Amt und Apotheke während der Coronakrise

Rücktritt als Bürgermeister: Apotheker setzt Prioritäten

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Berlin -

Die Covid-19-Pandemie hat nicht nur die große Politik gefordert, sondern insbesondere auch die lokalen Entscheidungsträger in den Städten und Gemeinden vor bis davon ungekannte Herausforderungen gestellt. Apotheker können davon ein Lied singen: Auch sie waren stärker gefordert als andere Berufgsruppen. Dr. Virendra Singh kennt beide Seiten: Der Apotheker aus Bergen war gleichzeitig Bürgermeister seines Ortes und musste die vergangenen sieben Monate beide Aufgaben stemmen. Das konnte nicht lange gut gehen, nun hat er sich entschieden: „Meine Prioritäten sind Familie und Beruf.“

Der Arbeitsaufwand, der ab März auf Singh zurollte, war gewaltig: Apotheken erlebten als erste Anlaufstation eine Nachfragelawine, mussten gleichzeitig aber mit einer erschwerten Situation, großen Versorgungsproblemen und neuen Sicherheitsmaßnahmen umgehen. Auf die Kommunen rollten ähnliche Probleme zu: Wie mit der Situation umgehen, welche Maßnahmen wie umsetzen? „Augen zu und durch“, fasst Singh es zusammen. „Wenn man das Amt hat, wird von einem auch verlangt, dass man Vorschläge macht. Meine Frau hat gesagt, pack an, ich halte dir den Rücken frei.“ Singhs Frau Wiebke Hörcher ist Inhaberin der Löns-Apotheke, in der er arbeitet. „Wir sind ein Familienbetrieb“, sagt der 57-Jährige.

Und der wurde vor allem zu Beginn der Pandemie extrem gefordert. „Es war sehr viel Stress ab März. Mitarbeiter haben vor Erschöpfung geweint. Sie waren fertig und hatten ja auch selbst Angst. Es wurde viel Panik gemacht und jeder, der ein bisschen Halsschmerzen hatte, kam wegen Corona in die Apotheke.“ Er habe lange gehofft, dass es sich um eine Stoßzeit handelt und die Situation sich bald entspannt. „Man hatte gedacht, dass es irgendwann vorbeigeht, aber es geht immer weiter, die Maßnahmen sind sogar verschärft worden und dann musste ich eine Entscheidung treffen.“

Denn auch die Personalsituation verschärfte sich: Eine Kollegin wurde schwanger, eine andere ging in Rente „und Sie wissen ja, wie schwer es ist, auf dem Land neue Mitarbeiter zu finden.“

Parallel weiter das Amt zu stemmen, dass er für die örtliche CDU bekleidete, sei ihm da nicht mehr möglich erschienen. „Ich musste diesen Schritt auch gehen, um meine Frau zu entlasten und auch die Mitarbeiter, die in der Zeit einen großen Teil meiner Arbeit mit gemacht haben. Das kann ich ihnen nicht auf Dauer zumuten.“

Singh war seit 2011 Bürgermeister – ohne dass er das wirklich geplant hatte. „Ich hatte mich damals im Ort über ein paar Entscheidungen aufgeregt, die ich für falsch hielt. Da hat meine Frau gesagt, entweder macht man es selbst besser oder man hört auf zu meckern.“ Also versuchte er sein Glück bei der Ortsratswahl und erhielt die meisten Stimmen. „Ich hatte selbst gar nicht damit gerechnet, dass ich gewählt werde.“ Einen studierten Pharmazeuten als Bürgermeister zu haben, ist zu Beginn einer globalen Pandemie natürlich nicht die schlechteste Ausgangslage, viel genutzt hat ihm sein Fachwissen aber nach eigener Darstellung nicht. „Wir kriegen die Maßnahmen ja vom Kreis vorgeschrieben und müssen sie dann umsetzen.“

Doch allein das ist schon mit einer enormen Zusatzbelastung verbunden gewesen. Nach neun Jahren musste er deshalb nun die Reißleine ziehen: Am Donnerstag reichte er bei der Verwaltung schriftlich seinen Rücktritt ein: „Die momentane politische Arbeit in Bergen ist auch zeitintensiver geworden – und der Ertrag ist bescheiden. Daher – weil nicht beides zur vollen Zufriedenheit vereinbart werden kann – muss ich mich schweren Herzens für ein Tätigkeitsfeld entscheiden und meine politischen Ämter zurückgeben“, schrieb er am selben Tag in einer öffentlichen Stellungnahme zu seiner Entscheidung. Für die habe ausschließlich Verständnis erhalten, sagt er. „Die Mitglieder des Rates waren zwar geschockt, dass es so schnell kam. Ich erhalte aber viel Dankbarkeit – keiner hat gesagt, ich hätte es länger machen sollen.“

Es war nicht das erste Mal, dass Singh für seine Familie eine Lebensentscheidung trifft – und es war auch nicht die grundlegendste. Der Doktortitel vor seinem Namen kommt nämlich nicht aus der Pharmazie: Singh ist promovierter Geophysiker. 1992 schrieb er in Kiel seine Dissertation und lernte dort seine Frau kennen. Nach der Promotion arbeitete er in der Ölindustrie, ging zwischenzeitlich gemeinsam mit seiner Frau zurück in sein Geburtsland Indien, wo auch ihr Sohn geboren wurde.

Doch das Leben war beschwerlich. „In der Ölindustrie ist man immer unterwegs, immer auf Dienstreise. Meine Frau saß währenddessen zu Hause und musste auf das Kind aufpassen. Wir haben dann beschlossen, dass das nicht das Leben ist, das wir wollen, und uns entscheiden, einen neuen Beruf zu suchen, den wir beide gemeinsam ausüben können.“ So zogen sie zurück nach Kiel, studierten gemeinsam Pharmazie und übernahmen im Jahr 2000 die Löns-Apotheke in Bergen – auf die er sich jetzt wieder voll konzentrieren kann.

 

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