Integration

Irakischer Sunnyboy wird PKA-Azubi Torsten Bless, 01.09.2018 13:44 Uhr

Berlin - 

Als ihn eine Miliz in den Kampfeinsatz schicken wollte, floh Sajad Alzarqway auf abenteuerlichen Wegen nach Deutschland. Drei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland beginnt der Iraker eine Ausbildung zum PKA. Die Kunden sind schon jetzt hin und weg vom charmanten jungen Mann.

Solange er denken konnte, habe er nur Gewalt erlebt, sagt Alzarqway. Der heute 24-Jährige wuchs in der Hauptstadt Bagdad auf. „Täglich gehen hier Bomben hoch und sterben Menschen.“ An der Seite seines Vaters stellte er sieben Jahre als Tischler Möbel her. „Danach verkaufte ich ein Jahr lang Lebensmittel in einem kleinen Geschäft.“ Den Traum vom Wirtschaftsstudium habe er sich wegen der schwierigen Lebensumstände nicht erfüllen können.

Seine Situation verschärfte sich, als ihn eine Miliz rekrutieren wollte. Sie boten gutes Geld, aber ein Kampfeinsatz kam für Alzarqway nicht in Frage. „Ich wollte keine Menschen töten und hatte auch Angst, dass ich das nicht überleben werde.“ Er beschloss, gegen den Willen seiner Eltern aus seinem Land zu fliehen. „Ich wollte in Freiheit leben, egal wo.“ Der Weg dahin geriet zur kräftezehrenden Odyssee: Mit dem Flugzeug ging es im Juli 2015 erst nach Ankara, dann mit dem Boot nach Griechenland, zu Fuß nach Serbien und Ungarn, schließlich mit dem Großraumtaxi nach Bayern. Die Behörden siedelten ihn in Stolberg bei Aachen an.

Doch auch in Deutschland erfüllte sich der Studienwunsch nicht: „Mein Abitur wurde hier nicht anerkannt.“ Anderthalb Jahre war er zur Untätigkeit verdammt. Nach Absolvierung eines Sprachkurses konnte er in den medizinischen Bereich hereinzuschnuppern. „Ich machte 20 Tage ein Praktikum im Krankenhaus, doch das war nichts für mich, ich habe Angst vor Blut.“ Da traf er Georg Eduard Blatzheim, den Besitzer zweier Apotheken in Stolberg. Blatzheim bot ihm ein dreiwöchiges Praktikum in der Hirsch-Apotheke im Vorort Büsbach an.

 

Zwischen Praktikant, Chef, Mitarbeitern und Kunden habe es sofort geklickt, erzählt der Inhaber. Auf das Praktikum folgte eine sechsmonatige Einstiegsqualifizierungsmaßnahme, die ab dem 1. September in eine PKA-Ausbildung mündet. „PKA ist ein guter Beruf mit Zukunft“, findet Alzarqway. „Medikamente annehmen, sortieren, bei Bedarf neu bestellen, auf den Bestand und das Verfallsdatum achten und den Namen von allen Medikamenten lernen – das ist alles sehr interessant, aber auch eine große Herausforderung.“

„Ein Problem ist noch die Sprache“, sagt Blatzheim. „Er hat schon sehr gute Deutschkenntnisse und kann sich auf einem hohen Niveau verständigen.“ Schwierig werde es bei den fachlichen Begriffen. „Alle Mitarbeiter müssen den Willen mitbringen, ihn so gut wie möglich zu unterstützen.“ Da sei es von Vorteil, dass seine Apotheken langjährige Ausbildungsstätten seien: „Die PKA-Azubis aus dem zweiten und dritten Ausbildungsjahr können ihn unterstützen.“ Sein „Neuer“ bringe gute Voraussetzungen mit ein: „Herr Alzarqway ist sehr wissbegierig und offen und hat den festen Willen, hier zu bleiben.“ Mit manchen Medikamentennamen oder lateinischen Ausdrücken tue er sich noch schwer, räumt der angehende PKA ein. „Jeden Tag lerne ich zu Hause erst eine halbe Stunde nur Deutsch, dann eine Stunde Fachliches“, erzählt er. „An jedem Sonntag lerne ich vier bis fünf Stunden.“

Seine Entscheidung, einen Geflüchteten aus dem Irak zu beschäftigen, habe im kleinen Büsbach durchaus für Kontroversen gesorgt, sagt Blatzheim: „Ich habe jetzt einen Muslimen in meinem Team, da kann man sich die Kommentare vorstellen. Viele, die Annäherungsschwierigkeiten haben, müssen sich nun mit dem ‚Fremden‘ auseinandersetzen. Darüber stellen sie fest, dass der ja doch ganz sympathisch ist.“ Alzarqway erfreue sich jetzt schon großer Beliebtheit, vor allem bei älteren Damen, so der Apotheker. „Er ist ein richtiger Sunnyboy, hat eine unheimlich positive Ausstrahlung und sehr gute Umgangsformen.“ Häufig werde dem jungen Mann ein Trinkgeld angeboten. „Wenn er aber sagt, das sei nicht nötig, er tue das gerne, dann imponiert das den Kunden.“

Wenn nur der andauernde Ärger mit den Behörden nicht wäre: „Manche Mitarbeiter da haben keine Lust, mir zu helfen“, hat Alzarqway erfahren. „Aber es gibt auch viele gute Leute, da vergisst man die schlechten.“ Das kann Blatzheim nur unterschreiben. „Ich habe in den letzten elf Monaten eine komplette Überforderung des gesamten Systems erlebt“, beklagt er. Immer wieder habe der Iraker Leerlauf in Kauf nehmen müssen. „Nach seinem Dreiwochenpraktikum im Oktober musste er sich bis zum Beginn der Einstiegsqualifizierungsmaßnahme ab dem 1. Februar arbeitslos melden“, so Blatzheim. Die Qualifizierungsmaßnahme endete am 31. Juli. Bis zum Ausbildungsstart musste Alzarqway von Amtswegen erneut pausieren. Mindestens zwei Stunden pro Woche sei er damit beschäftigt, mit den Ämtern zu telefonieren, sagt Blatzheim.

Mit Beginn des Ausbildungsverhältnisses gebe es keine staatliche Unterstützung mehr, bedauert der Apotheker. „Dann zahle ich ihm das normale Gehalt eines PKA-Auszubildenden. Dabei braucht er in den nächsten drei Jahren eine ganz andere Begleitung als deutsche Auszubildende“, so der Chef. „Das kann man nur aus einem sozialen Verantwortungsgefühl heraus machen, rein rational ist das nicht begründbar. Ich kann verstehen, wenn viele Kollegen sagen, dass sie sich das nicht antun wollen.“ Doch von rein wirtschaftlichen Interessen lasse er sich nun mal nicht leiten. „Ich engagiere mich schon seit einigen Jahren für die Akzeptanz von Flüchtlingen“, sagt der Apotheker. „Beispiele für eine gelungene Integration können vielleicht die Meinung der Menschen verändern. Herr Alzarqway hat jedenfalls alle Anlagen, den Beruf auszufüllen.“

Alzarqway will sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen, an eine Heimkehr denkt er nicht. „Stolberg ist zwar eine kleine Stadt, aber ich habe hier im Laufe der Zeit viele Freunde gefunden“, erzählt er. Zum Beispiel beim Fußball: „Seit anderthalb Jahren bin ich Mitglied in einem Verein.“ Mittlerweile habe er eine eigene Wohnung nur für sich allein. Doch seine Familie vermisse er schon sehr: „Ich hoffe, dass ich nach der Ausbildung einen deutschen Pass bekomme und meine Verwandten in der Türkei treffen kann.“ Den Beginn seiner Ausbildung könne er kaum erwarten: „Ich bin begeistert vom Beruf, man arbeitet im Team und kommuniziert viel mit Menschen“, sagt. „Man muss die Kunden mit Freude, Liebe und Herz behandeln.“