Interview Dr. Claudio Albrecht / Actavis

„Deutschland ist kein attraktiver Standort“ Patrick Hollstein, 24.08.2010 14:12 Uhr

Berlin - 

Mit Zukäufen im Halbjahrestakt ist der isländische Generikahersteller

Actavis zwischen 1999 und 2008 zu einem der Weltmarktführer

aufgestiegen. Dann traf die Finanzkrise den Konzern mit voller Wucht,

selbst ein Notverkauf schien möglich. Ende Juli einigten sich die

Gläubiger um die Deutsche Bank auf ein Refinanzierungskonzept und

ernannten den ehemaligen Ratiopharm-Chef Dr. Claudio Albrecht zum neuen

Vorstandsvorsitzenden. In seinem ersten Interview seit Amtsantritt

sprach Albrecht mit APOTHEKE ADHOC über die Stärken und Schwächen des

Konzerns, den neuen Firmensitz in der Schweiz und die Zukunft der

Generikabranche.

ADHOC: Wo steht Actavis 2010?
ALBRECHT: Es kommt ein wenig darauf an, mit wem Sie Actavis vergleichen. Im reinen Generika-Segment sind wir nach der Ratiopharm-Übernahme durch Teva die Nummer 4 auf der Welt. Wir beschäftigen derzeit 10.500 Mitarbeiter und erwarten in diesem Jahr einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro. In den nächsten Jahren wollen wir über Markt wachsen - jedes Jahr zwischen 8 und 10 Prozent.

ADHOC: Was war der Grund für die Krise von Actavis?
ALBRECHT: Wenn ich die Umsatz- und die Gewinnsituation von Actavis mit der anderer Generikahersteller vergleiche, so liegen wir durchaus im oberen Durchschnitt. Ich denke, es ging vor allem um die Höhe der Verschuldung. Ab einer gewissen Zinslast kann ein Unternehmen unserer Größe den Cash Flow nicht mehr erwirtschaften, um diese zu bedienen. Seit der Restrukturierung der Schulden besteht dieses Problem nicht mehr.

ADHOC: Warum ist der Verkauf von Actavis gescheitert?
ALBRECHT: Unsere Industrie ist auch davon geprägt, dass sich Gerüchte rasch verbreiten. Ich kann nicht bestätigen, dass wir aktiv einen Käufer für Actavis gesucht hätten. Es gibt natürlich immer wieder Gespräche über eine engere Zusammenarbeit mit Mitbewerbern, aber wir sind nie offiziell in einen Verkaufsprozess eingetreten.

ADHOC: Welche Ziele verfolgen Sie mit der Restrukturierung?
ALBRECHT: Wir wollen das Unternehmen ganz klar wieder finanzkräftig, investitionsfähig und damit wettbewerbsfähig für die Zukunft machen.

ADHOC: Wie involviert sind Gläubiger und Eigentümer?
ALBRECHT: Ich würde hier eher von Shareholdern als von Gläubigern sprechen. Es gibt einen Geschäftsplan über mehrere Jahre, und den muss das Management erfüllen. Der Plan ist allerdings realistisch und wurde von mir bereits in einer sehr frühen Phase begleitet. Der Eigentümer ist in das operative Geschäft nicht involviert, hat aber im Aufsichtsrat natürlich wichtige Kontrollrechte.

ADHOC: Welchen zeitlichen Rahmen haben Sie sich gesteckt?
ALBRECHT: Das Pharmageschäft ist ein sehr reguliertes Geschäft. Alles, was die Produktion und auch die Produktentwicklung betrifft, ist vorgegebenen Zeitrahmen unterworfen, meist Intervallen von drei Jahren oder mehr. Aber einige Schritte werden wir auch sehr schnell umsetzen. Eine neue Organisationsstruktur soll Prozesse vereinfachen und beschleunigen, eine neue Managementzentrale in der Schweiz soll optimale Kommunikation sichern und schnelle Entscheidungen fördern.

ADHOC: Mit welchen Einschnitten haben Unternehmen und Mitarbeiter zu rechnen?
ALBRECHT: Ich bin angetreten, um Actavis in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Es geht dabei weniger um Einschnitte, sondern um Wachstum und damit Investitionen. Natürlich werden wir auch dort, wo wir vielleicht nicht so schlank sind wie Mitbewerber, unsere Strukturen überprüfen. Gerade in der Produktion und in R&D werden wir versuchen, unsere Möglichkeiten besser zu nutzen.

ADHOC: Wie wollen Sie aus Actavis mehr machen als eine Gruppe von Herstellungsbetrieben?
ALBRECHT: Das Erfolgsrezept ist die richtige Nutzung von Synergien. Das funktioniert heute bei Actavis noch nicht so, wie ich es von anderen Unternehmen kenne. Aber man kann Prozesse nur bis zu einem gewissen Punkt optimieren, dann braucht es „neues Geschäft“, das heißt eine Vision, wie man die Märkte erobert und die Kunden mit kreativen Produkten überzeugt.

ADHOC: Welche Alleinstellungsmerkmale hat Actavis denn?
ALBRECHT: Aus unserer Entstehungsgeschichte heraus war Actavis schon immer stark in der Produktentwicklung. Wir haben heute ein äußerst breites Know-How und damit sicher eine der besten Pipelines der Industrie. Außerdem sind wir in Segmenten tätig, wo es deutlich weniger Konkurrenz gibt. Wir sind zum Beispiel einer der größten Entwickler onkologischer Produkte und beschäftigen uns derzeit mit der Entwicklung liposomaler Zytostatika. Ein Defizit ist sicher die mangelnde Präsenz im Bereich der Biosimilars. Hier wollen wir möglichst schnell einen Eintritt schaffen, gerade im Bereich Onkologie gibt es ja viele große biotechnologisch hergestellte Produkte.

ADHOC: Was sind Ihre Pläne und Ziele für den deutschen Markt?
ALBRECHT: Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr verändert und ist kaum noch attraktiv als Standort für einen Generikahersteller. Der Ausverkauf der einst weltweit führenden deutschen Generikaindustrie zeugt davon.
Wir wollen den Markt trotzdem nicht verlassen, sondern unseren Marktanteil ausbauen. Wir haben neben einem breiten Generika-Sortiment zusätzlich eine Linie von bekannten Markenprodukten, die nicht unter den ruinösen Ausschreibungswettbewerb in Deutschland fallen, und eine etablierte Klinikorganisation, die schon jetzt sehr stark im Bereich Lokalanästhetika und Antibiotika ist und die zukünftig auch verstärkt in der Onkologie präsent sein wird. Das OTC Sortiment ist sicher noch ausbaufähig, aber auch hier sind wir auf einem guten Weg, Nischen zu besetzen.

ADHOC: Wie steht Actavis zu den Rabattverträgen?
ALBRECHT: Wir lehnen Rabattverträge grundsätzlich ab. Die Preisgestaltung im Generika-Markt ist ausgereizt, am Ende wird die Oligopolisierung des Marktes beziehungsweise von Wirkstoffen stehen. Der Verlust der Wettbewerbsvielfalt wird schließlich langfristig wieder zu einer Verteuerung führen. Verlierer sind Patienten sowie Ärzte und Apotheker.

ADHOC: Wie sieht die Zukunft der Generikabranche aus?
ALBRECHT: Es werden langfristig die Großen überleben, die in der Lage sind, deutlich mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Mit den aufkommenden Tendern werden sich Spot-Anbieter manchmal Erfolge holen, aber dies kann keine dauerhafte Strategie und kein planbares Unternehmenskonzept sein. Eine Konzentration auf kurzfristige Gewinne bei Tendern ist kein nachhaltiger Plan, das ist pures Glückspiel. Die Dimensionen ändern sich, diejenigen werden Zukunft haben, die finanziell und technologisch in der Lage sind, die neue Generation von Medikamenten nachzuentwickeln und in einem grossen Territorium zu verkaufen. Deutschland baut seine Arzneimittelversorgung zur Zeit eher auf Spotanbieter auf, auch das ist keine nachhaltige Strategie.

ADHOC: Welche Rolle werden Markengenerika noch haben?
ALBRECHT: Kurzfristig gesehen verlieren gerade in den westlichen Märkten Marken ihre Bedeutung. Die osteuropäischen Märkte werden folgen, spätestens dann, wenn die Sozialversicherungssysteme Staaten zur Kostendämpfung zwingen. Aber langfristig kommen Marken wieder mehr Bedeutung zu. Der ganze große Zukunftsbereich Biosimilars spielt sich wieder voll im Markensegment ab. Je mehr Alleinstellungsmerkmale Produkte haben, desto mehr wird die Marke wieder eine Rolle spielen. Daneben wird es noch Platz für breite Massenmedikation geben, die nur noch Wirkstoffbezeichnungen trägt - aber die kommt kaum mehr aus Europa oder den USA. Hier werden die guten Anbieter aus den asiatischen Märkten die Gewinner sein.