Phytopharmaka

Schwabe: Abschied vom Ginkgo-Monopol

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Berlin -

Arzneimittel mit Ginkgo: In diesem Bereich führte über Jahre hinweg an Dr. Willmar Schwabe kein Weg vorbei. Selbst Konkurrenten wie Hexal und Ratiopharm mussten sich die Rechte, eigene Produkte herstellen zu können, beim Phytokonzern aus Karlsruhe einkaufen. Doch in den vergangenen Jahren sind erstmals eigenständige Präparate auf den Markt gekommen. 50 Jahre nach der Einführung von Tebonin war das Ginkgo-Monopol Geschichte. (Der aktualisierte Beitrag erschien zuerst am 21. Juni 2016.)

Schwabe hatte Tebonin 1965 auf den Markt gebracht; schon in den 1950er Jahren hatte das Familienunternehmen begonnen, die damals in der Heilkunde völlig unbekannte Pflanze aus China wissenschaftlich zu untersuchen. Während Ärzte die durchblutungsfördernde Wirkung erforschten, suchten die Technologen nach einem Verfahren, um einen möglichst verträglichen Auszug zu gewinnen.

20 Schritte sind notwendig, um die wirksamen Inhaltsstoffe wie Bilobalid bis zu 20-fach anzureichern und unerwünschte Inhaltsstoffe wie Ginkgolsäure um das 20.000-Fache zu reduzieren. Schwabe taufte den Spezialextrakt EGb 761 und ließ das Verfahren durch zahlreiche Patente schützen.

In den folgenden Jahrzehnten brachten auch andere Hersteller Ginkgo-Präparate auf den Markt, oft mit selbstgestrickten Herstellungsverfahren, die zu ganz unterschiedlichen Resultaten führten. Damit war im Juli 1994 Schluss: Die Kommission E veröffentlichte eine Monographie zu „Trockenextrakt aus Ginkgobiloba-Blättern extrahiert mit Aceton-Wasser“, die unter anderem einen Grenzwert für die stark allergisierenden Ginkgolsäuren von 5 ppm definierte.

Die Experten bezogen sich maßgeblich auf den geschützten Extrakt von Schwabe und verwiesen auf die umfangreichen Untersuchungen des Herstellers, die eine Aussage entsprechend nur zu den entsprechenden Produkten zuließen. Kritiker spötteln, die Monographie sei eigentlich in Karlsruhe geschrieben worden. Neueinführungen waren damit auf einen Schlag deutlich schwieriger geworden.

Noch war mit der Monographie aber kein Urteil über den Bestandsmarkt gefallen. Das änderte sich, als das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Mai 1997 ein Stufenplanverfahren zu Ginkgo einleitete. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sei eine Toxizität von Ginkgolsäure zu vermuten, weshalb die Einhaltung des Grenzwerts von 5 ppm erforderlich sei. Die Behörde kündigte an, alle Zulassungen mit einem höheren Gehalt an Ginkgolsäure zu widerrufen.

Die Hersteller saßen in der Falle. Nur mit dem acetonischen Auszug von Schwabe ließ sich der Grenzwert einhalten, das Verfahren war aber geschützt. Die damals erhältlichen Konkurrenzprodukte waren ethanolische oder methanolische Extrakte; hier war bestenfalls eine Abreicherung auf 7 ppm zu erreichen.

Schon Ende der 1990er Jahre warfen die ersten Hersteller das Handtuch und traten gar nicht erst zur Nachzulassung an. Zwar wurde das Stufenplanverfahren im Oktober 2001 eingestellt; doch auch in den folgenden Jahren pochte das BfArM auf Einhaltung des Grenzwerts. Mehrere Fälle landeten vor Gericht, gingen jedoch zugunsten der Behörde oder – bei wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen – zum Vorteil des Originalherstellers aus.

So blieben am Ende nur wenige Produkte übrig. Hexal hatte zwar eigene Zulassungen für Gingium, konnte aber keinen Extrakt produzieren, ohne gegen die Patente von Schwabe zu verstoßen. Auch Ratiopharm lizensierte für Ginkobil einen Extrakt der Schwabe-Tochter Bioplanta.

Neben EGb 761 konnte sich nur ein einziger Extrakt am Markt behaupten: LI 1370. Die Zulassung war ein altes Schätzchen, das der Berliner Hersteller Lichtwer angeblich aus alten DDR-Beständen übernommen hatte. Ursprünglich bezogen sich die Unterlagen auf einen niedrig dosierten wässrigen Auszug in Gebinden à 500 Milliliter. Im Rahmen der Nachzulassung wurden das Wasser „rausgemeldet“, der Extrakt konzentriert und zur Tablette verarbeitet.

Bei Schwabe ärgerte man sich noch lange über den Lichtwer-Extrakt und die damit verbundene Ausnahmegenehmigung. Denn in Karlsruhe hatte man sich sicher gefühlt: Schon 1978 hatte sich der Tebonin-Hersteller mit dem französischen Konkurrenten Ipsen zusammengetan, um sich die Ginkgo-Welt aufzuteilen: Schwabe sollte EGb 761 in Deutschland vertreiben, Ipsen durfte den Extrakt fortan exklusiv in Frankreich für sein Produkt Tanakan nutzen. Produziert wird seitdem nicht nur in Karlsruhe-Durlach, sondern auch in Irland beim Gemeinschaftsunternehmen Cara Partners.

Lichtwer und sein italienischer Extraktlieferant Indena scherten sich nicht um diese Absprachen. Nicht genug damit, dass Kaveri dem Schwabe-Trio Tebonin, Rökan und Craton Konkurrenz machte. Als die Karlsruher erfolgreich gegen Krewel Meuselbach prozessierten, weil Ginkgo-Maren den geforderten Grenzwert um das 50-Fache überschritt, kam kurzfristig Hilfe aus Berlin. Mehr als ein halbes Dutzend Dubletten hatte Lichtwer damals in der Tasche.

Allerdings zahlte sich die Strategie von Schwabe, gemeinsam mit den Lizenznehmern den Markt dicht zu machen aus: Wegen der dominanten Stellung von Tebonin, Gingium und Ginkobil wurde Kaveri nie offensiv beworben.

Irgendwann nach 2010 liefen die entscheidenden Patente für EGb 761 ab. Doch das BfArM lehnte es ab Zulassungen zu erteilen, die sich auf die Monographie aus dem Jahr 1994 bezogen. Die jüngste Neueinführung vor 2016, Binko von Neuraxpharm, basierte 2013 auf einer alten Zulassung von Hexal und dem Extrakt von Lichtwer, der bei der Aristo-Tochter Advance verarbeitet wird. Beim Ausverkauf des Berliner Herstellers hatte Klosterfrau die Marken und Patentrechte übernommen, die Produktion war samt Auftragsbuch an Lindopharm, heute Aristo, gegangen.

Inzwischen war aber auf europäischer Ebene Bewegung in die Sache gekommen. Ab Mai 2012 arbeitete das Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) an einer neuen Monographie. Auch Schwabe unterstützte die Erstellung, um eine Basis für Zulassungen in allen Ländern zu bekommen, in denen HMPC-Monografien als Bewertungsgrundlage herangezogen werden.

In das Deutsche Arzneibuch (DAB) war der eingestellte Trockenextrakt bereits 2005 aufgenommen worden, ins europäische Pendant (Ph. Eur.) vier Jahre später. Hier wurden die entscheidenden Weichen gestellt: War 2006 noch ein standardisierter Extrakt vorgesehen, wurde am Ende nur ein quantifizierter Extrakt verabschiedet. Offenbar konnte sich die Europäische Arzneibuchkommission (EDQM) nicht darauf verständigen, dass einzelne Inhaltsstoffe wirksamkeitsbestimmend sind. Bislang wurden sieben Hersteller nach den Vorgaben zertifiziert: Schwabe und Cara, Indena, Tours, Finzelberg sowie drei chinesische Firmen.

Im Januar 2014 war es soweit: Das HMPC legte einen Entwurf für eine neue Monographie vor. In der Anhörung versuchte Schwabe noch, die Anforderungen stärker auf den eigenen Extrakt zuschneiden zu lassen und auch die Indikationen Claudicatio intermittens, Schwindel und Tinnitus unterzubekommen, um spätere Auflagen des BfArM bezüglich Tebonin auszuschließen. Doch die vorgelegten Studien hielten der wissenschaftlichen Bewertung nicht stand, die Vorschläge wurden abgelehnt.

Anfang 2015 wurde die neue Monographie verabschiedet. Produkte, die hinsichtlich Stärke, Dosierung, physikalischem Zustand und Applikation der Vorgabe entsprechen, können demnach auf Basis des „Well established use“ zugelassen werden. Dabei müssen die entsprechenden Pflanzenarten und -teile verwendet werden sowie das gleiche Extraktionsmittel in identischer Stärke und mit dem vorgegebenen Drogen-Extrakt-Verhältnis (DER).

Schon bei Umckaloabo hatte eine HMPC-Monographie der Konkurrenz den Markteintritt ermöglicht. Bei Ginkgo sollte es noch einmal ein Jahr dauern, bis tatsächlich die ersten Generika – respektive „Phytosimilars“ – auf den Markt kommen sollten. Midas hatte als erster Anbieter die europäischen Zulassungsverfahren durchlaufen und beispielsweise Stada/Aliud, Heumann und Queisser in diesem Frühjahr 2016 den Markteintritt ermöglicht.

Einen letzten Anlauf gab es noch, die Alleinstellung von EGb 761 zu sichern: Pünktlich zu Einführung der Konkurrenzprodukte legte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) eine aktualisierte Therapieleitlinie „Demenz“ vor. Erstmals überhaupt wurde Ginkgo in die kleine Auswahl der wirksamen Medikamente aufgenommen – allerdings gilt die Empfehlung nur für die Dosierung à 240 Milligramm und nur für den Extrakt von Schwabe. Weil andere Verfahren zu einem anderen Produkt führten, seien die Studiendaten nicht übertragbar, so das Argument.

Das BfArM ließ dies nicht als Einschränkung gelten: Bei den aktuellen Zulassungen hätten die Antragsteller mit sehr umfangreichen Unterlagen belegt, dass der Ginkgoextrakt vergleichbar zu EGb 761 sei, so ein Sprecher im Juni 2016. Da auch die Monographie auf den Untersuchungen mit dem Extrakt beruhe, bestehe somit kein Widerspruch zur aktuellen Leitlinie.

Schwabe hatte 2006 noch ein neues Verfahren zum Patent angemeldet. Dabei werden verschiedene Bestandteile durch Filtration über ein Adsorberharz oder einen Ionenaustauscher abgereichert, die laut Hersteller nicht zur erwünschten Wirksamkeit beitragen, sondern für Risiken und Nebenwirkungen verantwortlich sein können: 4'-O-Methylpyridoxin (Ginkgotoxin) kann demnach Vergiftungserscheinungen wie Krampfanfälle und Bewusstlosigkeit hervorrufen. Die in Ginkgo enthaltenen Biflavone wie Amentoflavon, Bilobetin, Ginkgetin, Isoginkgetin und Sciadopitysin besäßen immuntoxisches Potential und könnten Kontaktallergien auslösen.

Das BfArM bestätigte, dass ein weiterer Herstellungsschritt angemeldet wurde. Ansprüche wollte man daraus in Bonn aber nicht ableiten. „Ob dies, wie postuliert, zu einer verbesserten Sicherheit bei der Anwendung führt, ist dem BfArM nicht bekannt.“

Archivbeitrag vom 21. Juni 2016

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