Drogenhandel

Haftstrafe: Apotheker hätte Arzt stoppen müssen

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Berlin -

Weil der Arzt in seinem Haus einen florierenden Drogenhandel betrieb, muss ein Apotheker aus Husum für drei Jahre ins Gefängnis. Das hat das zuständige Amtsgericht entschieden. Dem ansonsten mutmaßlich unbescholtenen Pharmazeuten wurde zum Verhängnis, dass er die Verordnungen des Mediziners beliefert hat, obwohl sie ihm merkwürdig hätten vorkommen müssen. Dass er sich dabei selbst nicht bereichert hat, spielt keine Rolle: Die Richterin geht von einer „Behandlungsgemeinschaft“ aus, in der sich der Apotheker dem Arzt nicht unterzuordnen hat.

Der heute 42-jährige Pharmazeut hatte Anfang der 2000er Jahre die Apotheke seines Vaters übernommen. Im selben Gebäude praktizierte ein Arzt, der von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) die Substitutionsbehandlung für bis zu 100 Patienten genehmigt bekommen hatte. Parallel zum eigentlichen Versorgungsgeschehen entwickelte sich in der Praxis ein florierender Schwarzmarkthandel, in den der Apotheker offensichtlich hineingezogen wurde.

Bei den Durchsuchungen stießen die Ermittler auf 1500 belieferte und abgeheftete BtM-Rezepte; 142 Fälle aus den Jahren 2009 bis 2011 kamen am Ende zur Anklage. Verordnet wurden die gängigen Methadon-Präparate querbeet auf Kassen- und Privatrezept. In der Regel wurden die Höchstmengen ohne entsprechende Kennzeichnung überschritten; auch die vorgeschriebenen Einnahmehinweise für den Sichtbezug gab es nicht.

Ohnehin wurden die Rezepte nicht von den vermeintlichen Patienten eingelöst – die im Prozess übrigens als Zeugen aussagten, dass sie im entsprechenden Zeitraum bei dem Arzt gar nicht mehr in Behandlung waren. Stattdessen wurden die Medikamente in die Praxis geliefert, genauso wie große Mengen Ritalin, das – schon vor der Zulassung für Erwachsene – immer wieder auf Privatrezept verordnet wurde, angeblich zur Steigerung der Lebensqualität. Laut Staatsanwaltschaft war die Apotheke mit weitem Abstand Spitzenreiter in Deutschland.

Gleichzeitig musste sich der Apotheker verantworten, weil über seine Apotheke 350 Kilogramm Lidocain bezogen wurden, die in Flensburg von Albanern zum Strecken von Kokain genutzt wurden. Der Kontakt kam über eine angestellte PTA zustande, deren Mann ein vorbestrafter Drogenhändler war. Die Mitarbeiterin will ihren Chef um Erlaubnis gebeten haben – mit Verweis auf einen angeblichen Schwager, der in Bosnien als Arzt praktizierte. Tatsächlich gelangte das Gemisch am Ende zu einem mutmaßlichen Mitglied der Hells Angels in Dänemark.

Hier wurde dem Apotheker zum Verhängnis, dass er während einer längeren Abwesenheit seiner Mitarbeiterin selbst 20 Kilogramm Lidocain bestellte und – zum Einkaufspreis – weiterverkaufte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ermittler ihre Arbeit bereits aufgenommen und nicht nur das Telefon abgehört, sondern auch die später beschlagnahmten Gebinde markiert.

Seit Januar wurde verhandelt. Zahlreiche Zeugen wurden vernommen, Sachverständige und andere Apotheker im Ort angehört, mehrfach stellte die Verteidigung Befangenheitsanträge gegen die Richterin. Die verurteilte den Apotheker am Donnerstag wegen unerlaubten Handelstreibens durch Abgabe von Betäubungsmitteln, Beihilfe zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente ohne Rezept zu drei Jahren Haftstrafe. Die Staatsanwaltschaft hatte neun Monate mehr sowie ein dreijähriges Berufsverbot gefordert.

Auch wenn dem Apotheker im Zusammenhang mit den BtM-Rezepten die konkrete Abgabe im Einzelfall nicht nachgewiesen werden konnte, hätte er der Richterin zufolge die Pflicht gehabt, einzuschreiten und die Belieferung zu verweigern beziehungsweise die zuständigen Aufsichtsbehörden zu informieren.

Verordnung und Abgabe seien bewusst getrennt; in der „Behandlungsgemeinschaft“ gebe es kein Über-/Unterordnungsverhältnis. Apotheker seien daher keine Erfüllungsgehilfen des Arztes, der sich stets auf seine Therapiehoheit berufen könne. Für jede Abgabe gebe es eine formale und inhaltliche Prüfpflicht – ansonsten seien Apotheken nicht mehr als „Rezeptbelieferungsmaschinen“. Im Zusammenhang mit den Lidocain-Geschäften wiederum hätte der Apotheker aufgrund seiner Ausbildung zumindest die „grobe Unrechtsrichtung“ erkennen müssen.

Der Angeklagte schwieg im Prozess. Dabei hätte der Familienvater mit einer geständigen Einlassung das Urteil noch abmildern können. Während der polizeilichen Vernehmung hatte er ausgesagt, mehrfach den Kontakt zum Arzt gesucht zu haben, von diesem jedoch äußerst herrisch abgewiesen worden zu sein.

Dass die Rollen wirklich so verteilt waren, akzeptierte die Richterin nach entsprechenden Zeugenaussagen. Der Apotheker sei weder die treibende Kraft gewesen, noch habe er mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt: Der Arzt, der einen luxuriösen Lebensstil führte und gegen den ein separates Verfahren anhängig ist, soll die Medikamente nach vorläufigem Kenntnisstand nie bezahlt haben. Ein sechsstelliger Betrag wäre dann noch offen.

Das Blatt könnte sich allerdings auch noch wenden: Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft, ob die illegalen Geschäfte des Arztes per Abrechnungsbetrug zu Lasten der Krankenkassen finanziert wurden – der Apotheker also doch aktiv eingebunden gewesen und in betrügerischer Absicht gehandelt haben könnte. Mutmaßliche Scheinrezepte wurden in der Wohnung des Apothekers bereits gefunden; der Fall wird jetzt aufgearbeitet. Im Zusammenhang mit dem Lidocain-Handel prüft die Staatsanwaltschaft noch, ob auch die Lieferanten in strafrechtlich relevanter Weise unverantwortlich gehandelt haben.

Der Anwalt des Apothekers hat gegen das Urteil bereits Rechtsmittel eingelegt – der Fall geht also in die nächste Runde. Möglicherweise folgen auch noch berufs- oder aufsichtsrechtliche Verfahren, sodass dem Apotheker auch der Verlust von Betriebserlaubnis und Approbation drohen. Einstweilen gibt es die Apotheke noch; zur Not könnte wohl die Ehefrau einspringen. Die Arztpraxis ist bereits geschlossen.

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