Kommentar

Ihr begreift es einfach nicht

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Berlin -

Was ist los mit den Gesundheitsökonomen? Es scheint sie wahnsinnig zu machen, dass die Arzneimittelversorgung noch nicht in den Händen von börsennotierten Großkonzernen ist und die Politik – und zwar mittlerweile durchgängig alle Parteien – an unabhängigen Apotheken festhalten möchte. Schlüssige Alternativkonzepte hat noch keiner dieser Marktliberalisierer vorgelegt, aber das aktuelle Lamento in der FAZ ist an Inhaltslosigkeit schon bemerkenswert, kommentiert Alexander Müller.

Geradezu zwanghaft wird darauf verwiesen, dass es die Trennung zwischen Arzt und Apotheker seit der Kaiserzeit gibt, als ob die Langlebigkeit dieser absolut sinnvollen Errungenschaft schon als Argument für ihre Beseitigung tragen würde. Die erste Menschenrechtserklärung in Europa wurde auch schon 1525 verfasst. Und die Trennung von Staat und Kirche wird auch nicht permanent altersbedingt in Frage gestellt. Ärzten die Arzneimittelversorgung übergeben? Was sind die guten Argumente dafür?

Die angeblich viel zu hohe Zahl an Apotheken darf ebenfalls in keiner dieser „Analysen“ fehlen. Warum der FAZ-Autor hier alle Apotheken mit den Drogeriemärkten von Rossmann vergleicht und dm, Müller, Budni & Co. ausblendet, ist schon nicht klar, vor allem aber nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Das Muster ist bekannt: Apotheken wurden auch schon mit Bäckereien, Tankstellen und Frisören verglichen. Leider gibt auch dieser Artikel keine Antwort auf die Frage, warum weniger Standorte eine bessere Versorgung sichern sollen und ob das System damit eigentlich automatisch günstiger wäre.

Absurderweise wird wenig später die Einbeziehung von Supermärkten und Drogerien gefordert, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Als ob Edeka und Rossmann noch irgendwo vor Ort wären, wo es keine Apotheke mehr gibt. Vielleicht könnte der Versandhandel helfen, lautet dann hier wie immer das Alternativangebot. Denn eine Akutversorgung scheinen Menschen in ländlichen Gebieten in der Wahrnehmung dieser Experten nicht zu benötigen.

Die Versender könnten auch die Versorgung von Chronikern viel günstiger erbringen, ist das nächste Argument. Das stimmt, Apotheken vor Ort kämen bei einem gut eingestellten Diabetiker auch mit weniger Honorar bei der Metformin-Abgabe aus. Dann wäre aber der komplizierte Einzelfall entsprechend teurer. Das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem sieht genau diese Mischkalkulation vor.

Dann heißt es, die Apotheken könnten nicht richtig beraten, weil sie keine OTC-Daten hätten. Stimmt wieder nicht, Stammkunden sind nicht nur persönlich bekannt, sondern meist der Sprache fähig und schon heute im System. Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte wird das Problem zeitnah endgültig wegdigitalisiert.

Die Qualität der Beratung in der Apotheke sei auch nicht wissenschaftlich überprüft, lautet der nächste Vorwurf, die Standesvertretung veröffentliche die Ergebnisse ihrer Pseudo-Customer-Besuche nicht. Stattdessen werde immer auf die Zufriedenheit der Kund:innen in Umfragen verwiesen. Die könnten aber die Leistung der Apotheken gar nicht beurteilen, findet der Autor, der für sich diese Expertise offenbar beansprucht.

Er weiß auch, dass oft gar keine Beratung notwendig ist. Das mag auch stimmen, aber die Ökonomen kennen doch bestimmt den berühmten Satz von Henry Ford: „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“ So ist es auch mit Arzneimittelinteraktionen. Und ja, deshalb sollte sich ein Gesundheitssystem die pharmazeutische Betreuung im Einzelfall leisten. Aber mit diesem Argument dringt man wohl kaum bei Experten durch, die allen Ernstes die Arzneimittelversorgung in den USA noch als leuchtendes Vorbild heranziehen.

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