Studie

Apotheke macht Diabetes-Patienten mündiger

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Berlin -

Wie Typ-2-Diabetiker lernen können, ihre Gesundheit auch ohne starke Medikamente zu verbessern, will eine von der Universität Erlangen-Nürnberg initiierte einjährige Studie unter Beweis stellen. Auch eine Apotheke und ein knappes Dutzend Patienten aus Illertissen sind dabei.

Ein weiteres Mal haben sich die Forscher der Universität mit dem an die Bayerische Landesapothekerkammer angegliederten Wissenschaftlichen Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG) zusammengetan. Schon 2015 wiesen sie nach, dass eine intensive Betreuung durch Apotheker das Diabetesrisiko senken kann.

„Eines Tages bekamen wir ein Fax, alle Apotheken, die Interesse an einer Studie mit Typ-2-Diabetikern hatten, wurden eingeladen, sich zur Teilnahme zu bewerben“, berichtet Ingeborg Spranger von der Apotheke am Bahnhof. „Wir waren sofort begeistert!“ In einem anhängenden Fragebogen wurde den Kandidaten eingehend auf den Zahn gefühlt. „Man wollte genau wissen, wie wir als Apotheke so aufgestellt sind, ob wir uns weitergebildet oder schon selbst Vorträge gegeben hatten. Nach einer langen Sendepause bekamen wir die Rückmeldung, dass wir zu den zwölf Interventionsapotheken zählen sollten. Darüber haben wir uns riesig gefreut!“

Gemeinsam mit einer angestellten Apothekerin und einer PTA machte sich Spranger auf die Suche nach in Frage kommenden Patienten. „Zunächst sprachen wir Kunden an, die entsprechende Medikamente bei uns bezogen.“ Die Resonanz war groß. Wer in seinem Leben schon mal einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hatte, wurde von der Teilnahme ausgeschlossen. „Da sind einige der Interessenten herausgefallen“, bedauert Spranger. Ein gutes Dutzend Patienten blieb nach diesem Auswahlprozess übrig, viele von ihnen waren übergewichtig. „Wir hatten wenige um die 40, die meisten waren über 70 Jahre.“ Bei allen wurde zunächst eine Statuserhebung durchgeführt. „Wir maßen ihren HbA1c-Wert, das entsprechende Gerät wurde vom Hersteller Alere aus Norwegen für die Dauer der Studie gesponsert“, erläutert die Apothekerin aus dem Allgäu.

Dann wurde mit den Teilnehmern ein detaillierter Fragenkatalog durchgenommen. „Da ging es um das eigene Lebensgefühl, die Lebenssituation und die bisherige berufliche Laufbahn.“ Auch eine Medikationsanalyse wurde durchgeführt und der BMI-Wert bestimmt. Die erhobenen Daten wurden anonymisiert an die Universität weitergeleitet. Alle Teilnehmer erhielten einen „Meine Werte“-Pass. „Dort wurden alle Daten, die wir zu Beginn erhoben hatten, eingetragen“, sagt Spranger.

Dann ging es an die eigentliche Arbeit: „In einem Basisgespräch haben wir mit jedem einzelnen Patienten individuelle Zielwerte vereinbart, zum Beispiel, wie viel sie zu einem bestimmten Zeitpunkt wiegen wollten.“ Spranger und ihre Apothekerkolleginnen rieten zu realistischen Marken, die sich auch in kleinen Schritten bewältigen ließen. „Experten sagen, dass es drei bis sechs Monate dauern kann, bis lieb gewonnene Gewohnheiten umgekrempelt sind.“

Dazu gaben die Apothekerinnen und die PTA den Probanden viele nützliche Tipps an die Hand. „Ein halbstündiger Spaziergang kann die Blutzuckerwerte teilweise drastisch senken“, weiß Spranger. „Die Probe aufs Exempel haben wir mit einer kleinen Gruppe gemacht, die Leute waren über die gesunkenen Werte sehr verblüfft.“ Ein positiver Nebeneffekt: „Die Teilnehmer lernten sich untereinander besser kennen. Unsere Hoffnung war, dass sie sich dann später selbstständig zum gemeinsamen Spaziergang treffen.“ Viele bekamen auch große Unterstützung aus dem Familien- und Freundeskreis.

Alle Teilnehmer bekamen Schrittzähler an die Hand. „Sie hatten ihn jeden Tag dabei und trugen das Geschaffte auf einem ‚Schritt-für-Schritt-Zettel‘ ein, den sie bei uns in der Apotheke abgaben. Das gefiel den Leuten sehr!“ Jeden Monat stand ein fester Telefontermin auf dem Programm. Die Universität steuerte standardisierte Vorträge mit neuesten Erkenntnissen aus Sport- und Ernährungswissenschaften bei. „Wir sollten sie genau so vor den Patienten halten wie vorgegeben, damit es in ganz Bayern einheitliche Bedingungen gab.“

Mittlerweile ist die Studie in der Halbzeit angekommen. Zeit für eine erste Analyse: „Etwa die Hälfte der Teilnehmer hat ihr persönliches Ziel erreicht. Eine Patientin hat gleich zehn Kilo abgenommen. Ein anderer hat seinen Wunschwert zwar nicht ganz hinbekommen, dafür hat er mit dem Rauchen aufgehört und auch sein tägliches Feierabendbier abgeschafft.“

Eine besondere Herausforderung sei es, die Patienten angemessen zu begleiten, sagt Spranger. „Der zeitliche Aufwand die Gespräche und ihre Dokumentation sowie für die Vorbereitung und Durchführung der Vorträge ist nicht zu unterschätzen.“ Dafür gibt es eine Entschädigung. Doch die ganze Mühe lohne sich: „Wenn man den Patienten alles ganz genau erklärt, gehen sie viel mündiger mit ihrer Erkrankung um. So werden sie befähigt, aktiv etwas für ihre Gesundheit zu tun.“

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