Restbestände notwendig

Jacutin gesucht – Igelbabys in Not Alexandra Negt, 07.06.2020 09:36 Uhr

Berlin - 

Das Jacutin Pedicul Spray (Allmiral) ist seit Oktober 2019 nicht mehr am Markt. Enthalten war der Wirkstoff Allethrin, das synthetisch hergestellte Pyrethrin besitzt weniger toxischen Eigenschaften als natürlicher Pyrethrumblütenextrakt. Beim Menschen wurde das Spray bei Läusen eingesetzt. Die vielen Igelstationen in Deutschland nutzen das Präparat, um aufgefundene Babyigel zu behandeln. Die schwachen Tiere vertragen kaum ein anderes Produkt, weiß Jennifer Kaniewski, Vorstandsvorsitzende des Igel-Notnetzes. Da Jacutin Spray ersatzlos vom Markt genommen wurde, ist sie nun gemeinsam mit zahlreichen Kollegen, deutschlandweit auf der Suche nach Restbeständen.

Eigentlich hatten Jennifer Kaniewski und ihre Kollegen erst in ein bis zwei Monaten mit den ersten Neuzugängen gerechnet. „Normalerweise kommen die Igel im Juli bis August zur Welt. Aufgrund des milden Winters und weil die Temperaturen im Frühjahr so schnell anstiegen sind, sind viele Igel zu früh aus dem Winterschlaf aufgewacht. So verschiebt sich das Ganze“, erzählt Kaniewski, die seit 2016 eine private Igelpflegestelle betreibt und Vorstandsvorsitzende des Igel-Notnetzes ist. „Den ersten Anruf erhielten wir bereits vor sechs Wochen.“

Kranke und junge Tiere werden standardmäßig mit Insektiziden behandelt, um sie vom Flohbefall zu befreien. „Bei vielen Findelkindern ist der Befall schon so groß, dass sie durch die Flöhe weiter geschwächt werden. Das Insekt saugt Blut und kann dadurch potenziell Infektionen und Entzündungen auslösen.“ Zur Behandlung eignen sich jedoch nur die wenigsten Mittel. „In einigen Packungsbeilagen steht drin, dass die Produkte auch bei starken, gesunden Igeln angewendet werden können, aber diese Tiere haben wir hier ja nicht.“ Vieles beruht bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern auf Erfahrung. „Das Jacutin Pedicul Spray wird einfach von den meisten Tieren vertragen – auch von den ganz kleinen.“ Und mit ganz klein meint Kaniewski zum Teil einen Tag alte Tiere, die nicht einmal 100 Gramm wiegen. Umso schlimmer für die Igelstationen, dass das Produkt seit Herbst nicht mehr am Markt ist. „Wir konnten noch keinen adäquaten Ersatz finden und sind deshalb aktuell auf der Suche nach Restbeständen.“

„Wir haben das alles mitverfolgt. Irgendwann wurde das Präparat von den Krankenkassen nicht mehr übernommen. Das könnte wohl ein Grund für die Außervertriebnahme gewesen sein. Und sicherlich war es bei Kopfläusen auch nicht mehr so wirksam wie die Alternativen.“ Kaniewski betreute in den Hochzeiten der letzten Jahre bis zu 15 Tiere gleichzeitig. Die Zeit bis zur Auswilderung beträgt im Durchschnitt drei Monate. „Ist ein adultes Tier stärker erkrankt, so kann es auch schon mal mehrere Monate in einer unserer Stationen verbringen. Anfänglich bekommen die Babyigel eine spezielle Aufzuchtmilch, danach erfolgt die Umstellung auf hochwertiges Katzenfutter und damit die Igel sich später in der Natur auch zurechtfinden folgt die Fütterung von Lebendinsekten. „Wir sind hier alle mit Herzblut dabei und versuchen unser Bestes.“ Wenn nötig, dann arbeiten die Igelstationen auch mit sogenannten „igelkundigen Veterinärmedizinern“ zusammen. Die Aufzuchtstationen werden vollständig durch Spenden finanziert. „Da wo Arztkosten anfallen, bezahlen wir sie auch aus eigener Tasche.“

„Wenn Apotheken noch Restbestände des Jacutin Sprays haben – wir und alle anderen Igelstationen – würden sich riesig darüber freuen.“ Sie hätten viele andere Präparate ausprobiert, das Fazit: „Die ganzen Spot-On Präparate für Hunde, Katzen und Kaninchen eignen sich nicht für den Igel.“ In den einzelnen Igelstationen werden die Bestände knapp. Aufgebaut sind die Stationen ganz unterschiedlich. Manche nutzen einen Raum für die Aufzucht und Pflege, andere eine komplette Wohnung – je nachdem, was derjenige individuell leisten kann.

Interessant zu wissen: In der freien Natur wird das Tier wieder vom Floh befallen werden. „Der Igelfloh lebt nämlich im Igelnest, nicht auf dem Igel selbst“, erklärt Kaniewski. „Deshalb würde es auch wenig Sinn machen ein gesundes Tier mit Jacutin zu behandeln. Der Igelfloh lebt auch deshalb nicht auf Hunden und Katzen. Unsere Haustiere sind ein Fehlwirt für den Blutsauger.“ Menschen müssten sich also nicht fürchten, dass sie sich das Insekt ins Haus holen, wenn sie einen kranken Igel kurzzeitig mit in die Wohnung nehmen. Die Igelstationen klären aber auch gerne über offene Fragen auf. Das Igel-Notnetz hat hierfür eine eigene kostenfreie Hotline eingerichtet.

Im Jacutin Spray sind zwei Wirkstoffe enthalten – Allethrin und Piperonylbutoxid. Diese beiden Insektizide werden beim Menschen gegen Läuse angewendet. Piperonylbutoxid verstärkt hierbei als Synergist die insektizide Wirkung des Präparates. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist Krätze, die durch Krätzmilben verursacht wird. Bei Stiftung Warentest war das Spray damals durchgefallen: „Bei dem Mittel ist nicht ausreichend durch klinische Studien an Menschen belegt, dass sie Läuse wirksam bekämpfen und verträglich sind“, so das Urteil. Stiftung Warentest. Vor allem wurde bemängelt, dass durch den Sprühvorgang die Atemwege des Anwenders belastet werden könnten. Für Igel scheint die Wirkstoffkombination hingegen genau richtig.