Inklusion

Krauthausen: „Einfach mal die Klappe halten“ Carolin Bauer, 14.03.2016 08:04 Uhr

Berlin - 

In Deutschland muss beim Thema Inklusion noch viel geschehen, moniert der Internetaktivist Raúl Krauthausen. Behinderte Menschen hätten hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern öfter mit Hürden zu kämpfen. Weniger hart geht er mit den Pharmazeuten ins Gericht: „Apotheken sind weitestgehend sensibilisiert für das Thema.“ Mit mehreren preisgekrönten Onlineportalen und Projekten will er die Integration von behinderten Menschen vorantreiben. Krauthausen ist ein Redner bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC am 16. März in Berlin.

Krauthausen gründete 2004 gemeinsam mit seinem Cousin den Verein „Sozialhelden“. Eines der populärsten Projekte ist Wheelmap.org. Nutzer können dort barrierefreie Orte sammeln und in einer interaktiven Karte eintragen. Mithilfe von Smartphones werde eine neue junge Zielgruppe ganz einfach mit einem ernsten sozialen Thema konfrontiert, so Krauthausen.

Auch viele Apotheken seien dort verzeichnet. Der Heilberuf sei angesichts rechtlicher Vorgaben zur Barrierefreiheit und des Kontakts mit älteren Menschen oder Familien mit Kinderwagen ohnehin für das Thema sensibilisiert. Barrierefreie Arztpraxen könnten aktuell mithilfe der Stiftung Gesundheit gesucht und integriert werden.

Der 35-Jährige sitzt selbst im Rollstuhl. „Das Thema Behinderung muss raus aus der Mitleidsecke und rein in den Mainstream geholt werden“, fordert er. Dabei sei die Sprache ein wichtiges Instrument, um etwas zu verändern. „Über Behinderte wird oft negativ statt neutral gesprochen.“ Rollstuhlfahrer etwa seien nicht an das Hilfsmittel „gefesselt“. Für Betroffene bedeute das Gerät dagegen Freiheit und Selbstbestimmtheit.

Dem ausgebildeten Telefonseelsorger und Buchautor begegnen auch selbst immer wieder unpassende Kommentare: Kürzlich sei er im Wartezimmer einer Arztpraxis von einem Lieferanten medizinischer Hilfsmittel mit „Sie sind aber ein kleiner witziger Mann“ angesprochen worden. Man müsse das Aussehen der Anderen nicht kommentieren. Bei Unsicherheiten mit der Ansprache von behinderten Menschen rät er: „Im Zweifel einfach mal die Klappe halten.“

Behinderte Menschen würden heute generell besser in die Gesellschaft einbezogen als früher, so Krauthausen. „Wir tauchen sozial-medial öfter auf.“ Ein Anfang sei, dass mehr mit als über Menschen mit Beeinträchtigungen gesprochen werde. Schwachstellen sieht er bei Behörden: Der „Fürsorgestaat“ meine rational zu wissen, was gut sei. Durch die permanenten Sparmaßnahmen gebe es in der vergangenen Zeit aber eher eine Verschlechterung. „Man wird behandelt wie ein Mensch zweiter Klasse.“

Journalisten will der gebürtige Peruaner mit dem Portal „Leidmedien“ bei der richtigen Sprachwahl unterstützen. Sein Projekt geht einseitigen Sprachbildern, Floskeln und Klischees in der Medienberichterstattung nach: „Er führt ein Leben in absoluter Dunkelheit“, „Tapfer meistert sie ihr Schicksal“, „Sie leidet an Muskelschwund“ oder „Trotz ihrer Behinderung lächelt sie oft und strahlt viel Lebensfreude aus“ sind einige Beispiele. Zudem ist eine Bilddatenbank mit klischeefreien Fotos geplant.

Für den Berliner Verein, der sich über Fördermittel und Spenden finanziert, arbeiten zehn Mitarbeiter. Aktuell arbeitet das Team an einem neuen Projekt: Jungen Menschen soll über Rollenbilder gezeigt werden, dass ihnen ein breites Angebot an Berufen offen steht: „Es gibt rollstuhlfahrende Tischler oder gehörlose Karatelehrer“, sagt Krauthausen. Im Laufe des Jahres soll das Portal online gehen.

Das digitale Zeitalter erleichtert laut Krauthausen die Aufklärung. „Über das Internet kann man sehr stark werben, Informationen bereitstellen und auf Aktionen hinweisen.“ Letztlich werde die analoge Welt dadurch jedoch nicht barrierefrei. „In der realen Welt brauchen wir Aufzüge und Rampen.“ Letztere verkauft der Verein Sozialhelden für 180 Euro.



Krauthausen ist Referent bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC am 16. März in Berlin. Unter dem Motto „Kein Mut, kein Change. Disrupt yourself!“ setzt er sich mit Stereotypen auseinander. Die Veranstaltung widmet sich dem digitalen Wandel in Pharma & Apotheke; rund 250 Gäste werden im Cafe Moskau erwartet. Weitere Informationen und Tickets: http://vision.apotheke-adhoc.de/