wurde dann diesen Mai gezündet: Nachdem das Bundesverwaltungsgericht Nagler am 13. Mai Recht gegeben hatte, wurde die Hausapotheke geschlossen. Bereits am Folgetag kam der Großhändler und nahm die Arzneimittel mit. Doch auch da gab der Arzt nicht auf. Der Streit geht nun vor das Verfassungsgericht, erzählt Nagler: „Er hat da aber keine Chance.“

Für sie ist Mallis Motivation klar: Geld. „Er hat angeblich eine der bestgehenden Hausapotheken Niederösterreichs“, sagt sie und erhebt schwere Vorwürfe: „Der verschreibt wie verrückt und nimmt gern die teuersten Generika.“ Mallis Praxis weist diese Vorwürfe zurück: „Es gibt alle drei Monate eine Überprüfung durch die Gebietskrankenkassen. Die würden keinen einzigen Cent zahlen, wenn es da ein günstigers Medikament gäbe“, sagt Ehefrau Sonja Malli, die für den Arzt spricht. Ob es sich tatsächlich um eine der bestgehenden Hausapoptheken Niederösterreichs handelt, könne sie allerdings nicht sagen. Ihr Mann habe viele schwerkranke Patienten mit teuren Spezialarzneimitteln. Diese Patienten seien auch der eigentlich Grund, warum die Schließung der Hausapotheke ein solches Drama sei: Es gebe in der Umgebung sehr viele Patienten mit hoher Pflegestufe, zu denen ihr Mann auf Visite fahre. Diese Patienten seien nicht mobil und darauf angewiesen, dass der Arzt mit Medikamenten vorbeikommt, um sie direkt zu versorgen. Das sei nun nicht mehr möglich. „Nicht der Arzt braucht die Hausapotheke, die Patienten brauchen sie“, so Malli.

Auch von dem Vorwurf, ihr Mann würde eine Kampagne gegen die Apothekerin fahren, will sie nichts hören. „Mein Mann kämpft nicht, er macht keine Vorwürfe, er ist Arzt. Er hat kein Interesse an irgendetwas anderem als seinen Patienten.“ Auch die Posteinwürfe habe es zwar gegeben, sie hätten sich aber nicht gegen Nagler gerichtet. Er habe lediglich sein Team vorgestellt, sich für die Zusammenarbeit bedankt und den jeweils letzten Stand des Verfahrens wegen der Hausapotheke dargelegt. Dafür steigt sie auf die Behauptung mit dem „Pahrmakonzern“ ein: „Frau Nagler ist eine Strohfrau des internationalen Pharmagroßhändlers Phoenix“, sagt sie. Das wisse sie, weil ein Rechtsanwealt des Schutzverbands der hausapothekenführenden Ärzte Österreichs das in einem offziellen Schreiben an die Bezirkshauptmannstadt St. Pölten geschrieben habe. Dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei, erkenne man schon daran, dass in einem Gutachten der Apothekerkammer kein Bedarf nach einer öffentlichen Apotheke in Altlengbach festgestellt worden sei. Dafür brauche es nämlich 5500 zu versorgende Personen, es gebe im Ort aber nur 2686.

Unter denen hat Malli aber offensichtlich Verbündete. So veröffentlichte er auf seiner Praxisseite den Brief eines Anwohners an den Bürgermeister von Altlengbach. „In Zukunft muss ich die Serviceverschlechterung hinnehmen. Als erste beim Arzt ein Rezept holen, dann zur Apotheke und den Impfstoff besorgen und dann wieder zurück zum Arzt, um mich impfen zu lassen. Finden Sie nicht auch, dass dies ein ungewöhnlich unsinniger Ablauf ist?“, schrieb der an den Ortsvorsteher.

Es wäre demnach „sachlich und im Sinne des Patienten“, es beim bisherigen System mit der Hausapotheke zu belassen. „Dies wäre nicht nur bei unserem Hausarzt, sondern bei ALLEN Ärzten eine sinnvolle Verbesserung gegenüber der nun unbefriedigenden Apothekenlösung“, so der Anwohner, dessen Brief der Arzt samt Privatadresse und Telefonnummer ins Internet gestellt hat. Und er hat bereits eine Konsequenz gezogen: „Um mir in Zukunft die Situation nicht gänzlich zu verschlechtern, werde ich künftig die Bestellung rezeptfreier Medikamente im Internet (Shop-Apotheke) vornehmen, weil das einfacher und billiger ist“, schreibt er. „Der Platz des Apothekers ist heutzutage in der Pharmaindustrie und nicht im Verkaufslokal. So lange die Versorgung und der Vertrieb von fertig portionierten und hygienisch verpackten Medikamenten sichergestellt ist, reicht auch normal qualifiziertes Verkaufspersonal aus.“

Nagel fehlt für derartige Auffassungen das Verständnis. Prinzipiell könne sie die Regelung mit den Hausapotheken ja nachvollziehen: „Im letzten Tiroler Tal, wo weit und breit nichts ist, hat das natürlich seine Berechtigung. Aber wenn ein Ort eine Apotheke hat, braucht er doch keine Hausapotheke mehr.“ Vor allem das Argument, dass die Schließung der Hausapotheke die Versorgung verschlechtere, weist sie entschieden zurück. „Der Arzt hat 20 Stunden Ordinationszeit, seit Juli macht er nicht einmal mehr Wochenenddienste. Wir haben 44 Stunden offen!“

Mittlerweile haben sich wegen des Falls sogar schon ihre Standesvertretungen in die Haare gekriegt. Die steirische Ärztekammer hatte in einem Brief an die österreichische Gesundheistministerin Brigitte Zarfl gefordert, bei der Genehmigung von Hausapotheken die starre Entfernungsvorgabe abzuschaffen und die Vergabe von Konzessionen an Apotheken zu verbieten, die zur Schließung einer Hausapotheke führen. Und sie wissen scheinbar die Bevölkerung hinter sich: Einer von der Ärztekammer Wien in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge sprechen sich zwei Drittel der Österreicher für eine Arzneimittelabgabe durch den Arzt aus. Jürgen Rehak, Präsident des Österreichischen Apothekerverbandes, hält erwartungsgemäß nichts von den ärztlichen Forderungen. Die seien „weder sinnvoll noch zielführend“. Die Ärzte sollten sich stattdessen vielmehr darum kümmern, dass sie finanziell nicht mehr vom Betrieb einer Hausapotheke abhängig sind: „Wenn es stimmt, dass praktischen Ärzte im ländlichen Raum aus wirtschaftlichen Gründen Arzneimittel verkaufen müssen, dann sollten die Sozialversicherung und die Ärztekammer dafür sorgen, dass ihre Vertragsärzte von der ärztlichen Leistung leben können.“

Auch in Altlengbach scheint sich die Stimmung unterdessen aufzuheizen, wie Nagler bereits mehrfach feststellen musste. „Wir hatten es schon, dass Leute in die Apotheke gekommen sind und rumgeschrien haben. Wir seien zu gierig, weil wir dem Arzt die Hausapotheke weggenommen haben.“ Ihr Umgang mit solchen Situationen: ruhig und freundlich bleiben. Der Höhepunkt sei vergangenen Montag erreicht gewesen. Nach der Mittagspause kam Nagler zurück in die Apotheke und fand ein Stück Pappe an der Apothekentür. „Wo bleibt die Kundefreundlichkeit…???“, stand darauf. „Ich komm vom Arzt und kann mein Rezept nicht einlösen!!! Scheiss Apothekenmafia!“ Wer das Schild hinterlassen hat, wisse sie nicht, sie hat den Vorfall aber zur Kenntnisnahme der Polizei gemeldet: „Sonst sprüht mir der Nächste noch an die Mauer oder kackt mir vor die Tür.“

Nagler will sich von der Mobilisierung gegen sie nicht unterkriegen lassen. Und sie erhält tatsächlich auch viel Zuspruch. „Viele merken, dass er nur auf mich los geht und haben mittlerweile eher Mitleid mit mir“, sagt sie. „Wir haben schon viele freundliche Zuschriften bekommen und es kommen sogar regelmäßig Leute zu uns in die Apotheke und bringen uns Blumen, Kuchen, selbstgemachte Marmelade oder Schnaps, um uns aufzuheitern.“ Sie sei sich sicher: „Das sind nur wenige gegen uns, die sind dafür aber umso lauter.“ Deshalb versuche sie auch, die Kampagne gegen sie gelassen zu nehmen. „Ich reagiere eigentlich nie auf diese Provokationen“, sagt sie. Auch negative Auswirkungen auf ihren Betrieb habe die schlechte Öffentlichkeit nicht: „Die Zeit spielt für uns. Wir haben jeden Monat mehr Kunden und mehr Umsatz.“

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