Großhandel

Gehe/Alliance: Stunde der Entscheidung Patrick Hollstein, 09.09.2020 10:39 Uhr

Aber auch Konkurrent Gehe hat seine Mittel: Bei dem Angebot „7bis7“ gibt es Sonderkonditionen auf alle Rx-Arzneimittel unter 7 Euro Apothekeneinkaufspreis. Dazu müssen die Apotheker dem Großhändler allerdings sämtliche Abverkaufsdaten melden. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Beim Zusammenschluss von Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD) geht es in die entscheidende Phase. Die österreichische Wettbewerbsbehörde hat den Deal soeben freigegeben. Die Mitarbeiter wurden allerdings einmal mehr vertröstet.

Die US-Mutterkonzerne McKesson und Walgreens Boots Alliance (WBA) wollen ihre Deutschlandgeschäfte zusammenlegen, um so mehr Durchschlagskraft und Effizienz entfalten zu können. Trotz erheblicher Auswirkungen für den Markt haben EU-Kommission und Bundeskartellamt bereits in den vergangenen Wochen grünes Licht gegeben.

Die Genehmigung aus Österreich stand noch aus; die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) in Wien muss den Fall prüfen, weil auch Umsätze von mehr als 50 Millionen Euro in Österreich betroffen sind. Da es sich um Randgeschäfte handelt – das Geschäft von Herba Chemosan ist nicht Teil des Deals und Alliance ist in Österreich gar nicht als Großhändler aktiv – galt ein Veto als ausgeschlossen. Soeben wurde die „Nichtuntersagung des Zusammenschlusses“ bekannt gemacht.

Bei den Mitarbeitern der beiden Großhändler macht man sich seit der Ankündigung kurz vor Weihnachten Sorgen, wie sicher ihr Arbeitsplatz ist. Der Zusammenschluss unterliegt größter Geheimhaltung, nicht einmal die zweite Managementebene oder die Arbeitnehmervertreter kennen bislang Details.

Anfang September sollten eigentlich erste Informationen gegeben werden, doch bei einem Town Hall Meeting wurden die Mitarbeiter auf Oktober vertröstet. Das heißt aber auch, dass der Zusammenschluss wohl nicht mehr im Herbst zustande kommen wird. Bei Gehe hieß es gegenüber der die Belegschaft, dass der Vollzug für das zweite Geschäftshalbjahr angepeilt wird – und das läuft bis Ende März.

Unter welchem Namen und wessen Führung das Gemeinschaftsunternehmen auftreten soll, wird genauso wenig verraten wie Details dazu, wo es seinen Hauptsitz haben wird und welche Vertriebszentren oder Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen sollen. Eigentlich steht Gehe nicht nur geschäftlich, sondern auch strukturell besser da. Andererseits übernimmt WBA mit 70 Prozent den Lead im Joint Venture – und Konzernchef Stefano Pessina hat seine Deals mehrfach ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen.

Die Hängepartie sorgt vor allem deswegen für Verunsicherung, weil es ein offenes Geheimnis ist, dass es eine Schließungswelle geben wird. Gemeinsam verfügen AHD und Gehe über 42 Standorte, davon gehören Gehe 17 und AHD 25. Einige Häuser liegen nur wenige Kilometer auseinander. Phoenix unterhält bei höherem Marktanteil weniger als halb so viele Vertriebszentren.

Beide Partner haben bereits erklärt, dass mit dem Joint Venture die Wettbewerbsfähigkeit des Geschäfts gestärkt werden soll: Neben der Qualität stünden vor allem effiziente Liefermöglichkeiten und „Skaleneffekte im deutschen Pharmagroßhandel“ im Vordergrund, hieß es. Schon vor der Ankündigung der Fusion hatten bei AHD Projektteams Kundenzahlen und Deckungsbeiträge, Touren und Verkehrsdaten analysiert. Bereits Anfang 2019 wurde im Zusammenhang mit dem öffentlich angekündigten Sparprogramm kolportiert, dass drei bis fünf Niederlassungen geschlossen werden könnten.

Sowohl Gehe als auch AHD wurden in den vergangenen Jahren immer neuen Sparrunden unterzogen; an der negativen Ertragslage geändert haben diese nichts. Vor allem an der ehemaligen Anzag wurde seit der Übernahme immer wieder herumgedoktert, stets mit dem Ziel, Profite zu generieren und abzuführen: Servicecenter wurden geschlossen, die Zentrale verkauft, Abteilungen aufgelöst. In der Summe fielen so seit 2010 knapp 400 Vollzeitstellen weg, immerhin ein Fünftel der Belegschaft.

Dass es im deutschen Großhandel weitere Veränderungen geben würde, ist seit Jahren ein Thema. Immer wieder gab es Spekulationen, die sich vor allem um die beiden US-Konzerne rankten. McKesson hatte Celesio 2014 im zweiten Anlauf übernommen, im selben Jahr übernahm Walgreens den britischen Pharmahändler Alliance Boots, was de facto aber eine inverse Übernahme war.

Es ist kein Geheimnis, dass beide Konzerne alles andere als zufrieden mit der Geschäftsentwicklung und Ertragslage sind. Rabattschlachten und Hochpreiser drücken auf die Marge. Die Honorarumstellung des Jahres 2011, die eigentlich ein gesundes Auskommen ermöglichen sollte, hat alles nur schlimmer gemacht. Ein Rückzug vom deutschen Markt ist keine Option: Immerhin geht es um einen Schlüsselmarkt in Europa. Vor zwei Jahren gab es Gerüchte, dass Walgreens-CEO Stefano Pessina bereit wäre, Alliance in Deutschland an McKesson abzugeben, wenn er dafür Phoenix als Ganzes bekommen könnte.

Aktuell kommt Phoenix auf einen Marktanteil von rund 28 Prozent, dahinter rangiert Noweda mit 22 Prozent. Die Genossenschaft aus Essen hatte durch die Zukäufe der Privatgroßhändler Kapferer und Ebert+Jacobi ihre Stellung deutlich ausgebaut. Dahinter rangiert Gehe mit etwas mehr als 15 Prozent; hinter der Sanacorp folgt AHD mit rund 13 Prozent. Den Rest des Marktes teilen sich die Privatgroßhändler Kehr, Max Jenne, Otto Geilenkirchen, Fiebig und Krieger sowie die auf Phoenix zurückgehende Hageda-Stumpf aus München und AEP.