Patienten meiden Praxen

Mitten in Corona-Krise: Ärzte in Kurzarbeit dpa, 07.05.2020 08:33 Uhr

Weil die Patienten mit weniger gravierenden Beschwerden den Arztbesuch in der Corona-Krise aufschieben, bleiben einige Wartezimmer leer. Foto: APOTHEKE ADHOC
Frankfurt/Main - 

Es klingt absurd: Während die Corona-Pandemie das Land in Atem hält, haben einige Ärzte so wenig Behandlungen, dass sie mit bangem Blick in die Zukunft schauen. Patienten meiden die Wartezimmer, Untersuchungen und Therapien wurden aufgeschoben. Manch ein Arzt hat im laufenden Quartal bislang nur einen Bruchteil der Patienten wie sonst zu dieser Zeit gesehen.

„Aktuell gibt es eine große Diskrepanz“, sagt Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes Hessen und zugleich Bundesvorsitzende. Manche Ärzte müssten noch mehr arbeiten als sonst, die Ruhezeiten seien verkürzt worden, die Arbeitszeiten verlängert, um den befürchteten Ansturm der Covid-19-Patienten zu bewältigen. Andere hätten dagegen so wenig zu tun, dass sie vom Arbeitgeber in Kurzarbeit geschickt würden. „Das ist einfach keine sinnvolle Aufteilung der Arbeit.“

Der Marburger Bund vertritt die angestellten und verbeamteten Ärzte in Deutschland mit 12.000 Mitgliedern in Hessen. Um herauszufinden, wie viele davon in Kurzarbeit sind, hat die Ärztegewerkschaft Ende April eine Blitzumfrage gestartet. Ergebnisse werden Mitte Mai erwartet. Klar ist: „Es sind nicht nur Einzelfälle“, sagt Johna, die Internistin in Kiedrich (Rheingau-Taunus-Kreis) ist. Erste Rückmeldungen der Mitglieder deuten darauf hin, dass Kurzarbeit am häufigsten in Reha-Kliniken beantragt wurde. Aber auch aus Medizinischen Versorgungszentren und Arztpraxen seien Fälle bekannt. Seltener betroffen sind laut Marburger Bund Akutkliniken.

In der Orthopädie im osthessischen Bad Hersfeld sind seit 1. April knapp 100 Mitarbeiter in Kurzarbeit, wie Melanie Buchmann-Gassen berichtet. Sie selbst ist vorübergehend ins Gesundheitsamt gewechselt und arbeitet mit wenigen verbliebenen Kollegen tageweise in der Ambulanz. Für die meisten Kollegen gebe es aber nichts zu tun, sagt die 41-Jährige. Alle planbaren Eingriffe mussten seit Beginn der Corona-Krise aufgeschoben werden. Erst seit wenigen Tagen können Kliniken und ambulante Praxen wieder nicht zwingend notwendige medizinische Eingriffe und Operationen vornehmen.

„Ich finde das nicht gut“, sagt die Orthopädin. „Sobald die Kliniken wieder aufmachen, verlangt man von genau den Mitarbeitern, die man jetzt in den Hintern tritt, dass sie wieder mehr als volle Leistung bringen.“ Die Entscheidung der Geschäftsführung sei im Betriebsrat kontrovers diskutiert worden, berichtete sie. Letztlich hätten die meisten Angestellten zugestimmt – besser 83 oder 76 Prozent des Gehalts als eine betriebsbedingte Kündigung riskieren.

Nicht immer seien die Betroffenen mit Kurzarbeit einverstanden, sagt Johna. „Wir hören, dass da zum Teil relevanter Druck ausgeübt wird, damit die Arbeitnehmer das akzeptieren.“ Der Marburger Bund findet Kurzarbeit generell nicht gut: „Es wäre besser, erstmal die Überstunden abzubauen, die die Ärzte vor sich herschieben.“

Ganz anders ist die Situation in den Akutkliniken. Beschäftigte des Frankfurter Universitätsklinikum etwa berichten von einer durch Corona weiter gestiegenen Arbeitsbelastung. In einem von 2000 Mitarbeiten unterschriebenen Brief an die zuständigen Ministerien in Wiesbaden forderten sie am Freitag eine Erschwerniszulage für alle, die durch die aktuelle Situation noch mehr als sonst belastet sind.

Bei den Hausärzten ist die Lage unterschiedlich: „Die Gesamtsituation ist schwierig einzuschätzen“, sagt Christian Sommerbrodt, Schatzmeister beim Hausärzteverband Hessen. Die einen Kollegen berichteten, dass sie nur ein Patientenaufkommen von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal hätten, andere registrierten kaum Unterschiede. Er selbst bemerke in seiner Gemeinschaftspraxis in der Wiesbadener wieder steigende Patientenzahlen und gehe davon aus, dass die Patienten, die zu Anfang des Quartals fern geblieben seien, im Lauf der nächsten Wochen kommen. Aufgrund des Abrechnungssystems könnten die Hausärzte aber erst in einigen Monaten wirklich Bilanz ziehen.

Der Bad Nauheimer Allgemeinmediziner Alexander Jakob, der beim Hausärzteverband erster Vorsitzender für die Region Wetterau ist, berichtet von einer „großen Verunsicherung“ unter den Ärzten. Auch wenn die Patientenzahlen wieder steigen, könne man noch keine Aussage treffen, wie das dann zum Ende des Quartals im Juni aussehen werde. „Und das ist das, was viele Kollegen im Moment massiv verunsichert.“ Jakob zufolge wird das Thema Kurzarbeit viel diskutiert.

Die Hessische Krankenhausgesellschaft appelliert, „von der Beantragung von Kurzarbeit abzusehen und die Kollegen anderweitig einzusetzen“, wie Geschäftsführer Direktor Steffen Gramminger sagt. Kurzarbeit komme ohnehin nur in Frage für Häuser mit „eingeschränktem medizinischen Portfolio“. Statt über Kurzarbeit könnten Kliniken auch Hilfe bekommen aus dem Schutzschirm und über Freihaltepauschalen.