Interview

„Unsere Plattform wird Amazon haushoch überlegen sein“

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Berlin -

Aus den Big Five werden die Big Six: Phoenix und die Initiative Pro Avo (Pro Apotheke vor Ort) wollen gemeinsam eine allumfassende Plattform für den Gesundheitsmarkt entwicklen. Im Interview erklären Marcus Freitag, Deutschlandchef von Phoenix, und Andreas Arntzen, CEO von Wort & Bild, wie sie doch noch zueinander gefunden haben, warum sie noch einmal komplett von vorne beginnen und wie das Projekt den Apotheken einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Versandhandel sowie Amazon & Co. verschaffen soll.

ADHOC: Zwei Jahre lang hat Pro AvO um die Teilnahme anderer Marktpartner geworben. Wieso macht Phoenix jetzt plötzlich mit?
FREITAG: Phoenix hat mit Deine Apotheke eine erfolgreiche App-Lösung auf den Markt gebracht und über die Kooperation mit Payback auch bekannt gemacht. Aber uns war auch immer vollkommen klar, dass wir das Thema am Ende würden größer denken und nicht nur Apotheken, sondern auch andere Dienstleister ein- und die elektronische Patientenakte anbinden müssen. Nur so können wir eine optimale Lösung gegen die Amazons und Alibabas dieser Welt anbieten. Pro AvO haben wir von Anfang an als ernst zu nehmenden Mitbewerber gesehen – in den gemeinsamen Gesprächen ist allen Beteiligten aber klar geworden, dass die größte Gefahr nicht aus der Branche kommt, sondern von außerhalb.
ARNTZEN: Den Partnern von Pro AvO – Noventi, BD Rowa, Gehe, Sanacorp und Wort & Bild – war von Anfang an klar, dass es sich nicht um eine Endkonstellation handelt. Wer eine konzertierte Gesamtlösung anbieten will, muss offen für weitere Projektpartner sein. Deshalb haben wir die Wettbewerber auch nie abgeschrieben, sondern immer den Kontakt und den Austausch gesucht. In den Gesprächen mit Phoenix herrschte schnell ein Grundverständnis darüber, dass man einen einheitlichen Auftritt braucht, um den Ansprüchen der Apotheken gerecht zu werden, nämlich es dem Verbraucher so einfach wie möglich zu machen. Da ist kein Platz für persönliche Eitelkeiten – immerhin geht es darum, sich auf eine Technologie und eine Marke zu einigen. Da nützt es nichts, immer wieder auf das Vergangene zu schauen.

ADHOC: Wenn es keine Eitelkeiten gab: Warum ist Phoenix nicht einfach bei Pro Avo eingestiegen?
FREITAG: Das Konzept Deine Apotheke ist derzeit zu erfolgreich, um es aufzugeben und in Apora umzuwandeln. Das halten wir in dieser Situation nicht für zielführend. Im Prinzip haben beide Seiten erkannt, dass sowohl Apora als auch Deine Apotheke zu kurz gesprungen wären: Beide Konzepte fokussierten sich alleine auf die Anbindung der Apotheke und wären damit dem größeren Ansatz nicht gerecht geworden. Mit einem komplett neuen Anlauf begegnen wir uns auf Augenhöhe.

ADHOC: Also wird es in Zukunft Apora, Deine Apotheke oder Callmyapo nicht mehr geben?
FREITAG: Kernelement der neuen Plattform ist es, dass der Patient mit einem einzigen Login alle Belange rund um das Thema Gesundheit online managen kann. Das können Arzttermine sein, Telemedizin, die Verwaltung seiner elektronischen Patientenakte oder eben auch die Rezeptvorbestellung ...
ARNTZEN: Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es wird nur eine Plattform geben, und auf der kann sich der Kunde seinen Leistungserbringer nach seinen individuellen Kriterien auswählen. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob der bisherige Fahrplan falsch war und ob man die Präsentation von Apora hätte zurückhalten können. Aber die finalen Gespräche – auch die Entscheidung für einen komplett neuen Auftritt – fanden nun einmal erst kurzfristig statt. Die Frage, ob die bisherige Arbeit umsonst war oder, lässt sich dagegen ganz klar mit Nein beantworten. Wir haben eine sehr gute Technologie und wir haben tolle Mitarbeiter, sodass wir jetzt viel schneller gemeinsam loslegen können.
FREITAG: Technisch ist das, was Curacado beziehungsweise Noventi entwickelt haben, State of the Art. Da ist es nur logisch, dass alle auf eine gemeinsame Marke einzahlen. Abgesehen davon würde es für den Endverbraucher keinen Sinn machen, mit unterschiedlichen Produkten umgehen zu müssen.

ADHOC: Wie heißt denn das gemeinsame Baby?
FREITAG: Das ist tatsächlich noch nicht entschieden, aber Herr Arntzen hat diesbezüglich einen reichhaltigen Schatz.

ADHOC: Und wie sind die Kräfteverhältnisse im neuen Gemeinschaftsunternehmen verteilt?
ARNTZEN: Solche Details haben wir natürlich intern besprochen, aber es ist noch zu früh, um dazu etwas zu sagen. Das hängt auch davon ab, wer schlussendlich was einbringt.

ADHOC: Wird Payback in das neue Projekt einbezogen?
FREITAG: Payback wird kein Teil des Joint Ventures, sondern der Vertrag läuft weiterhin exklusiv mit Phoenix. Aber natürlich werden wir im Rahmen dieser Partnerschaft auf die neue Marke einzahlen.

ADHOC: In diesem Jahr soll die Plattform mit Apotheken starten, wann werden die Ärzte an Bord sein?
FREITAG: Es ist kein Geheimnis, dass wir mit Medatixx ein Unternehmen in der Gruppe haben, das im Bereich der Praxis-EDV einen Marktanteil von 25 Prozent hat und über das wir die Ärzte gezielt ansprechen und einbinden können. Wir sehen, dass es seit Corona eine neue Offenheit gegenüber digitalen Sprechstundenvereinbarungen und Telemedizin gibt. Das wollen wir nutzen – am Ende muss man aber mit jedem einzelnen Arzt sprechen und ihm unsere Lösung aufzeigen. Da wird man sicher klein anfangen, aber ich persönlich bin überzeugt, dass wir das innerhalb von zwölf Monaten hinbekommen. Auch weil wir vorhaben, über Partner wie den Wort & Bild Verlag einen Druck seitens des Patienten aufzubauen.
ARNTZEN: Das Potenzial ist gewaltig. Unsere Plattform besteht am Ende aus vielen Puzzleteilen, die wir intelligent verknüpfen. Das kann die Technologie der Gematik sein, das können einzelne Tools der Verbände sein. Ich glaube sogar, dass in den kommenden drei Jahren Marken und Unternehmen andocken werden, die wir heute noch gar nicht auf dem Schirm haben. Niemand will für unterschiedliche Angebote jeweils unterschiedliche Apps nutzen. Unser Ziel is es, der Nucleus für weitere Services sein, die Reise hört nicht auf beim E-Rezept.

ADHOC: Versender wie DocMorris und Shop-Apotheke planen Ähnliches und konnten ihre Aktienkurse zuletzt verdreifachen. Wie bewerten Sie das?
ARNTZEN: Ich habe Respekt vor dem Versandhandel und einigen tollen Sachen, die dort entwickelt werden. Aber der Respekt beschränkt sich auf 10 Prozent – ich gehe fest davon aus, dass die bestehenden Versandapotheken in den nächsten 24 Monaten von einem Konzern wie Amazon übernommen werden. Vor solchen Internetriesen habe ich 30 bis 40 Prozent Respekt, 50 bis 60 Prozent aber vor solchen Playern, die wir heute noch gar nicht kennen. Aus anderen Branchen lässt sich ja ableiten, dass in solchen Umbruchphasen ganz neue Wettbewerber entstehen. Deshalb betreiben wir unser Projekt mit solchem Engagement und Einsatz.
FREITAG: Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Frage, wer am Ende das Rennen macht, über Geschwindigkeit und Convenience entschieden wird. Versandapotheken haben das Problem, dass sie nicht schnell sein können – und im Übrigen verdient da heute schon keiner Geld. Amazon ist zwar deutlich gefährlicher, weil hier die Geschwindigkeit perfektioniert wurde. Aber Amazon kann Offline nicht – und erst die Kombination aus Online und Offline ist der Schlüssel, beispielsweise mit Blick auf zusätzliche Dienstleistungen. Wenn wir das hinbekommen, sind wir unschlagbar – und die Anderen in größten Schwierigkeiten.
ARNTZEN: Damit die Tonalität stimmt: Es geht uns nicht um eine Abwehrschlacht! Wir sehen die Apotheken nicht in der Defensive, sondern wir sind überzeugt davon, dass sie den technologischen Fortschritt nutzen können, um ihr Angebot zu erweitern. Da wird noch Einiges möglich sein, das Amazon nie bieten kann. Unsere Plattform wird Amazon haushoch überlegen sein. Und wenn wir dies konzertiert unter einer Marke tun, haben wir eine unglaubliche Stärke. Deswegen sehen wir uns auch nicht im Wettstreit gegen die Noweda. Wir sind weiterhin offen für alle, die mitmachen wollen.

 

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