Marktforschung

Plus oder Minus: Zahlenstreit um Rx-Versand Lothar Klein, 23.11.2018 11:36 Uhr

Berlin - 

In der Diskussion über die politische Antwort auf das EuGH-Urteil spielt die Entwicklung des Rx-Versandhandels eine wichtige Rolle. Wie reagieren die Patienten auf die angebotenen Rx-Boni? Für die ersten neun Monate meldet Iqvia einen Umsatzrückgang im Rx-Versand. Stimmt nicht, meldet sich jetzt die Konkurrenz von Insight Health zu Wort: In den ersten zehn Monaten legte der Rx-Versand nach diesen Angaben sogar deutlich zu.

Nach den Zahlen von Iqvia legte der Umsatz des Versandhandels mit Arzneimitteln insgesamt um 6 Prozent auf 899 Millionen Euro zu (Herstellerabgabepreis, ApU). Rund drei Viertel des Umsatzes entfielen dabei auf das Segment der OTC-Arzneimittel, das sogar um 8 Prozent wuchs. Das Rx-Geschäft war dagegen um 0,9 Prozent auf 225 Millionen Euro rückläufig. Laut Iqvia legte der Absatz nach Packungen im verschreibungspflichtigen Bereich auch nur leicht um 0,4 Prozent zu.

Mit ganz anderen Zahlen wartet Insight Health auf. Danach stieg der Rx-Absatz des Versandhandels in den ersten zehn Monaten um satte 4,8 Prozent auf 8,5 Millionen Packungen. Der Rx-Umsatz, ebenfalls auf Basis des ApU, legte im gleichen Zeitraum um 4 Prozent auf 306 Millionen Euro zu. Für den Gesamtmarkt des Versandhandels meldet Insight Health ein Plus von gut 11 Prozent auf 1,64 Milliarden Euro. Mit 16 Prozent besonders stark wuchs danach der Umsatz mit „Nichtarzneimitteln“.

Die Zahlen von Insight Health zeichnen also einen gegenteiligen Trend von der Entwicklung des Versandhandels. Das ist politisch relevant, weil in den aktuellen Gesprächen zwischen ABDA und Bundesgesundheitsministerium über einen Plan B zum Rx-Versandverbot auch die Erwartungen hinsichtlich des mittelfristigen Wachstums des Rx-Versandhandels vor allem nach der Einführung des E-Rezeptes eine wichtige Rolle spielen.

Ein Anstieg des Rx-Versandhandelsanteils auf 5 Prozent nach Einführung des E-Rezepts innerhalb von fünf Jahren würde gut 40 Millionen Packungen entsprechen. Das würde den Vor-Ort-Apotheken circa 260 Millionen Euro Honorar entziehen. Unterstellt man einen Anstieg auf 7 Prozent, würden 370 Millionen Euro verlagert – bei stagnierender Packungszahl. Wie sich die unterschiedlichen Zahlenangaben von Iqvia und Insight Health erklären, ist nicht zu erkennen. Möglicherweise liegt dies an den Projektionen für die Entwicklung des Rx-Geschäfts bei den beiden großen niederländischen Versandapotheken DocMorris und Shop-Apotheke. Dem Vernehmen nach liefert die Shop-Apotheke keine Daten an die Marktforscher.

Möglicherweise wird man in Kürze verlässlichere Daten über den Rx-Versandhandel erhalten, denn Zur Rose/DocMorris/Medpex sowie Shop-Apotheke wollen ein Gemeinschaftsunternehmen zur Vermarktung ihres Datenschatzes gründen. Beim Bundeskartellamt wurden in diesem Sommer Gespräche über die Gründung eines IT-Gemeinschaftsunternehmens der drei Versender angemeldet. Am 8. Oktober gaben die Wettbewerbshüter grünes Licht. In Branchenkreisen ist man sich ziemlich sicher, dass die drei Marktführer – DocMorris und Medpex gehören demnächst beide zu Zur Rose – ihr Wissen über den wachsenden Onlinehandel mit Arzneimitteln versilbern wollen. Schon bald soll es losgehen.

Branchenkenner sehen in dem möglichen neuen Angebot eine interessante Ergänzung. DocMorris, Medpex und Shop-Apotheke stehen für rund 50 Prozent im deutschen OTC-Versandhandel. Wer wisse, wann, wo und wie oft seine Kunden nach Arzneimitteln am PC klicken, könne seine Marketingaktivitäten optimieren. Und nicht nur der Online-Markt wächst. Auch die Pharma-Werbebudgets steigen und verschieben sich – von Print zu TV und jetzt ins Internet.

Mehr noch: Manche OTC-Hersteller erzielen 50 Prozent ihres Umsatzes im Onlinehandel. Insbesondere für solche Anbieter könnte ein gemeinsames „Daten-Nischenprodukt“ von großen Interesse sein. „Das kommt gut an in der Industrie“, heißt es dort. Derzeit liefern DocMorris und auch andere Versender ihre Daten zumindest teilweise an Iqvia und Insight Health. Dafür zahlen die beiden Marktforscher einen kleinen Millionenbetrag.

Mit eigenen Analysen könnten die Versender einen Nerv bei den Herstellern treffen: Schon heute lassen sich aus Zugriffsstatistik, Kundenkonto und Warenkorb mehr Informationen gewinnen, als die Warenwirtschaft der Apotheke vor Ort liefern kann. Die Versender wissen, wie die Kunden zu ihnen gefunden haben und wann sie sich welche Produkte angesehen beziehungsweise gekauft haben. Schon heute suchen viele Nutzer im Internet nicht mehr bei Google nach Produkten, sondern bei Amazon – oder im Fall von Arzneimitteln eben bei den großen Versandapotheken.

Die Webshops sind damit als Werbeflächen interessant, weil sie – in Echtzeit – passende Anzeigen und Hinweise ausspielen und so die Streuverluste minimieren können. Schon heute weisen einige Versender aus, was andere Kunden mit vergleichbarem Profil bei ihnen gekauft haben. Oder bei der Suche nach spezifischen Produkten werden Konkurrenten angezeigt, die die entsprechende Werbefläche gebucht haben. Kampagnen lassen sich so außerdem auch in die sozialen Medien verlängern. Am Ende ließen sich sogar neue Erlösmodelle auf dieser Basis konzipieren.