Interview Manfred Schneider (BerlinApotheke/Medios)

„Sonst droht die Kapitulation der Apotheker vor der Pharmazie“ Patrick Hollstein, 09.05.2017 10:22 Uhr

Berlin - 

Wer sich BerlinApotheke nennt, der hat den Anspruch, Platzhirsch zu sein. Manfred Schneider setzt aber nicht nur auf einen schlagkräftigen Verbund in 1A-Lagen. Mit seinem Specialty-Unternehmen Medios will er die Versorgung schwerkranker Patienten verbessern. Er sieht die Chance, der Apotheke so zu mehr Kompetenz zu verhelfen. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt er, warum ansonsten das Ende der Pharmazie droht.

ADHOC: Zyto-Ausschreibungen werden verboten, Sie gehen an die Börse. Ein guter Zeitpunkt?
SCHNEIDER: Aus unserer Sicht ja. Wir haben immer kritisiert, dass es bei den Ausschreibungen der Kassen nur um die Preise geht und nicht um die Qualität. Dass sich das jetzt ändert, ist eine große Chance für Firmen wie Medios.

ADHOC: Inwiefern?
SCHNEIDER: Die Ausschreibungen waren ganz klar auf Verdrängung angelegt. Eine gute pharmazeutische Betreuung wurde in keiner Weise honoriert – weder über die Konditionen, noch über eine Steuerung der Nachfrage.

ADHOC: Und das ändert sich jetzt?
SCHNEIDER: Wenn Ärzte ihre Apotheke frei wählen können, wird sich früher oder später Qualität durchsetzen.

ADHOC: Was macht Sie so sicher, dass der Markt nicht einfach in alte Muster zurückfällt?
SCHNEIDER: Es gibt verschiedene Entwicklungen, die den Markt treiben. Allen voran: Es gibt immer weniger Apotheken, die Sterilrezepturen herstellen. Zum Start der Ausschreibung und vor der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung hatten etwa 35 Kollegen in Berlin ein Sterillabor, heute sind es noch elf. Und es werden noch weniger werden. Mit dieser Konzentration geht eine Spezialisierung einher, die wiederum die Anforderungen steigen lässt: Wenn schon nicht die Apotheke im Haus aus alter Verbundenheit liefert, dann sollte es wenigstens die beste sein.

ADHOC: Das muss sich ja nicht ausschließen.
SCHNEIDER: Natürlich nicht. Aber um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, reicht es heutzutage nicht mehr aus, so wie früher nur einen Onkologen zu beliefern. Noch weiß niemand, ob die Kassen nicht ihre Open-house-Modelle weiterführen. Die wenigsten Apotheker sind in der Lage, sich ohne Unterstützung zu beteiligen. Man übernimmt nicht mal eben nebenbei die Versorgung von 100 Praxen. Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei.

ADHOC: Wo bleibt da Spielraum für Qualitätsoffensiven?
SCHNEIDER: Verkürzt gesagt: Gerade weil der Druck auf die Margen weiter steigen wird, werden sich die Apotheken über Qualität definieren müssen.

ADHOC: Wie passt das zusammen?
SCHNEIDER: Die Preise der neuen Hilfstaxe – und womöglich auch der Open-house-Verträge – werden zwar nicht auf dem Niveau der Ausschreibungen liegen, aber deutlich unter den bisherigen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Transparenz: Die Kassen können nicht nur von den Apotheken, sondern auch von deren Lieferanten Nachweise über die Kalkulation verlangen. Gewinner werden damit auf lange Sicht jene Apotheken sein, die statt Rückvergütungen von ihren Lieferanten beziehungsweise Lohnherstellern Qualität einfordern.

ADHOC: Aufwand muss sich aber auch rechnen.
SCHNEIDER: Richtig. Wenn wir uns weiterhin wie reine Händler verhalten, wird die Versorgung von schwerkranken Patienten bald nicht kostendeckend möglich sein. Unsere Preise sind doch schon im Keller – und jetzt wird ernsthaft noch über Skonti diskutiert! Die Apotheker lassen sich die Butter vom Brot nehmen.

ADHOC: Wie könnte eine Lösung aussehen?
SCHNEIDER: Wir müssen schleunigst dazu kommen, dass Spezialkompetenz auch honoriert wird, und zwar außerhalb der Medikation. Das können meinetwegen auch gemeinsame Honorartöpfe sein, so wie im Krankenhaus, wo die pharmazeutische Leistung in den Fallpauschalen abgegolten wird. Wenn wir weiterhin an der Packung hängen, fällt die klassische Apotheke früher oder später hinten runter.

ADHOC: Halten Sie das für realistisch?
SCHNEIDER: Mir ist klar, dass der Berufsstand dafür völlig umdenken und bereit sein muss, bestehende Modelle zu hinterfragen. Aber eine Alternative gibt es nicht. Es gibt überall in Deutschland spezialisierte Apotheken, die einen fantastischen Job machen, die sich engagieren und innerhalb des Heilberufeteams eine wichtige Rolle übernehmen. Das muss honoriert werden. Ansonsten droht früher oder später die ökonomisch begründete Kapitulation der Apotheker vor der Pharmazie. Die gekappten Margen bei Hochpreisern führen ja schon heute dazu, dass viele Kollegen sich resigniert distanzieren.

ADHOC: Ihr Vorschlag impliziert die Abkehr von der omnipotenten Apotheke.
SCHNEIDER: Nicht unbedingt. Mit Medios wollen wir ein Angebot schaffen, das die Apotheke vor Ort stärkt. Gerade schwerkranke Patienten sind auf eine wohnortnahe Versorgung angewiesen. Aber sie haben oft schlichtweg nicht die Zeit darauf zu warten, dass sich die Apotheke in das Spezialthema eingearbeitet hat. Ein Beispiel: Die durchschnittliche Lebenserwartung der Patienten mit ALS liegt bei drei bis fünf Jahren nach der Diagnose. Deshalb muss die Apotheke schnell innovative Lösungen für die oft gravierenden Medikationsprobleme aufgrund der Immobilität der Patienten parat haben.

ADHOC: Sind die Ärzte bereit für eine neue Apothekergeneration?
SCHNEIDER: Früher wollten sich die Mediziner nicht reinreden lassen. Aber die Therapien sind viel komplexer geworden, da braucht es intelligente Interaktionen unter den Heilberuflern. Heute sind die meisten Ärzte dankbar, wenn sie einen Apotheker als kompetenten Ansprechpartner haben. Die Apotheken müssen eine interaktive Rolle spielen und dürfen sich nicht weiterhin passiv verhalten.