Apothekenpflicht

Mucosolvan: Bumerang für Sanofi

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Berlin -

Physikalisch oder pharmakologisch? Sanofi ist mit dem Versuch, unter der Dachmarke Mucosolvan ein Medizinprodukt auf den Markt zu bringen, vorerst gescheitert. Der Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft hat gegen den Hersteller eine einstweilige Verfügung erwirkt; Mucosolvan Phyto Complete darf nicht mehr verkauft werden. Am Montag sollen die Apotheken informiert werden, wie es weiter geht. Der Streit hat grundsätzliche Bedeutung für die gesamte Branche.

Medizinprodukte liegen im Trend. Einerseits lassen sie sich schneller und preiswerter einführen, da sie nicht zugelassen, sondern nur registriert werden müssen. Andererseits haben Hersteller bei der Vermarktung mehr Freiheiten, da nicht dieselben strengen Vorschriften gelten wie für Arzneimittel. Voraussetzung ist allerdings, dass die Produkte ausschließlich eine physikalische Wirkung haben.

Mucosolvan Phyto Complete ist laut Schutzverband allerdings als Arzneimittel einzustufen. Einerseits würden unter der Dachmarke Mucosolvan ausschließlich apothekenpflichtige Arzneimittel vertrieben, schon deswegen sei der Newcomer als Präsentationsarzneimittel einzustufen.

Andererseits hätten die Inhaltsstoffe Thymian und Spitzwegerich eine pharmakologische Wirkung. Der Verband bezieht sich auf eine Einschätzung des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Auf mehr als 50 Seiten haben die Anwälte ihre Sichtweise dargelegt. Vergleichsweise knapp kam da die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt daher: Dem Hersteller wurden ein Verstoß gegen § 21 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) vorgeworfen und das Inverkehrbringen des Produkts ohne Zulassung untersagt.

Aufgrund der einstweiligen Verfügung sah sich der Konzern gezwungen, die Apotheken über den Verkaufsstopp zu informieren. Denn auch wenn in der Regel die Wettbewerbsvereine nicht gegen die Handelspartner der Hersteller vorgehen: Jede Apotheke, die der Aufforderung des Konzerns keine Beachtung schenkt, setzt sich dem Risiko aus, selbst abgemahnt zu werden.

Was mit der Ware geschieht, ist noch unklar. Denn bis eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren fällt, kann es noch dauern. Am Montag will Sanofi die Apotheken informieren, wie sie mit ihren Beständen umgehen sollen. Offenbar wurden in der ersten Runde auch noch gar nicht alle Apotheken informiert. Sanofi will sich nicht äußern: „Wir bitten darüber hinaus um Verständnis, dass wir während laufender Rechtsstreitigkeiten keine weiteren Informationen herausgeben möchten. Über den Ausgang dieser Streitigkeit sowie über weitere Aktivitäten des agierenden Wettbewerbsverbandes gegenüber anderen Handelsstufen und Akteuren möchten wir nicht spekulieren.“

Für den Konzern könnte es teuer werden: Seit dem Launch wurden mehr als 300.000 Packungen verkauft. Allerdings wurden mehr als eine halbe Million Packungen ausgeliefert, sodass in den Apotheken noch mehr als 200.000 Einheiten vorrätig sein dürften.

Für die Apotheken ist der Verkaufsstopp bei Mucosolvan Phyto Complete ebenfalls ärgerlich, denn die Neueinführung war im Grunde sehr erfolgreich. Der Konzern hatte das Produkt massiv in Zeitschriften beworben, viele Kunden kamen mit ausgeschnittenen roten „Erinnerungsecken“ in die Apotheke, auf denen neben dem Namen auch die PZN abgedruckt war. Auch wenn die Publikumswerbung jetzt ebenfalls gestoppt werden muss, dürfte es noch Nachfragen geben.

Sanofi hatte sich im Eilverfahren zwar noch nicht äußern können, beim Launch aber explizit auf die physikalische Wirkung abgestellt: Die enthaltenen Molekülkomplexe könnten bei trockenem Husten und Husten mit Schleim Linderung verschaffen, indem sie im Hals einen beruhigenden Schutzfilm bildeten und so den Hustenreiz beruhigten, hieß es. Außerdem könnten sie die Schleimhäute schützen und vorhandenen Schleim lösen. Genau diese Mechanismen wird der Konzern im Prozess nachweisen müssen.

„Arzneimittel und Medizinprodukte unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer Wertigkeit, sondern hinsichtlich ihrer Funktionen und der Zielsetzung des gewünschten Effektes im Rahmen der Indikation“, argumentierte Sanofi zum Launch. „Der Einsatz von Medizinprodukten ist dann sinnvoll, wenn es nicht notwendig ist, eine Wirkung im Körper nach stofflicher Resorption auszuüben.“

Aus diesem Grund zeichneten sich Medizinprodukte durch eine gute Verträglichkeit aus, insbesondere mit Blick auf die Anwendung bei Kindern, so Sanofi weiter. „Für viele pflanzliche Inhaltsstoffe – man spricht hier von den ‚sekundären Pflanzeninhaltsstoffen‘ – sind Wirkungen bekannt, die sich besonders gut für die Verwendung in Medizinprodukten eignen.“ Dazu gehörten pflanzliche Schleimstoffe oder Polysaccharide, die einen Schutz der Haut oder der Schleimhautoberfläche bildeten. „Man spricht hier von Polyphenolen beziehungsweise Flavonoiden, die anti-oxidativ oder radikal-einfangend, also irritations- und reizdämpfend wirken, und Ballaststoffen, die Schadstoffe binden.“

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass der Konzern bei der Vermarktung seiner Mucosolvan-Produkte über das Ziel hinaus geschossen ist: Im Sommer untersagte das Landgericht Frankfurt dem Konzern, mit einer antiviralen Wirkung des Ambroxol-haltigen Hustensafts zu werben. Zur selben Zeit sah sich der Konzern veranlasst, nach einer Beschwerde beim Werberat den „Anti-Bääh“-Banner aus dem TV-Spot zu verbannen. 2015 sorgte eine Kampagne für Thomapyrin auf Spiegel online für Ärger: Kunden wurden vom Banner direkt auf den Webshop von DocMorris geleitet.

Über die Einstufung von Produkten als Medizinprodukt wird immer wieder vor Gericht gestritten. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Köln 2017 entschieden, dass die Halstabletten von Mallebrin und Gargarisma als Arzneimittel einzustufen sind. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte dem Hersteller Krewel Meuselbach bereits 2013 untersagt, die Produkte als Medizinprodukte zu vermarkten.

Vor einigen Jahren gab es bereits einen ähnlichen Rechtsstreit um Cholorhexidin-Mundspülungen, der jahrelang dauerte und verschiedene Gerichte beschäftigte. GlaxoSmithKline wollte sein Arzneimittel Chlorhexamed absichern und ging darum gerichtlich gegen verschiedene Anbieter vor, die die Mündspülungen als Kosmetikum vermarkteten, darunter auch Kreussner und Sunstar.

Der britische Konzern argumentierte, Chlorhexidin sei pharmakologisch wirksam. Die Ansicht setzte sich durch, mittlerweile gelten Produkte, die mehr als 0,1 Prozent des Wirkstoffs enthalten, als pharmakologisch wirksam. Die entsprechenden Mundspülungen von Kreussler (Dynexidin), CP Gaba (Meridol Med CHX) und Sunstar (Paroex) sind als nicht apothekenpflichtige Arzneimittel zugelassen, einige andere Produkte wurden vom Markt genommen.

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