EU-Versandapotheke

Phoenix und der Pleite-Bluff Alexander Müller, 24.11.2017 10:15 Uhr

Berlin - 

In dem Streit mit dem Großhändler Phoenix geht es für die EU-Versandapotheke um Forderungen von mehr als 5 Millionen Euro – und damit vermutlich um die gesamte weitere Existenz. Entsprechend hart wird vor Gericht gestritten: um vermeintlich falsche Zahlungen, entgangene Rabatte und neuerdings einen angeblich geprellten Insolvenzverwalter. Eine Entscheidung gab es in der vergangenen Woche noch nicht, aufschlussreich war es trotzdem.

Die äußeren Bedingungen wirkten bescheiden. Mit den Prozessvertretern, den drei Richtern und vier Zuschauern war der kleine Sitzungssaal 419 am Landgericht Cottbus schon gut gefüllt. Dafür wurde schnell mit großen Zahlen hantiert: Phoenix hatte die EU-Versandapotheke ursprünglich auf Zahlung von 5,46 Millionen Euro verklagt, wegen nicht bezahlter Rechnungen. Nur ein kleiner Teil der anfänglichen Forderung ist mittlerweile beglichen oder verrechnet.

Seitens der EU-Versandapotheke gibt es Gegenforderungen in Höhe von circa 4,6 Millionen Euro. Der Großteil davon geht auf den Januar 2014 zurück, als Dr. Bettina Habicht die Apotheke gerade von Kurt Rieder übernommen hatte. Mit Phoenix wurde damals ein Lastschriftverfahren vereinbart, das entsprechende Mandat bei der Flessabank in Suhl griff aber erst im Februar. Deshalb mussten die ersten beiden Überweisungen händisch vorgenommen werden. Heute behauptet Habicht, dass ihr damaliger Finanzchef dieses Geld ohne Grund und Auftrag überwiesen habe. Er hat wiederum Strafanzeige wegen Verleumdung gegen Habicht gestellt. Eine eidesstattliche Versicherung stützt seine Position. Davon weiß auch Phoenix.

Es wurde im Verfahren so viel vorgetragen, dass der Vorsitzende Richter trocken bemerkte: „Da haben Sie ja einige Bäume schädigen müssen.“ Sechs Kisten mit Unterlagen lagern in seinem Büro sowie zahllose Rechnungen „in einer grüne Wanne, in der sonst Medikamente drin sind“.

Angesichts dieser Papierschlacht konnte er sich kaum noch vorstellen, dass die Vertreter der EU-Versandapotheke ernsthaft die Kaufverträge bestreiten wolle. Immerhin seien nachweislich Ware geliefert und Rechnungen geschrieben worden. Sogar der Weiterverkauf der Ware sei unstreitig. Doch die Strategie der Versandapotheke ist gar nicht, die Existenz der Packungen zu bestreiten – es ging vielmehr um die mit Phoenix vereinbarten Lieferbedingungen.

Phoenix habe, so das Argument der Beklagten, nicht an die EU-Versandapotheke geliefert, sondern an jenen Raum, der in der Niederlassung des Großhändlers über eine dritte Firma angemietet war. Solange die Rechnung nicht bezahlt gewesen sei, habe kein Kaufvertrag stattgefunden. Das Recht auf Weiterverkauf steht demnach auf einem anderen Blatt der Lieferbedingungen.

An dieser Stelle wurde es zum ersten Mal lauter im Gerichtssaal. „Die Beklagte hat die Ware nicht gekauft und nicht erhalten – können wir das so ins Protokoll nehmen?“, wollte der Vorsitzende Richter wissen. Er würde sich nämlich eher der Auffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG) im Eilverfahren anschließen, wonach die Zahlung fällig sei. Nach Ansicht der EU-Versandapotheke war der Kaufvertrag dagegen nicht erfüllt, zumal Phoenix unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert habe. Die Frage soll jetzt im schriftlichen Verfahren und womöglich vor einem Schiedsgericht entschieden werden.

Doch der Vertreter der EU-Versandapotheke, Rechtsanwalt Dr. Lutz Ohneseit aus Leipzig, eröffnete noch eine zweite Flanke: Phoenix habe Forderungen gegen seine Mandantin Dr. Bettina Habicht geltend gemacht, die eigentlich gegen ihren Vorgänger Kurt Rieder gerichtet gewesen seien. Mit dem Apotheker habe der Großhändler noch Geschäfte gemacht, nachdem er im Mai 2013 Privatinsolvenz angemeldet hatte. Da mehrere Rechtsgeschäfte eigentlich Rieder zuzurechnen seien, müsste Phoenix nach dieser Logik jede Zahlung an die Insolvenzmasse abführen. „Wenn der Anspruch darauf besteht, wird sich der Insolvenzverwalter sicher melden“, kommentierte der Richter.

Doch der EU-Versandapotheke ist die Sache ernst. Sollte man zu keiner Einigung mit Phoenix kommen, könne man das Verfahren entsprechend umstellen: „Dann zahlen Sie 7 Millionen an den Insolvenzverwalter“, rief Anwalt Ohneseit der Gegenseite zu. Phoenix möge doch schlechtem Geld nicht noch gutes hinter werfen, so sein Rat.

Diese Attacke hatte sich die EU-Versandapotheke für die mündliche Verhandlung im Hauptsacheverfahren aufgehoben. Das Gericht äußerte sich zu dem neuen Sachverhalt nicht im Detail. Phoenix-Anwältin Ines Rößler nahmen das Ganze äußerlich gelassen zur Kenntnis. Beim Großhändler hält man die Nummer für eine Nebelkerze mit wenig Aussicht auf Erfolg.

Und das liegt vermutlich nicht zuletzt an den früheren Eigentumsverhältnissen bei der EU-Versandapotheke. Dem Vernehmen nach war Rieder nämlich vor dem Verkauf nur treuhänderisch aktiv. Aus apothekenrechtlich naheliegenden Gründen ist dies zwar nicht zu belegen, dem Insolvenzverwalter aber liegen diese Verträge angeblich vor. „Der hätte sich das für die Masse geholt, wenn er eine Option gesehen hätte“, sagt ein Insider.

Im Gerichtssaal in Cottbus wurde jedenfalls halb darüber gescherzt, ob man den Kollegen vom Amtsgericht Nürnberg bezüglich seines Insolvenzverfahrens werde laden müssen. Das Landgericht räumte beiden Seiten jetzt zwei Monate Zeit ein, um sich im schriftlichen Verfahren zu äußern. Die Verkündung ist für den 13. Februar terminiert.

Natürlich können sich die Parteien bis dahin auch noch einigen. Doch danach sah es bei der als Gütetermin angesetzten Verhandlung in Cottbus nicht aus. In der Vorwoche waren die Vertreter der EU-Versandapotheke noch zum Hauptsitz des Großhändlers nach Mannheim gereist. Doch die Vorstellungen liegen sehr weit auseinander.

Eine Prognose über den Ausgang des Verfahrens lässt sich nach der Verhandlung nicht anstellen. Phoenix konnte im Eilverfahren vor dem OLG Brandenburg immerhin einen Sieg verbuchen. Dennoch ist Habichts Ehemann Sven Schumacher, der für die EU-Versandapotheke an der Verhandlung teilgenommen hatte, weiter zuversichtlich. Anwalt Ohneseit entglitt seine ostentative Gelassenheit nur manchmal, wenn er etwa ein schwieriges Verhandlungsklima im Gerichtssaal beklagte, Schumacher während des Termins mehrfach über den Mund fuhr oder auf den Gerichtsfluren über die „Lügenpresse“ schimpfte.

Nervosität und Unsicherheit gibt es aktuell aber vor allem auf Seiten der Kunden der EU-Versandapotheke. Die müssen nämlich immer öfter vertröstet werden, derzeit wird eine Lieferzeit von circa 14 Tagen ausgegeben. Die Zahlmethode Rechnung wurde ebenfalls gestrichen. Dem Unternehmen nahestehende Personen behaupten gar, die Versandapotheke habe ihre Geschäftstätigkeit weitgehend eingestellt. Fest steht aber auch, dass im Hintergrund interessierte Kreise auf eine Pleite der Versandapotheke spekulieren, um diese oder Teile davon dann aus der Insolvenzmasse zu übernehmen. Es bleibt spannend in Cottbus.