Ausnahmezustände in Kliniken

Klinikmitarbeiter: Covid-19 und auf Station Alexandra Negt, 20.03.2020 08:48 Uhr

Pflegekräfte, die an einer Infektion leiden, bleiben im Normalfall zu Hause. Aufgrund des akuten Personalmangels erwägen einzelne Kliniken, Infizierte weiter arbeiten zu lassen – mit FFP3 Masken. Foto: joel bubble ben/Shutterstock.com
Berlin - 

Die Lage in den Kliniken ist angespannt. Die Bettenanzahl reicht nicht aus, die Intensivkapazitäten müssen hochgefahren werden. Ein deutschlandweites Register informiert seit gestern online über freie Beatmungsplätze in den Kliniken. Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken werden in großen Stückzahlen entwendet. Nachdem einige Krankenhäuser versuchen, fachausgebildete Medizinstudenten während der vorlesungsfreien Zeit als Unterstützung zu rekrutieren, gehen einzelne Kliniken weiter: Wer positiv auf Covid-19 getestet wurde und keine Symptome aufweist, soll weiterhin arbeiten gehen.

Klinikpersonal als Infektionsquelle

Dass Krankenschwestern und Pfleger häufig selbst Träger von potentiell gefährlichen Keimen sind, ist nicht unbekannt. Schätzungen zufolge sind knapp 30 Prozent aller Menschen Träger von MRSA-Keimen, darunter auch Pflegepersonal. Bei vielen kommt es aber zu keinen Symptomen. Mit der aktuellen Covid-19 Pandemie kommt ein neuer Erreger hinzu. Genau wie in den Apotheken ist es eine Frage der Zeit, bis sich auch Angestellte des Krankenhauses mit dem Keim infizieren. Aufgrund der angespannten Personalsituation ziehen einige Kliniken in Betracht, infiziertes Personal – welches symptomlos erkrankt – weiter arbeiten zu lassen. Zu groß wäre die Lücke durch einen personellen Ausfall.

Bremen informiert per Rundschreiben

Der städtische Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) hat an alle seine Mitarbeiter ein Schreiben geschickt, indem die Angestellten angehalten werden, auch im Falle einer Sars-CoV-2 Infektion weiterhin arbeiten zu gehen. Wer infiziert ist, solle sich mit dem Klinikhygieniker kurzschließen und das weitere Vorgehen besprechen. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: „Ich bin selbst mit dem Corona-Virus infiziert, fühle mich aber gut. In diesem Fall kann ich grundsätzlich weiter arbeiten.“ Um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, sollen infizierte Mitarbeiter auf FFP3-Masken umsteigen. Diese Filtermasken sind im normalen Klinikalltag selten, sie werden meist nur zur Behandlung von Tuberkulose-Patienten benötigt. Der Grundbestand der Masken ist im Krankenhaus gering. Eine Aufstockung des Bestandes ist aufgrund der momentanen Liefersituation nur begrenzt möglich.

Passender Arbeits- und Infektionsschutz fehlt

Auch in anderen Kliniken werden Hilfsmittel knapp. „FFP3-Masken haben wir kaum welche da. Irgendwann wurde die Filtereinheit schon auf FFP2 runtergestuft, da man eine Zeit lang gar keine FFP3-Masken bestellen konnte. Ob die niedrigere Klasse ausreicht, um sich vor Viren zu schützen, das weiß ich ehrlich gesagt nicht,“ berichtet eine Krankenschwester aus dem Saarland, die an ihrem Klinikum ähnliche Zustände erlebt. „Zuerst hieß es auch, dass man diese Masken nur zwei Stunden lang tragen darf, da sie dann durchfeuchtet sind. Nun kam die Anweisung, dass man sie trocknen lassen sollte“, ergänzt sie unsicher. Ähnliche Aussagen kamen auch von Angestellten der Uniklinik Köln. Die Verunsicherung innerhalb des Klinikpersonals steigt: „Man kann nur hoffen, dass es bald genügend Schutzausrüstung gibt.“ Ist eine Atemschutzmaske durchfeuchtet, so hält sie Keime nicht mehr zuverlässig zurück. Im schlimmsten Fall könnte dann die Krankenschwester, der Pfleger oder der Arzt zum sogenannten „Superspreader“ werden.

„Superspreader“

Das wohl bisher bekannteste Beispiel der „Superspreader“ (Superverbreiter) ist der chinesische Nierenfacharzt Liu Jianlun. Er war selbst mit Sars-CoV-2 infiziert. Durch seine Arbeit in der Praxis und dem Aufenthalt in einem Hotel in Hongkong mit anschließender Familienfeier infizierte er zahlreiche Menschen. Analysen konnten zeigen, dass der Arzt mit 4000 Infektionen in Zusammenhang gebracht werden konnte, Wissenschaftler gehen davon aus, dass über 500 an Covid-19 Verstorbene auf Jianlun zurückzuführen sind.

Kein Besuch mehr in Kliniken

Die meisten Krankenhäuser haben die Besuchszeiten stark gekürzt, oder ganz gestrichen. Auch Patienten, die zur stationären Aufnahme kommen, sollen nicht begleitet werden. Die Krankenhäuser möchten durch diese Maßnahmen die Ausbreitung des Virus einschränken. Berlin soll nach Aussagen der Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sogar ein eigenes Krankenhaus für Covid-19-Patienten bekommen. Es soll auf dem Gelände der Messe Berlin Platz für bis zu 1000 Patienten bieten und in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr entstehen.

Geburten ohne Väter

Auch in Bonn werden die Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ausgeweitet. Wegen der Coronakrise dürfen in der Bonner Uniklinik Väter bei Geburten nicht mehr in den Kreißsaal. Die Klinik habe sich schweren Herzens zu diesem Schritt entschlossen, um das Infektionsrisiko für Patientinnen und Mitarbeiterinnen möglichst gering zu halten, sagte eine Sprecherin am Donnerstag. „Das bedeutet leider, dass werdende Väter ihre schwangeren Frauen weder vor, während noch nach der Geburt begleiten oder besuchen dürfen.“ In der Klinik gibt es im Schnitt fünf Geburten pro Tag. Zuerst hatte der Bonner General-Anzeiger berichtet.

Pfleger beschreiben die Situation als unzumutbar

Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken sind nicht nur in den Apotheken knapp. Auch die Krankenhäuser verfügen immer seltener über ausreichende Mengen an Hilfsmitteln. Der Bundesverband der Deutschen Krankenhausapotheker (ADKA) bestätigt die zahlreichen Diebstähle in den Krankenhäusern und appelliert an die Vernunft der Bürger. „Zum Teil wurden die Desinfektionsmittelspender komplett aus der Wand gerissen. Auch von einem Lagereinbruch wurde mir berichtet“, so Geschäftsführer Rudolf Bernard.

Zuletzt wurde von einem Diebstahl aus einer Klinik in Hamm berichtet: Rund 750 OP-Masken und 200 Atemschutzmasken haben Unbekannte gestohlen. Außerdem seien etwa 100 Flaschen Desinfektionsmittel sowie Desinfektionstücher mitgenommen worden, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch. Die Gegenstände seien zwischen Montag und Dienstag verschwunden. Vor zwei Tagen waren bereits 50.000 Atemschutzmasken in Kölner Kliniken gestohlen worden. Nach Angaben der Stadt sollen nun alle Krankenhäuser angewiesen worden sein, täglich den Bestand zu kontrollieren.

Das Schlimmste ist vorbei

„Das Schlimmste ist vorbei“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), mit Blick auf die Versorgung von Krankenhäusern mit Schutzausrüstung. Die Versorgung werde jetzt „keines der primären Probleme mehr darstellen“. Die Hamsterkäufe seien ausgestanden. Bis zuletzt habe allerdings die Gefahr bestanden, dass die Praxen „leerlaufen“. Die Ärzte bräuchten dringend das Material, sonst drohten Schließungen. Wie viele Masken heute geliefert und verteilt werden, sagte Gassen nicht.