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Apotheker warnen: Es ist fünf vor eins! Alexander Müller, 26.03.2016 07:55 Uhr

Berlin - 

Das Apothekenhonorar wird gemütlich in einer Langzeitstudie untersucht, die Fahrer der Großhändler krebsen am Existenzminimum und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will seine Schwarzgeldspührhunde in die Offizin schicken – und am liebsten auch noch in die darüber liegenden Privatgemächer des Apothekers. Zeit für eine Kampagne. Weil die Apotheker wissen, was die Stunde geschlagen hat, trägt diese den einprägsamen Titel: „Es ist fünf vor eins!“

Die Umstellung auf die Sommerzeit ist jedes Jahr in etwa so nervig wie die nützlichen Servicetipps zum Umgang damit. Zuletzt war zu erfahren, man möge ab Gründonnerstag jeden Tag zehn Minuten früher schlafen gehen, um sich schonend umzustellen. Hilfreich für diejenigen unter uns mit einer festen Zubettgehzeit. Für den Rest ist es in diesem Jahr nicht ganz so schlimm, weil das lange Osterwochenende größere Freiheitsgrade bei der Schlafplanung gewährt.

Und weil am Dienstagmorgen trotzdem der ein oder andere Kunde wahlweise nach Koffein- oder Schlaftabletten fragen wird, ist die Fünf-vor-eins-Kampagne so genial. Da selbst die Atomkriegsuhr aktuell auf „3 Minuten vor 12“ steht und im Berliner Lobbyistensprech auch die Formulierung „5 nach 12“ reichlich abgegriffen ist, stellen die Apotheker die Uhr um. Nur so lässt sich der Ernst der Lage richtig veranschaulichen: 12:55.

12,81 Euro pro Stunde würde der Kleinspediteur Ronald Michutta benötigen, damit sich sein Geschäft weiterhin lohnt. Bekommt er aber nicht, sondern 10,80 Euro. Weil er seinen Fahrern Mindestlohn zahlt, ist er regelmäßig in der Verlustzone. Seit zehn Jahren fährt er als Sub-Sub-Unternehmer für die Noweda Arzneimittel aus, ein Gebietsspediteur sitzt noch dazwischen. Wenn er jetzt seine Fahrzeugflotte auf GDP-genormte Kühlwagen umrüsten muss, wird für Michutta Schluss sein. Der Fall zeigt eindrucksvoll, warum sich die Politik mit der Berechnung einer gerechten Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) nicht zu viel Zeit lassen darf.

Gebummelt hat – wenigstens aus Sicht der SPD-Landesfinanzminister – auch der oberste Kassenwart Wolfgang Schäuble (CDU). Der sträubt sich nämlich seit Jahr und Tag gegen die Einführung des Kassenkontrollsystems Insika. Weil es zu aufwändig ist, sagt sein Ministerium. Weil die SPD es will, sagen seine Kritiker.

Jetzt hat Schäubles Haus einen eigenen Vorschlag vorgelegt: Demnächst sollen Finanzbeamte auch in Apotheken unangemeldet Kassenprüfungen, Testkäufe und Observierungen vornehmen können. Dabei dürfen sie die Geschäftsräume betreten, in Ausnahmefällen auch die privaten Wohnräume gegen den Willen des Inhabers. Die SPD vermisst die Einführung einer Registrierkassen- und Belegausgabepflicht für alle Betriebe.

Mit gehöriger Zeitverschiebung einig geworden sind sich die Koalitionäre in dieser Woche beim Anti-Korruptionsgesetz. Union und SPD trauen den Apothekerkammern nun doch nicht zu, am Strafrecht mitzuschreiben. Berufsrechtliche Verstöße werden also nicht automatisch ein Fall für den Staatsanwalt. Auch wenn das Selbstwertgefühl einiger Standesvertreter darunter leiden könnte – es ist besser so, gerechter und am Ende weniger gefährlich.

Doch es soll noch eine weitere Änderung am Anti-Korruptionsgesetz geben: Die Abgabe von Arzneimitteln unter Fremdeinfluss soll nach dem Willen der Rechtspolitiker der Koalition gestrichen werden, Bezugsentscheidungen der Apotheker generell ausgeklammert. Damit wären viele Bedenken zu vermeintlich strafbaren OTC-Rabatten hinfällig, worüber sich alle freuen könnten. Allerdings wusste der Gesundheitsausschuss offenbar noch nichts von dieser Idee der Kollegen, weshalb sich die Vorfreude bis nach Ostern gedulden muss.

Fast schon traditionell zur Osterzeit gibt es einen Arzneimittelrückruf: L-Thyroxin im vergangenen Jahr, MCP im Jahr davor. Und auch 2016 könnte noch eine Oster-Rückholaktion anstehen. Im italienischen Camerino ist wieder Ware geklaut worden. Wenn es schlecht läuft, rollt die nächste Fälschungswelle. Die Importkritiker werden solche Meldungen nicht nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.

Engpässe gibt es aber auch ohne Fälschungsskandale, und zwar leider sehr regelmäßig. Doppelt ärgerlich, wenn die Apotheke dann nicht nur den Kunden vertrösten oder umstellen muss, sondern auch noch unverschuldet retaxiert wird. Als Osterwunder zu verbuchen ist dabei eine positive Meldung der DAK. Die Kasse glaubt jetzt dem Wort des Großhändlers, dass ein Arzneimittel nicht verfügbar ist. Auch beim Deutschen Apothekerverband (DAV) ist man erstaunt über die DAK.

Die Barmer GEK hat es dagegen geschafft, Apotheker wegen Hilfsmittel zu retaxieren, obwohl diese dem Vertrag beigetreten waren. Offenbar gab es einen Übertragungsfehler. Man könnte auch Formfehler sagen, aber das wäre polemisch. Und immerhin will sich die Kasse jetzt versöhnlich zeigen und auch Retaxationen zurücknehmen, wenn die Apotheke nicht beigetreten war, dies aber nachholt.

Beim Landesapothekerverband Rheinland-Pfalz hat man trotzdem keine Lust mehr auf das Retax-Märtyrerdasein. Verbandschef Theo Hasse bedient sich in der Karwoche drastisch-anschaulicher Vergleiche: „So wie die Kassen uns kreuzigen, müssen wir zurück kreuzigen, dass sie an den Einsprüchen ersticken“, sagte Hasse. Gekreuzigt ersticken? Ein „Kampffonds“ zur Unterstützung rechtlicher Schritte? Der Frust sitzt tief bei den Apothekern. Und Hasse wurde als Verbandschef wiedergewählt.

Hasse ist nebenher auch Chef des Arbeitgeberverbandes Deutscher Apotheker (ADA). Der verhandelt mit der Adexa regelmäßig über neue Tarifverträge. Die Apothekengewerkschaft sammelt derzeit Material. Die Mitarbeiter sollen in einer Online-Umfrage über Gehalt, Arbeitsbedingungen und Überstunden berichten. Vielleicht werden die Chefs ja auch befragt. Stichwort 12:55.

Wer VISION.A verpasst hat, ist selbst Schuld. Er oder sie kann sich hier ansehen, warum er oder sie die Digitalkonferenz beim nächsten Mal nicht verpassen sollte, wer Awards gewonnen hat, warum Wearables auch für Apotheken wichtig sind und was Kollegin Tatjana Zambo darüber denkt. Und wie es zu dem Paradoxon kam, dass die Klosterfrau die Männergrippe hat.

Und wer das EuGH-Verfahren zu Rx-Boni verpasst hat, findet hier noch einmal alle Argumente im Überblick. Die Bundesregierung findet, dass Versandapotheken nachts versagen, DocMorris meint, ein kleiner Bonus täte nicht weh. Die EU-Kommission denkt, Versender seien auf Boni angewiesen und die Wettbewerbszentrale und die ABDA sind überzeugt, dass die Preisbindung Apotheken erhält.

Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) wollte in der Verhandlung zu Rx-Boni wissen, ob auf dem Land wirklich nachts um 2 eine Apotheke offen hat. Ja, in der Tat. Aber Achtung: Morgen ist es dann schon 3 Uhr nachts. Frohe Ostern. Es ist 7:55 Uhr.