Gefahrgut

Der ABC-Apotheker

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Berlin -

Dr. Ralf Schabik ist ABC-Fachmann: Um Menschen zu helfen, setzt der Apotheker sein Wissen nicht nur in den beiden Wallenstein-Apotheken im bayerischen Altdorf ein. Er engagiert sich auch bei der Feuerwehr im Landkreis Nürnberg als Kreisbrandmeister und Fachberater für ABC-Gut – atomare, biologische und chemische Gefahrstoffe.

Seit er 14 Jahre alt ist, arbeitet Schabik ehrenamtlich bei der Feuerwehr. „Ich wollte nicht zum Bund. Und wer mindestens zehn Jahre bei der Feuerwehr war, wird freigestellt“, erklärt er. 1996, als er von Nürnberg ins 25 Kilometer entfernte Altdorf umzog, blieb er der Feuerwehr treu. „In Altdorf ist der Gefahrgutzug des Landkreises angesiedelt“, berichtet Schabik. Wegen seiner langen Erfahrung als Feuerwehrmann habe man ihn bald zum Gruppenführer ernannt.

Das Ehrenamt bei der Feuerwehr mit der Arbeit in den zwei Apotheken zu verbinden, sei nicht einfach. Der Funkmeldeempfänger könne ihn jederzeit zu einem Unfall rufen. Wie er diese Spontanität möglich mache? „Viel persönlicher Einsatz – und hohe Personalkosten“, gibt er zu. Weil er außerdem in Berufsschulen Kurse gebe und in der Verbands- und Kammerarbeit aktiv sei, müsse er recht oft die Apotheke verlassen. Wenn Schabik Notdienst hat, was etwa 60 Mal im Jahr vorkommt, kann er nicht an Einsätzen teilnehmen.

Nach einem Lastwagen-Unfall auf der Autobahn hatte er den Erkundungszug angeführt, also das Team von Feuerwehrleuten geleitet, das den Einsatzort zuerst begeht. Plötzlich warnte ihn seine Nase vor einem chemischen Stoff. Der LKW hatte tatsächlich Gefahrgut transportiert. Der Kreisbrandmeister brachte Schabik nach diesem Vorfall auf die Idee, sich zum Gefahrgut-Berater weiterbilden zu lassen. 2011 absolvierte der Apotheker den Lehrgang an der Feuerwehrschule: „Das war sehr interessant, da die einzelnen Teilbereiche von Experten gelehrt wurden, zum Beispiel vom Helmholtz-Institut“, sagt Schabik.

Später machte er noch eine Weiterbildung im Bereich Notfallstation. Dabei beschäftigte er sich mit einem Unfall in einem Kernkraftwerk. „Wir lernen, eine große Anzahl von Menschen zu evakuieren und von Strahlung zu reinigen“, berichtet er. Am Beispiel von Fukushima habe er bei der Weiterbildung Einsatztaktiken erörtert und die Strahlenausbreitung analysiert. „Ob Deutschland aber vorbereitet wäre, wenn es zum Ernstfall kommt, kann ich nicht sagen“, meint Schabik.

Für Gefahrstoff-Unfälle wird ein Fachgutachter von der Feuerwehr angefordert. Grundsätzlich muss jeder Landkreis einen solchen Sachverständigen haben. „In Nürnberg sind wir in der glücklichen Lage, dass wir sogar zu dritt sind“, sagt Schabik. Neben ihm seien noch ein Bauingenieur und eine Atomphysikerin dazu ausgebildet. Die Physikerin sei erste Ansprechpartnerin für atomares Gefahrgut. „Meine Kompetenz liegt im Bereich der biologischen und chemischen Stoffe“, sagt Schabik. Das sei naheliegend, immerhin habe ihm sein Pharmaziestudium viel nützliches Wissen mitgegeben. Dennoch kennt er keinen anderen Apotheker, der ebenfalls Gefahrgut-Berater ist.

Bei Unfällen, in die Gefahrguttransporter verwickelt sind, werden Schabik zuerst die Ladungspapiere in die Hand gedrückt. „Ich prüfe dann, welche organischen und anorganischen Substanzen im Ladungsraum sind und wie diese reagieren könnten“, beschreibt er. Auf dieser Basis informiert er die Sanitäter, welche Gegenmittel bereitgehalten werden sollten.

„Außerdem prüfe ich Wetterdaten und bestimme die möglichen Ausbreitungsrichtungen“, ergänzt Schabik. Er beschäftigt sich auch mit dem Boden und beurteilt, ob Ausgrabungen nach Chemikalienaustritten nötig sind. Auch zur Wasserwirtschaft hält er Kontakt. Schabik hat Messgeräte dabei, mit denen er auf 40 verschiedene Substanzen prüfen kann. „Ich wähle für das Einsatzteam drei bis vier aus, die mir sinnvoll scheinen“, sagt er.

„Als Berater spreche ich lediglich Handlungsempfehlungen aus. Entscheidungen treffe ich nur, wenn ich als Zugführer im Einsatz bin“, betont Schabik. Das Erkundungsteam übermittle ihm viele Informationen. „Es ist allerdings schwierig, chemische Namen über Funk vorzulesen“, sagt Schabik. Daher beschrieben ihm die Feuerwehrleute eher die Gefahrensymbole auf der Ladung. Zudem würden vermehrt Kameras verwendet. Manchmal berate er die Teams auf diesen Weg sogar, wenn er in der Apotheke im Notdienst ist.

Manchmal begleite er das erste Team auch. „Während meine Kollegen dann ihre Schutzanzüge tragen, komme ich oft in normaler Einsatzkleidung mit“, erzählt Schabik. „Manche finden das riskant, aber meine Nase warnt mich schon“, sagt er.

Schabik ist schon in gefährliche Situationen geraten. „Einmal lag ich unter einem Tank mit Schwefelsäure. Ich wusste, dass ich nur 20 Minuten Zeit habe, bevor etwas durchsickert“, erinnert er sich. Immer wieder sei es zudem dazu gekommen, dass sich der Wind plötzlich gedreht habe und er Chemikaliendämpfe eingeatmet habe.

Große Gefahrgut-Einsätze seien eher selten, sie fielen etwa drei- oder viermal im Jahr an, schätzt Schabik. Doch auch bei Standard-Einsätzen helfe sein Fachwissen. „Man wird für Gefahren sensibilisiert“, sagt er. „Wir wurden zu einem LKW-Brand gerufen. Ich habe aber gesehen, dass der Laster Geschirrspülmittel geladen hatte und habe die Kläranlage informiert, dass sie sich auf ein erhöhtes Laugenmenge einstellen“, erzählt er. Er habe zudem jedes Feuerwehrfahrzeug mit Desinfektionsmittel ausgestattet. Bei Unfällen mit hohem Blutverlust warne er seine Kollegen, das Blut nicht mit den Schuhen noch weiter zu verbreiten.

Zum Teil bitte ihn auch die Polizei bei Einsätzen um eine Einschätzung, auch wenn er bei ihnen nicht als Berater gelistet ist. „Sie wollen zum Beispiel wissen, ob sie jemanden weiterfahren lassen können – oder besser nicht“, berichtet er. Denn in Unfälle verwickelte Fahrzeuge untersucht werden, würden hin und wieder eingeschmuggelte Waren entdeckt. Die Region Nürnberg liege auf der Fahrtstrecke zwischen den osteuropäischen Staaten und den Benelux-Ländern. „Schmuggelware kann sehr gefährlich werden, wenn es sich etwa um chemische Substanzen handelt, die nicht auf der Ladungsliste vermerkt sind“, sagt Schabik.

Die Arbeit in der Apotheke und bei der Feuerwehr gefalle ihm aus unterschiedlichen Gründen. Er schätze die Schnelligkeit und den Druck, mit der er beim Einsatz Entscheidungen treffen müsse. In der Apotheke könne er sich dagegen für Probleme mehr Zeit nehmen.

In beiden Fällen helfe er Menschen, was ihm wichtig ist. „Der Unterschied ist aber, dass ich in der Apotheke elf Monate später eine Retaxation von der Krankenkasse bekomme“, sagt Schabik. Zwar gebe es auch bei der Feuerwehr Nachbesprechungen, aber es gehe nicht darum, unbedingt den kleinsten Fehler zu finden.

„Mir gefällt an meinem Dienst bei der Feuerwehr, dass ich Hand in Hand mit verschiedenen Fachleuten zusammenarbeite: Sanitäter, die Polizei, THW-Spezialisten und manchmal auch mit den Speditionsdiensten hinter den Gefahrguttransporten“, erklärt Schabik. Mit einigen Feuerwehrleuten verstehe er sich im Einsatz blind. In der Apotheke sei das ähnlich: „Mit meinen Mitarbeitern, Ärzten, Hebammen und Krankenpflegern arbeite ich interdisziplinär am selben Ziel: der Gesundheit von Menschen“, fasst Schabik zusammen.

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