Hormonelle Kontrazeptiva

„Lieber Pickel als Pille“: Glaeske bei Stern TV APOTHEKE ADHOC, 21.02.2019 12:36 Uhr

Pille gegen Akne: „Das finde ich unvernünftig. Das ist etwas für den Dermatologen, wo es ebenfalls wirksame Mittel gibt, mit denen man Akne sehr gut behandeln kann“, so Glaeske. Screenshot Stern TV
Berlin - 

Immer mehr Frauen setzen aus Angst vor Nebenwirkungen die Pille ab. Dafür nehmen sie Pickel in Kauf. Ein bei Jugendlichen prominentes Beispiel ist Hanna Bohnekamp, die Finalistin von Heidi Klums Casting-Show „Germanys Next-Topmodel“ aus dem Jahr 2010. Vor einem halben Jahr hat die heute 26-Jährige die Pille aufgrund von Brustschmerzen und Stimmungsschwankungen abgesetzt, die ihr bereits mit 14 verschrieben wurde – zur Verhütung und gegen die Akne. Pharmakologe Professor Dr. Gerd Glaeske mahnt bei „Stern TV“ vor kleingeredeten Risiken und vernachlässigter Aufklärungspflicht der Ärzte.

Als Bohnekamp die Pille absetzte, ging es schnell. „Die Beschwerden waren von einem auf den anderen Tag weg.“ Und so schien klar; die Pille war Auslöser des Dilemmas. Die Kehrseite der Medaille zeigte sich ebenfalls schnell, denn die „schlechte Haut aus Jugendzeiten“ machte sich wieder bemerkbar. Anfangs ein Schock für das Model. Heute geht die 26-Jährige offen damit um, auch wenn sie weniger gebucht wird. Wie Bohnekamp schlucken viele junge Frau die Pille nicht primär zur Empfängnisverhütung, sondern für einer reine und klare Haut. Für Glaeske ist dies unhaltbar. „Das finde ich unvernünftig. Das ist etwas für den Dermatologen, wo es ebenfalls wirksame Mittel gibt, mit denen man Akne sehr gut behandeln kann.“

„Ein Arzneimittel wird durch die Aufmachung und Bewerbung völlig unterschätzt“, so der Pharmakologe der Universität Bremen weiter. „Das führt dazu, dass Mädchen und junge Frauen an die Risiken gar nicht denken und darauf auch gar nicht aufmerksam gemacht werden. Die Aufklärungsverpflichtung liegt nach wie vor bei den Ärzten und dabei dürfen die Risiken nicht kleingeredet werden.“ Hormonelle Kontrazeptiva dürften nicht verschrieben werden, wenn es nur um die Haut und nicht um Verhütung gehe.

Glaeske sieht die Frauenärzte in der Pflicht, die jungen Frauen über die möglichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufzuklären. „Ich halte es für besonders wichtig, wenn die Pille zum ersten Mal oder in den ersten Jahren verordnet wird, immer wieder auch darauf hinzuweisen, welche Risiken es gibt. Und wenn eine junge Frau wiederkommt und ein weiteres Rezept möchte, sollte man klären: Wie ist die Pille vertragen worden, welche Veränderungen hat sie an sich festgestellt?“

Doch der Pharmakologe räumt ein, dass Veränderungen bei den Gynäkologen erkennbar sind. Dies belegen Ergebnisse einer Befragung der Uni Bremen, wie Frauen von den Medizinern aufgeklärt werden. „Das ist noch immer nicht besonders toll, also mehr als 50 Prozent der Frauen haben uns gesagt, wir sind überhaupt nicht auf solche Aspekte hingewiesen worden, dass man eben zum Beispiel Gewicht zunimmt. Zwei bis drei Kilo ist vielleicht normal, aber es hängt auch mit der Pille zusammen. Brustschwellungen sind durch das Östrogen in der Pille gekommen.“ Aber auch andere Dinge wie beispielsweise Thrombosen wurden nicht angesprochen. „Man muss doch auch wissen, was eine Thrombose ist. Dass wir bei manchen Ärzten nachfragen müssen, ob sie wissen wie man das diagnostiziert.“ Ärzte hätten jungen Mädchen bei Schmerzen in den Oberschenkeln Schmerzsalben verordnet oder Präparate, die man Sportlern geben würde, unter der Annahme, die Mädchen hätten zu viel Sport gemacht. Glaeske mahnt: „Aus rechtlicher Sicht können sich die Ärzte und Ärztinnen nicht auf den Beipackzettel zurückziehen. Sie sind verpflichtet persönlich aufzuklären.“

Einer Studie mit etwa 820 Frauen zufolge hat laut Glaeske ein Umdenken bei den Frauen stattgefunden. Etwa ein Viertel der Frauen will weg von der hormonellen Verhütung. Zahlreiche unerwünschte Wirkungen der hormonellen Kontrazeptiva sind bekannt. „Es geht um Thrombosen, Gefäßverschlüsse, dass es zu Gewichtszunahmen kommen kann“, so Glaeske. „Und auch, wie es in den Beipackzetteln steht, dass es zum Verlust sexueller Neugier oder auch sexueller Lust kommt. Es können aber auch psychische Störungen entstehen.“ Außerdem führt Glaeske Depressionen und Selbstmordgedanken an. Künftig müssen die Fach- und Gebrauchsinformationen einen entsprechenden Hinweis tragen.

Wichtigster Punkt für den Pharmakologen ist, dass die Pille an junge gesunde Frauen verschrieben wird. „Und ich muss mir das gut überlegen, wie die Risiken sind und was ich sozusagen mit der Gesundheit von den jungen Frauen mache. Und dass natürlich auch die Pille ein sehr zuverlässigen Verhütungsmittel ist.“