Köln

CSD: Apotheker solidarisch mit HIV-Positiven

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Berlin -

Jahr für Jahr gehen beim Kölner Christopher Street Day (CSD) auch HIV-Infizierte für mehr Sichtbarkeit und gegen Ausgrenzung auf die Demostrecke. Erkennbar sind sie am markanten orangefarbenen T-Shirt. Auch Dirk Vongehr, Betreiber der Paradies-Apotheke, ist mit voller Begeisterung dabei.

Seit 15 Jahren gibt es „Posithiv Handeln“ bereits. Nach eigener Darstellung ist der Verbund die „größte positive Selbsthilfebewegung in Deutschland“. „Wir wollen als HIV-Positive für uns und andere Positive in NRW etwas bewegen“, so ein Sprecher. Anlass, nach außen zu gehen, war der Prozess um Nadja Benaissa. Die Ex-Sängerin der No Angels wurde 2007 beschuldigt, einen Liebhaber nicht vor ihrer HIV-Infektion gewarnt zu haben. „Wir waren wütend, dass HIV-Positive in die kriminelle Ecke gedrängt wurden, und gingen damals erstmals zum CSD auf die Straße.“ Seitdem sind die Aktiven mit ihren markanten orangefarbenen T-Shirts auf vielen CSDs und Events präsent.

Schon seit vielen Jahren engagiert sich Dirk Vongehr privat für die Rechte von Lesben, Schwulen, Transgendern und HIV-Positiven. Zu „Posithiv Handeln“ fand er 2014. „Jedes Jahr zum CSD machen die Aktiven eine neue Aktion. Vor drei Jahren hatten sie orangefarbene Visitenkarten mit dem Motto ‚Mut gehört dazu‘ dabei, mit denen sich die Menschen, darunter auch einige Promis, fotografieren lassen konnten. Ich nahm die Karte mit für ein Selfie im Stadion des 1. FC Köln.“ Vongehr informierte sich eingehender über die Arbeit der positiven Selbsthilfe in NRW. Und beschloss, sich den Aktionen anschließen.

Dank der zur Welt-Aids-Konferenz 1997 in Vancouver vorgestellten Kombinationstherapien hat sich die Situation für HIV-Positive grundlegend geändert und mit ihr die Arbeit der Aidshilfen und -organisationen. „Bis vor 20 Jahren ging es noch darum, den Betroffenen die letzten Jahre noch so erträglich wie möglich zu machen“, hat Vongehr beobachtet. „Doch mittlerweile kann man mit einer HIV-Infektion ein normales Leben führen und auch arbeiten gehen.“

Eine Studie habe gezeigt, dass mittlerweile die Lebenserwartung bei HIV-positiven Männern sogar im Schnitt um fünf Jahre höher liege als bei nichtinfizierten Männern. Das erfuhr Vongehr bei einer Fortbildung mit einer HIV-Schwerpunktärztin. „Das liegt auch mit daran, dass HIV-Infizierte in Behandlung im Schnitt alle drei Monate zur Kontrolluntersuchung gehen und ihre Blutwerte untersuchen lassen. So ist die Kontrolle viel engmaschiger als bei anderen, die nur gelegentlich zum Arzt gehen.“

Die Stigmatisierung der Betroffenen sei geblieben, ihr könne man nur mit Sichtbarkeit entgegnen, ist er überzeugt. „Man muss immer wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es nicht nur einige wenige betrifft. Selbst in der schwulen Szene werden HIV-Positive noch ausgegrenzt, viele sagen mir, dass sie keinen kennen. Da entgegne ich ihnen, dass es wohl mehr von ihnen in ihrem Bekannten- und Freundeskreis gibt, als sie sich vorstellen. Viele trauen einfach nicht, sich zu bekennen, da sie Ablehnung fürchten.“

Da sei es umso wichtiger, auch als Nichtbetroffener Solidarität zu zeigen, immer wieder aufs neue. Die Botschaft ist bei vielen bereits angekommen: „Bei der CSD-Demonstration laufen Menschen jeden Geschlechts und aller sexuellen Orientierung, HIV-Positive wie -Negative mit.“ Nach Zählung von „Posithiv Handeln“ waren im letzten Jahr etwa 150 Teilnehmer dabei.

Vongehr nimmt es gerne in Kauf, dass sein Engagement schon mal Fragezeichen und unausgesprochene Vermutungen auslöst. „Bei einer Aktion in einer Kneipe habe ich einen alten Bekannten vom Volleyball getroffen, ich konnte an seinem irritierten Blick sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.“ Auch ein HIV-positiver Mitarbeiter im Apothekenteam habe ihn gefragt, warum er sich so aus dem Fenster lehne. „Ich sagte ihm: Gerade deine Frage zeigt, wie nötig die Arbeit ist.“

Auch finanziell unterstützt Vongehr die Selbsthilfe. „Im letzten Jahr haben wir mit ein paar Leuten den Förderverein Posithivcare gegründet“, erläutert er. „Damit wollen wir helfen, die Arbeit zu finanzieren. Es ist schwierig, an öffentliche Zuschüsse zu kommen, überall muss gespart werden. Ich glaube, die Lage wird unter der neuen schwarz-gelben Landesregierung nicht einfacher werden.“ 3000 Euro stiftete der Förderverein zum letzten CSD, die Paradies-Apotheke gab ein Drittel dazu. Damit konnte erstmals ein Paradewagen zusätzlich zur Fußgruppe finanziert werden.

Zudem bietet die Paradies-Apotheke einen wöchentlichen Lauftreff an. „Jeden Montag, sobald ich die Apotheke abgeschlossen habe, laufen wir etwa eine Stunde durch die Kölner Südstadt“, schildert der Betreiber. „Nach ungefähr einem Kilometer halten wir an und machen Übungen, um Gleichgewicht, allgemeine Beweglichkeit und Kraft zu trainieren.“ Das Angebot sei für Menschen aller Fitnesslevels gedacht. „Keiner wird hier zurückgelassen.“

Je nach Wetterlage oder Zeit nutzen zwischen fünf und 15 Hobbysportler das Angebot, für das sich Vongehr auch schon für den Deutschen Apothekerpreis bewarb. „Den Personal Trainer bezahle ich, für die Läufer ist die Teilnahme kostenlos. Wer will und kann, spendet am Ende einer Runde für den Förderverein.“

In seinem Engagement will der Kölner Apotheker so bald nicht nachlassen. Es gebe noch viel zu tun: „Es gibt noch so viel Unwissenheit in den Köpfen, gerade über die neuen Möglichkeiten von Safer Sex angeht. Zusätzlich zum Kondom gibt es den Schutz durch Therapie: Wer als HIV-Positiver regelmäßig seine Tabletten einnimmt, seine Blutwerte regelmäßig checken lässt und mit seiner Viruslast dauerhaft unter der Nachweisgrenze ist, kann keinen anderen mehr infizieren“, erläutert er. „Und da gibt es die PrEP, die Präexpositionsprophylaxe mit Tabletten, die hier aber noch nicht von den Krankenkassen finanziert wird.“

Vongehr rät zudem allen sexuell Aktiven regelmäßig zum Test zu gehen: „Viele sind HIV-positiv und wissen es noch gar nicht. So können sie unwissentlich andere anstecken und später möglicherweise erkranken. Dabei sind die Behandlungsmöglichkeiten heute sehr gut.“

Die CSD-Aktionen in diesem Jahr stehen unter dem Motto „Du hast die Wahl“. Das klingt so vieldeutig, wie es gemeint ist. „Im Jahr der Bundestagswahl wollen wir ein Zeichen gegen populistische Tendenzen und Ausgrenzung von Minderheiten setzen“, sagen die Organisatoren.

Aber auch die eigene Community darf sich angesprochen fühlen: „Du hast die Wahl, auf deinem heimischen Sofa zu bleiben oder dich für Vielfalt und Solidarität einzusetzen. Entweder du bist passiv oder du behältst das Heft in der Hand.“

Vongehr ist bei der Kölner CSD-Demonstration mit vollem Elan in seinem orangefarbenen T-Shirt dabei: „Posithiv Handeln ist einfach das beste, was es in Nordrhein-Westfalen gibt, um HIV-Positive sichtbar zu machen.“

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