Zwei Jahre allein in der Offizin

„Irgendwann sagt die Familie: ‚Die Apotheke oder wir!‘“

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Berlin -

Die Nachfolgersuche ist weiterhin eine der größten Sorgen vieler Apothekeninhaber: Regelmäßig schließen Betriebe, weil sie niemanden finden, der sie weiterführen will. Inhaber Dr. Abas Sanatgar hätte eigentlich einen Nachfolger – seine eigene Tochter. Doch er schließt trotzdem. Der Fachkräftemangel und die wirtschaftlichen Aussichten geben ihm wenig Hoffnung. Er sitzt schon seit zwei Jahren allein in seiner Apotheke, weil er niemanden gefunden hat.

Eigentlich liebt er seinen Job, doch es bringt nichts mehr, sagt Sanatgar. „Ich suche seit drei Jahren Mitarbeiter, aber ich finde einfach niemanden!“ Sechs Mitarbeiter habe er einst gehabt. „Aber die sind alle nach und nach in Rente oder woanders hin gegangen.“ Seit zwei Jahren schon stehe er deshalb allein in seiner Adler-Apotheke in Herford – „von morgens um sieben bis abends um sieben“, wie er erklärt. Das mache ihm sehr zu schaffen, beklagt er – noch dazu, wo Sanatgar sich mit seinen 65 Jahren den Ruhestand mehr als redlich verdient hat.

Ein wenig Unterstützung erhält er allerdings doch, nämlich von seiner Tochter, die ebenfalls Apothekerin ist. „Sie kommt ab und zu mal eine oder zwei Stunden vorbei, aber sie hat auch ein kleines Kind und ihr Mann arbeitet Vollzeit, deshalb geht das nicht so einfach.“ Eigentlich wäre sie also auch eine taugliche Nachfolgerin – doch das wolle er ihr nicht zumuten, sagt Sanatgar. An ihr geht der Fachkräftemangel schließlich auch nicht spurlos vorbei. „Meine Tochter ist jetzt in Mutterschaft – aber wenn wir keine Mitarbeiter finden, kann sie das auch später nicht alleine machen.“

Dabei fing es einst so viel versprechend an: 2003 übernahm Sanatgar die Adler-Apotheke, ein Haus mit Tradition. Historische Gefäße auf der Sichtwahl und eine prominent platzierte Adler-Statue zeugen bis heute davon, dass der Betrieb eine fast 125-jährige Geschichte hat. „Damals haben wir es hier noch gut gehabt“, sagt der Inhaber. Die Apotheke ist im recht zentral gelegenen Marta-Viertel eigentlich gut platziert gewesen: Es gab genügend Laufkundschaft und im direkten Umfeld waren mehrere Ärzte. Doch die letztens Jahre verschlechterten sich die Zustände kontinuierlich.

Die Ärzte gingen nacheinander weg, zwei sind verstorben und ihre Praxen wurden geschlossen. Den Todesstoß für die Apotheke gaben dann aber Bauarbeiten in der direkten Umgebung. Direkt gegenüber verläuft die Schillerbrücke, über die einst viele Menschen flanierten und auch in seiner Apotheke einkauften. Doch Ende 2018 begannen Abriss und Neubau. „Seit über einem Jahr bauen die da jetzt, aber da arbeiten immer nur zwei Leute!“, klagt er. So könne es noch ewig dauern, bis die Brücke vor seiner Apotheke wieder Laufkundschaft bringt. „Und vor meinem Laden ist auch ein großes Gebäude, das renoviert wird. Das dauert bestimmt auch nochmal zwei Jahre – aber so lange kann ich nicht mehr alleine machen, irgendwann falle ich noch tot um.“ Das alles führ alles dazu, „dass ich hier nicht mehr existieren kann“, so Sanatgar.

Am 30. April endet deshalb die 125-jährige Geschichte der Adler-Apotheke – denn Sanatgar hat aufgegeben. Dabei war eine Schließung anfangs gar nicht sein Wille. Lange hatte er nach einem möglichen Nachfolger gesucht und tatsächlich auch mehrere Interessenten gehabt. „Es gab drei potentielle Nachfolger, aber die haben die Situation gesehen und überlegt, ob sie hierfür Angestellte finden würden.“ Einer der Interessenten sei sogar erst im letzten Moment abgesprungen.

Um die Zukunft seiner Tochter muss er sich indes keine Sorgen machen. „Sie findet ganz schnell eine Anstellung“, ist er sicher. Bedrückt habe ihn hingegen die Reaktion einiger Kunden, als er die Schließung bekanntgab. „Viele von ihnen waren traurig“, sagt Sanatgar. Das beruhe auf Gegenseitigkeit: Auch ihm seien die Kunden über die Jahre ans Herz gewachsen. Aber wenn Schluss ist, ist Schluss. „Ich bin 65 Jahre, stehe jeden Tag von morgens bis abends alleine hier, irgendwann sagt die Familie: ‚Die Apotheke oder wir!‘“ Seine Entscheidung nehme er deshalb sehr gelassen. Er freue sich bereits auf den Ruhestand ab Mai: „Ich will mich jetzt erst einmal zuhause erholen, im Moment kann man ja nicht so viel reisen.“

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