4 Jahre Haft, 4,5 Millionen Euro Einziehung

Arzneimittelpanscher: BGH hebt Urteil auf

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Berlin -

Das bayerische Unternehmerehepaar, das die vermeintlichen Krebsmittel „Rerum“ und „Rerum blue“ ohne Zulassung an Patienten und Therapeuten verkauft hat, muss erneut vor Gericht. Nachdem der Mann im Frühjahr 2019 wegen des vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Einziehung von insgesamt 4,5 Millionen Euro angeordnet wurde, hatte er Revision eingelegt. Die war erfolgreich. Grund zur Freude ist das für ihn aber nur bedingt: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss dem Landgericht Nürnberg-Fürth nahegelegt, die Anklage um einen weiteren Straftatbestand zu erweitern.

Von der BHG-Entscheidung ist auch die Frau des Verurteilten betroffen: Sie muss zwar in einem gesonderten Verfahren Rechenschaft ablegen, doch hatte das Landgericht geurteilt, dass auch von ihr Tatmittel eingezogen werden: 1,5 der 4,5 Millionen Euro sollten von ihr kommen. Auch diese Zahlung wird nun bis zu einem erneuten Urteil aufgeschoben. „Die Aufhebung des Urteils ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte zu erstrecken“, so der BGH.

Der 63-jährige Heilpraktiker und Volkswirt wurde dafür verurteilt, insgesamt fünf Chargen von nicht zugelassenen Arzneimittel in Verkehr gebracht zu haben. Er hatte die Substanzen laut Staatsanwaltschaft für je sieben Euro pro Drei-Milliliter-Phiole mit Ölsäure, Vitamin D und aus Knorpelgewebe gewonnenem Chondroitinsulfat erworben und an Patienten als angebliches Wundermittel gegen Krebs für rund 300 Euro verkauft. 9858 dieser Phiolen hat er laut BGH zwischen 2015 und 2018 abgesetzt.

In Vorträgen habe er die Vitamin-Öl-Emulsion als „Produktwunder“ angepriesen und suggeriert, dass es sich dabei um ein Medikament handele. Sogar mit seiner eigenen Mutter hatte er geworben: Sie habe er von Schmerzen im Knie befreit, indem er ihr das Präparat gespritzt habe. „Der Angeklagte bestimmte – was die betroffenen Verkehrskreise (Endkunden, Ärzte und Therapeuten) auch so verstanden haben – die veräußerten Produkte dazu, als Heilmittel auch und insbesondere bei Krebsleiden im Endstadium, Autismus sowie bei anderen Krankheiten eingesetzt zu werden“, so der BGH. „Sie haben – über einen Placebo-Effekt hinaus– keinen medizinischen Nutzen.“

Hinweise auf den Sendungen, wonach die Emulsionen nicht für die Anwendung an Mensch und Tier bestimmt sind, hatte der Verurteilte selbstständig entfernt, die Phiolen mit einem willkürlichen Mindesthaltbarkeitsdatum versehen sowie Spritzen und Adapter für die Einnahme beigelegt. Auch enthielten die Mittel jeweils einen geringen Alkoholgehalt, der ebenfalls nicht deklariert wurde.

Es scheint also keine belegten Zweifel daran zu geben, dass die Taten sich so abgespielt haben, wie vom Landgericht befunden. Allerdings haben die Richter anscheinend nicht sauber gearbeitet – denn der beklagte Geschäftsmann kam offenbar nicht ausreichend zu Wort. „Zu Lasten des Angeklagten liegt ein durchgreifender Rechtsfehler vor, da die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Landgericht die Überzeugung von den Taten verschafft hat, rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Sie ist lückenhaft, weil jegliche Angaben dazu fehlen, ob und wie sich der Angeklagte zur Sache eingelassen hat“, schreibt der BGH, der sich offenbar kein ausreichendes Bild von den Äußerungen des Angeklagten machen konnte. Es bedürfe einer „geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten“, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können. Das liege in dem Fall nicht vor, eine Auseinandersetzung mit der Einlassung fehle in den Urteilsgründen komplett. „Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob der Angeklagte sich überhaupt zu dem Anklagevorwurf geäußert hat“, so der BGH.

Allerdings haben die Richter in Bayern auch die Bedenklichkeit der vermeintlichen Medikamente aus Sicht des BGH nicht ausreichend belegt. Das Landgericht habe die Bedenklichkeit maßgeblich auf den Alkoholgehalt gestützt, dabei jedoch keine konkreten Feststellungen zu den gesundheitlichen Folgen bei einer Einnahme von 1 ml des Mittels entsprechend der Dosierungsempfehlung in der Packungsbeilage getroffen. Bei einer festgestellten maximalen Ethanolkonzentration von 2,1 Prozent ergäbe sich bei der empfohlenen Einnahme von 1 ml des Mittels aber eine Alkoholmenge von gerade einmal 0,021 ml. „Vor diesem Hintergrund wäre auch ein entsprechender Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Bedenklichkeit des Arzneimittels genauer in den Blick zu nehmen“, so der BGH, der allerdings auch eine schlechte Nachricht für den Angeklagten hat: Denn angesichts des Umstandes, dass den Mitteln über einen Placebo- Effekt hinaus keine medizinische Wirkung zukommt, komme auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betruges nach § 263 StGB in Betracht, gibt der BGH den Richtern für das kommende Verfahren mit auf den Weg.

 

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