Pharmaziestudenten in der Coronakrise

„Meinetwegen könnte Pharmazie auch ein Fernstudiengang sein“ APOTHEKE ADHOC, 25.04.2020 12:25 Uhr

Hörsaal daheim: Pharmaziestudent Sebastian Reuter hat sich wie viele andere Studenten in der Coronakrise eingerichtet. Foto: Sebastian Reuter
Berlin - 

Auch den pharmazeutischen Nachwuchs stellt die Coronakrise vor neue Herausforderungen: Lehrveranstaltungen werden ins Internet verlegt, mit dem Labor geht das allerdings nicht. Famulaturen und Praktika können prinzipiell abgeleistet werden, aber oft kommen Studenten nicht auf ihre Stunden – und können dann Probleme haben, zum Staatsexamen zugelassen zu werden. Gleichzeitig haben sie aber im Moment auch oft mehr Freiheiten als sonst und können prinzipiell studieren, wo sie wollen. Bei Pharmaziestudent Sebastian Reuter liegen Licht und Schatten besonders nah beieinander: Er ist frisch verlobt und wird Vater – hat aber auch schon zwei Wochen Quarantäne hinter sich und deswegen jetzt viele Rennereien. Denn er musste mitten in seiner Famulatur in die Isolation.

Eigentlich hätte alles perfekt gepasst: Bis Ende der Semesterferien hätte er seine Famulatur in einer Kieler Krankenhausapotheke absolviert und wäre danach nahtlos ins nächste Semester gestartet. Doch dann kam Corona, oder um genau zu sein: mehrere PJler, mit denen Reuter in Kontakt war. „Eine von ihnen wurde dann positiv auf Sars-CoV-2 getestet – also haben wir alle eine amtliche Quarantäne-Anordnung erhalten“, erzählt er. „Ich wurde zwar gar nicht getestet, aber ich bin mir zu 90 Prozent sicher, dass ich nicht infiziert war.“ Besonders absurd: Reuter lebt seit August mit seiner schwangeren Verlobten zusammen – die musste aber nicht in Quarantäne. „Uns wurde nur gesagt, wir sollen auf räumliche Trennung achten, getrennt Essen zubereiten und das Badezimmer nach jeder Nutzung desinfizieren. Wir haben es dann einfach so geregelt, dass wir beide in Quarantäne gehen.“

Das eigentliche Quarantäne-Problem ist jedoch ein anderes: Durch die Quarantäne fiel er die letzten anderthalb Wochen seiner Famulatur aus. Sieben Arbeitstage fehlten ihm – und nach dem jetzigen Semester will er das Erste Staatsexamen ablegen. Also griff er zum Hörer und suchte nach einer Lösung. Vielleicht würde die Apotheke sich ja kulant zeigen und ihm dennoch die volle Famulaturzeit bescheinigen. „Die haben aber gesagt, ‚Nö, du musst die restlichen Tage nacharbeiten.“

Also wandte er sich an das Prüfungsamt – und wurde dort brüskiert. „Die haben mir gesagt, ich wüsste ja noch gar nicht, ob ich überhaupt alle Scheine schaffe. Viele würden ja bei instrumenteller Analytik durchfallen – als ob ich so planen würde! Ich habe dann das Gespräch unbefriedigt beendet und die Apothekerkammer angerufen.“ Doch auch dort: keine konkrete Hilfe möglich.

Also versuchte er es erneut mit dem Mut der Verzweiflung bei der Apotheke – erneut kein Entgegenkommen. „Formell sind die voll im Recht, von daher kann man da nichts machen. Ich war nur enttäuscht, weil absolut keine Solidarität gezeigt und kein Auge zugedrückt wird, obwohl im Moment alle davon reden. Das hat mich in der Zeit am meisten geknickt.“ Das Problem muss er nun mit einem noch strafferen Zeitplan regeln: Eigentlich wollte er die Tage einzeln im Semester ableisten – „aber das kriege ich mit Vor- und Nachbereitung nicht hin“, sagt er. Also muss er zwischen Semesterende und Staatsexamen nochmal eine Woche Famulatur dazwischenschieben. „Ich habe am 22. Juni die letzte Klausur und muss die restlichen sechs Tage dann noch reinquetschen. Das ist formell korrekt, da kann mir keiner einen Strick draus drehen.“

Glücklicherweise sind die meisten Studierenden an der Uni flexibler als im späteren Arbeitsleben – ein gutes Argument dafür, sich bereits im Studium fortzupflanzen, wie Reuters Beispiel zeigt. „Ich habe mich jetzt wegen der Umstände dazu entschieden, das vierte Semester zu strecken“, erklärt Reuter. Das heißt: Die Lehrveranstaltungen, die er im vierten Semester hätte, verteilt er auf das vierte und fünfte. „Das passt mir gerade sehr gut, denn im August kommt meine Tochter zur Welt. Wir freuen uns wie Bolle und es war auch so geplant.“ Was jedoch nicht so geplant war: die Hochzeit. Die hätte nämlich am Wochenende stattfinden sollen. „Wir mussten sie wegen der aktuellen Situation verschieben, lassen uns aber am 14. Mai erst einmal standesamtlich trauen und schauen dann, wann wir das nachholen können.“

Bis dahin können sie nun dank des Virus mehr Zeit miteinander verbringen als gewöhnlich: Vorlesungen und Seminare an der Uni Kiel finden allesamt online statt. Also hat sich die angehende Familie ausquartiert. „Wir sind jetzt auch aufs Land geflüchtet zu den Eltern meiner Verlobten, da ist man nicht so im Coronakessel gefangen wie in der Stadt und kann auch mal im Garten entspannen.“ So hat es auch Anne Brechlin geregelt, die wie Reuter im vierten Semester studiert, allerdings an der Uni Greifswald. Sie verbringt den Großteil der vergangenen Wochen bei ihrem Freund in der Nähe von Potsdam, hat sich dort sogar ein eigenes Arbeitszimmer eingerichtet – und kommt dort nach eigenen Angaben sehr gut zurecht. „Meinetwegen könnte Pharmazie auch ein Fernstudiengang sein“, sagt sie.

Sie ist sich sicher, dass es ihr nicht nur Reuter, sondern auch viele andere Studenten gleichtun. „Wenn man von weiter her kommt, kann man jetzt seine Familie sehen und von dort aus studieren. Ich glaube schon, dass das viele machen. Man sitzt ja im Normalfall allein in seiner Wohnung, wenn man keine coole WG hat. Also mir würde da die Decke auf den Kopf fallen.“ Und die Uni wäre auch kein Grund, vor Ort zu sein: Die Lehre übers Internet laufe bisher reibungslos, erzählt Brechlin. Vorlesungsfolien werden im Online-Portal „Gryps“ hochgeladen, die Vorlesungen selbst erfolgen per Videoschalte. Einmal die Woche hat die Uni Chats mit Professoren eingerichtet, in denen die Studenten Nachfragen stellen können. „Diese Art zu lernen, gefällt mir gut, da ich eh keine Vorlesungsgängerin bin“, sagt sie. „Es liegt mir ohnehin eher, zuhause zu arbeiten. Ich könnte mich also dran gewöhnen. Es gibt aber auch Leute, die leidenschaftliche Vorlesungsgänger sind – für die ist das gerade schlimm.“

Reuter kann ihr da bedingt zustimmen. Auch er hat seine Vorlesungen im Moment online – der Dozent steht vor einem Whiteboard und redet, als würde er vor dem vollen Hörsaal stehen. „Das ist schon etwas erschwert, die Studenten sind zurückhaltender und trauen sich weniger, Fragen zu stellen“, sagt er. „Das kann ich aber auch verstehen, man befindet sich schließlich auch in privaten Räumen und will sich die Leute nicht ins Wohnzimmer holen.“ Einen großen Einschnitt bedeute es aber auch für ihn nicht. „Ich habe nicht das Gefühl, dass das größere Auswirkungen auf meine Lernsituation hat. Das Einzige, was fehlt, ist die Dynamik in der Vorlesung. Aber generell wird das hier gut gelöst.“ Ein größeres Problem sei jedoch das Praktikum. „Das ist noch wirklich unklar. Ich könnte mir vorstellen, dass es komplett ausfällt, aber man kann ja im Moment gar nicht so weit in die Zukunft schauen.“ Derzeit versuche die Uni, Experimente soweit es geht ins Internet zu verlagern. „Im dritten Semester führen die Assistenten die Versuche vor und schicken die Videos dann an die Studenten“, erklärt er. „Das ist im Endeffekt wie ein Kochvideo. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie effektiv das in der Analytik ist. Meist steckt man ja nur irgendwo eine Pipette rein und schaut sich das dann an.“

Zumindest in Greifwald dürfte sich das im Sommer ändern. Denn die Uni plant laut Brechlin, dass ab Anfang Juni die Laborpraktika im Block absolviert werden. „Das wäre dann wohl sechs Wochen lang von morgens um acht bis abends, 18/19 Uhr“, schätzt sie. „Das wäre dann nicht mehr ganz so cool.“ Klappt das mit der Präsenzphase – das hängt schließlich auch ganz wesentlich von der jeweiligen Pandemielage zu der Zeit ab – mache sie sich keine Sorge, dass sie zum Staatsexamen zugelassen wird. „Manch anderer hat aber Angst, dass er ein Semester länger machen muss.“ Sie hingegen nimmt diese Sorgen gelassen. „Es wäre nur insofern blöd, dass ich länger warten muss. Aber das wäre auch nicht dramatisch, ich werde schließlich noch lange genug in der Apotheke stehen.“