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„Fragwürdige Strategie“ – Verdi kritisiert AHD/Gehe

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„Fragwürdige Strategie“ – Verdi kritisiert Pharmagroßhändler AHD/Gehe
Berlin -

Die Gewerkschaft Verdi kritisiert die Pläne von Alliance Healthcare Deutschland (AHD) und Gehe, insgesamt elf Niederlassungen zu schließen. Siegmar Roder ist bei Verdi zuständig für den Pharmagroßhandel. Mit APOTHEKE ADHOC sprach er über die Optionen der Gewerkschaft, den Einfluss der Apotheker und Stefano Pessina.

ADHOC: Seit wann wissen Sie von den Kürzungsplänen?
RODER: Nach der Bekanntmachung des Joint Ventures vor 16 Monaten war uns klar, dass Umstrukturierungen stattfinden werden. Das ist ja immer so bei einem geplanten Zusammenschluss. Von den Plänen weiß ich tatsächlich seit Mittwoch früh – aufgrund der Teilnahme an der Informationsveranstaltung an die Gesamtbetriebsräte.

ADHOC: Mit Blick auf das Niederlassungsnetzwerk der Konkurrenz war ja durchaus mit solchen Maßnahmen gerechnet worden. Wo sehen sie die kritisierten strategischen Managementfehler?
RODER: Naja, wenn sie 16 Monate Zeit haben und im Dezember 2019 antreten mit der Aussage „Wir wollen Marktführer sein, wir wollen die Marktführerschaft behalte, wir wollen Stärke zeigen." Dann ist es ziemlich fragwürdig, wenn die einzige Strategie daraus besteht, elf Niederlassungen zu schließen.

ADHOC: Welche Alternativen zu Schließungen hätte es denn gegeben?
RODER: Ich denke, dass es im pharmazeutischen Großhandel aufgrund der Situation des Oligopols und der Rabattschlacht auf Qualität ankommt – auf kurze Wege, auf Lieferbereitschaft. Da kommt es darauf an, dass man andere Produkte anbietet, Unterstützung für die Apotheken bietet, wie es ein Teil der Genossenschaften macht. Dass man Qualität liefert und nicht nur auf den günstigsten Preis achtet und das Ganze verschlankt. Durch die Schließungen werden durchaus Lieferwege länger, worunter womöglich die Lieferfähigkeit leidet. Ich glaube, dass man in so einem engen Markt auf die Qualität des Großhandels achten muss und nicht ausschließlich auf Verschlankung.

ADHOC: Glauben Sie, dass sich ein Großhändler dieser „Rabattschlacht“ entziehen kann?
RODER: Nein, da kann sich niemand entziehen. Die Apotheker:innen sind in der Lage, per Knopfdruck auszuwählen, wen sie als Erst, Zweit- und Drittlieferant nehmen. Das wissen wir alle. Entziehen kann man sich dem nicht, aber es ist tatsächlich keine gesunde Rabattschlacht. Wenn die Unternehmen eine Umsatzrendite haben von 0,4 oder 0,3 Prozent haben, dann ist das ja faktisch wie eine Bank. Man verdient ja kein Geld und das kann auf Dauer nicht gesund sein. Und immer wieder den Rotstift anzusetzen bei den Beschäftigten, um da mithalten zu können, kann nicht vernünftig sein. Ich weiß auch, dass die Apotheker:innen den entsprechenden Druck haben, ich weiß, dass Apotheken schließen. Aber man kann das nicht alles auf den Großhandel abladen. Das geht nicht.

ADHOC: Liegt der Fehler etwa bei den Apotheken?
RODER: Den Fehler sehe ich erstmal grundsätzlich beim System, das den Großhändlern nicht ausreichend Vergütung gewährt für die Dienstleistung, die sie bringen. Pro Packung 70 Cent als Lieferpauschale ist ein bisschen wenig. Der Phagro hat ja immer wieder gesagt, dass das nicht ausreicht. Ich sehe den Fehler nicht bei den Apotheken, das legen sie mir auch nicht in den Mund. Das Problem ist nur, dass die Apotheker natürlich diese Situation der Großhändler ausnutzen – es gibt ja nur noch fünf und ein paar private. Das führt dazu, dass die Großhandlungen eben ganz wenig Geld verdienen.

ADHOC: Ist es nicht gerade so, dass das Oligopol dazu führt, dass es für die Apotheken schwieriger ist, ihre Macht auszuspielen?
RODER: Nein, das sehe ich nicht so.

ADHOC: Der Phagro versucht ja gerade aktuell auch dafür ein höheres Honorar zu lobbyieren. Ob das nun gelingt oder nicht, werden wir abwarten müssen, aber nochmal die Frage: Was sollen die beiden Großhändler, die sich jetzt hier zusammenschließen, anderes machen, als dann Kosten zu sparen und Niederlassungen zu schließen?
RODER: Wenn die Strategie ist, nur Niederlassungen zu schließen, dann hat das ja auch Auswirkungen auf die Schnelligkeit der Belieferung der Apotheker:innen. Ich mache nicht die Strategie der Alliance Health Care und der Gehe, aber Fakt ist doch, dass wenn ich Marktführer werden will, nicht im ersten Schritt elf Niederlassungen zu schließen. Ob das eine richtige Strategie ist, können wir im Moment noch gar nicht beurteilen. Es war eine Erstinformation, die 16 Monate nach Bekanntgabe rausgegeben wurde. Es war die einzige Information. Jetzt kommt es darauf an, das Ganze zu beurteilen und zu bewerten.

ADHOC: Glauben sie, dass weitere Niederlassungen geschlossen werden in den nächsten Jahren?
RODER: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das weiß ich nicht. Machen Sie ein Interview mit der AHD. Es wird ja am Markt viel immer kolportiert, dass dort Schließungen erfolgen. Wir wissen es nicht. Das ist auch etwas, das wir gerne in den Verhandlungen mit den entsprechenden Gremien festlegen würden. Wir wollen eine Standortsicherung für die Filialen, damit die Kolleg:innen die dann am Ende des Tages die Arbeit für die Apotheken machen, auch sicher sind, dass sie ihre Arbeit weitermachen können. Das ist ja auch wichtig für die Produktivität für die beschäftigten Menschen. Wenn die immer in Angst leben „Als nächstes bin ich dran!“, ist das für alle Beteiligten überhaupt nicht gut.

ADHOC: Sie wollen dazu ein Gutachten in Auftrag geben, dass diese Schließung überprüft. Was erwarten Sie denn davon?
RODER: Wir haben den Gesamtbetriebsrat beraten. Wir haben ein arbeitnehmernahes Institut, welches ziemlich viel Erfahrung hat, es hat auch andere pharmazeutische Großhandlungen schon beraten. Das ist faktisch McKinsey für die Beschäftigten, also arbeitnehmernah und betriebsratsnah und die werden sehen, welche strategischen Überlegungen überhaupt dahinterstehen. Als Beispiel: Warum man in Kassel AHD schließt und nicht die Gehe. Das steht alles in der Erstinformation nicht drin. Was hat dazu geführt, so zu entscheiden, und nicht anders? Da muss man sich Lieferwege angucken, Transportwege, die Automatisierung. All das ist nicht kommuniziert worden. Und das ist jemand, der das gut analysieren kann. Dann wollen wir sehen, ob das überhaupt Hand und Fuß hat, was da entschieden worden ist. Und dazu brauchen wir betriebswirtschaftlichen Sachverstand, der ist beauftragt worden, und da muss man mal gucken. Man kann nicht handeln nach dem Prinzip „Vogel, friss oder stirb.“

ADHOC: Man kann unterstellen, dass bei zwei so großen Konzernen solche Überlegungen durchaus angestellt worden sind im Vorfeld. Wahrscheinlich mit anderen Prämissen. Welche Möglichkeit haben sie als Gewerkschaft, noch Einfluss zu nehmen auf diese Entscheidungen im Nachhinein?
RODER: Es ist natürlich so, dass wir nicht alle Schließungen werden verhindern können. Aber ich glaube schon, dass wir eine realistische Chance haben, dass vielleicht die ein oder andere Entscheidung verändert wird. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob alle Entscheidungen tatsächlich vom örtlichen Management – das ich übrigens durchaus schätze – mit der entsprechenden Expertise gemacht wurden. Oder, ob es nicht darum ging, dass man in England oder in den USA gesagt hat „Diese Einsparungen wollen wir jetzt!“ Und dann „Setzt das einfach um!“ Das ist ja die große Frage. Weil, die haben in England keine Ahnung von Betriebsverfassung und Betriebsräten. Und von den USA rede ich gar nicht. Von daher muss man gucken was da überhaupt dahinter ist und was da Hand und Fuß hat.

ADHOC: Wie schätzen Sie Gehe und Alliance Healthcare als Unternehmen ein? Wo sehen sie da die Unterschiede, beispielsweise in der Kultur?
RODER: Also die Gehe war noch etwas traditioneller aufgestellt. McKesson hat da nicht so viel reinregiert in der Vergangenheit, wie das bei der Alliance Healthcare der Fall war. Bei AHD wird tatsächlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr stark beklagt, dass von „ihrer Anzag“ und der traditionellen Werte- und Mitarbeiterorientierten Kultur nicht viel übrig geblieben ist. Das ist typisch England, typisch USA. Das merkt man schon, auch in den Reaktionen in den Filialen, als die Schließungspläne bekannt wurden. Da gab es Aussagen wie: „Das wäre bei meiner alten Anzag nicht passiert.“ Da hat sich die Kultur schon stark gewandelt. Bei der Gehe kann ich dazu nicht so viel sagen.

ADHOC: Der Einfluss von Stefano Pessina?
RODER: Ja, das ist maßgebend. Dadurch hat sich die Kultur im Unternehmen deutlich verändert und wie ich das heraushöre nicht zum Guten. Durch die Kultur an sich der unterschiedlichen Herangehensweise: Auf Profit zu setzen und auf nichts anderes.

ADHOC: Das Gutachten haben Sie angesprochen. Gibt es noch weitere Schritte, die Sie als Gewerkschaft unternehmen können aktuell?
RODER: Zum einen werden wir ganz eng mit den Betriebsräten zusammenarbeiten. Wir haben arbeitnehmerorientierte Rechtsanwälte beauftragt. Wir werden mit unserer Expertise bei Umstrukturierung die Gesamtbetriebsräte beraten. Wir haben eine laufende Tarifrunde. Wir machen alles das, was wir als Gewerkschaft machen und das sehr intensiv und sehr unterstützend. Weil wir dafür einen ganz wesentlichen Bereich haben, wo wir durchaus eine große Anzahl an Mitgliedern haben, und die wollen wir schützen.

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