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Pharma-Milliardär krallt sich die LA Times

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Berlin -

Der Pharmamilliardär Patrick Soon-Shiong hat das Traditionsblatt Los Angeles Times gekauft, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen der USA. Er tut es damit Amazon-Chef Jeff Bezos gleich, der 2013 die Washington Post erworben hat. Und wie Bezos ist auch Soon-Shiong in seiner Branche umstritten.

In der US-amerikanischen Pharmaindustrie hat Soon-Shiong es in den letzten Jahrzehnten zu einiger Bekanntheit gebracht. Das Forbes Magazine nennt ihn den „reichsten Arzt der Welt“, der am „Manhattan Project der Medizin“ arbeite. Soon-Shiong selbst ist da nicht bescheidener: Er werde noch zu seinen Lebzeiten „den Krieg gegen den Krebs gewinnen“, sagt der rund 7,7 Milliarden US-Dollar schwere 65-Jährige, der früher als Pionier der Transplantationschirurgie galt. Tatsächlich hat er eine beeindruckende Vita: Seine Eltern flohen während des Zweiten Weltkriegs aus China nach Südafrika. Dort wuchs Soon-Shiong im rassistischen Apartheidsregime auf und schaffte es allen Widerständen zum Trotz, sich nach oben zu arbeiten. Als erster Chinesischstämmiger wurde er zu einer Famulatur am Johannesburg General Hospital zugelassen, wo er auf der Krebsstation arbeitete. Ein weißer Patient weigerte sich damals ihm gegenüber, sich von einem „Chinamann“ behandeln zu lassen, erinnerte er sich einst an diese Zeit zurück.

Denn die war nach eigenen Angaben ausschlaggebend für seine Entscheidung, ins Mediengeschäft einzusteigen. Die Ungerechtigkeit am eigenen Leib zu erfahren, habe ihm die Bedeutung der Pressefreiheit verdeutlicht. Zeitungen seien für ihn die Stimme der Demokratie, sagte er 2016, als er 13 Prozent des Medienhauses Tronc erwarb, um es vor einer feindlichen Übernahme zu retten. Tronc verlegt neben der LA Times auch die San Diego Tribune und eine Reihe lokaler Zeitungen in Kalifornien. Alle diese Titel hat sich Soon-Shiong nun für 500 Millionen US-Dollar angeeignet.

In deren Redaktionen herrsche nun Erleichterung, berichten andere US-Medien. Denn wie die gesamte Printbranche hat auch die LA Times mit schrumpfender Auflage und schwindenden Anzeigeneinnahmen zu kämpfen – Verluste, Einsparungen und Entlassungen waren die Folge. Ein finanzstarker Gönner wie Soon-Shiong kommt da wie gerufen, um das Überleben des angesehenen Blattes zu sichern. Und der Milliardär beteuert, wie sehr ihm daran gelegen sei: „Wir brauchen Zeitungen. Wir brauchen intellektuelle Integrität.“ Er sei von der Pressefreiheit in Nordamerika begeistert gewesen, als er damals von Südafrika nach Kanada und später Kalifornien übersiedelte. Dort nahm auch seine Karriere als Mediziner und Pharmaunternehmer an Fahrt auf.

1983 wurde er Professor an der renommierten UCLA Medical School und stieg zum Direktor eines Transplantionsprogrammes auf. Er war weltweit der erste Chirurg, der erfolgreich Bauchspeicheldrüsengewebe transplantierte. Reich – sehr reich – wurde er jedoch erst, nachdem er Anfang der neunziger Jahre die UCLA verließ und ins Pharmageschäft wechselte. Er gründete mehrere Unternehmen und verkaufte sie gewinnbringend weiter. Als sein größter Coup gilt der Verkauf von APP Pharmaceuticals nach Deutschland: 4,6 Milliarden Euro bezahlte Fresenius 2008 für den Spezialgenerikahersteller, laut der Nachrichtenagentur Bloomberg landeten rund 3,8 Milliarden davon auf Soon-Shiongs Bankkonto. Doch dem finanziellen Erfolg steht eine sehr durchwachsene wissenschaftliche Bilanz gegenüber. „Jedes Mal, wenn ich höre, wie ein Onkologe seinen Namen in den Mund nimmt, ist das mit einem Augenrollen verbunden“, zitiert das Branchenportal Stat Vinay Prasad, Onkologe an der Oregon Health and Science University. „Sein allgemeiner Ruf ist der eines schamlosen Selbstverkäufers.“

In der wissenschaftlichen Community hat er sich vor allem damit einen Namen gemacht, Geld durch dubiose Geschäftspraktiken zu verdienen und seine Firmen mit zweifelhaften bis wissenschaftlich falschen Aussagen zu bewerben. So behauptete er einst, Diabetes geheilt zu haben, und war in einen der ersten Pharma-Preisskandale in den USA verwickelt. Der Kern seines Imperiums ist der Konzern NantWorks, aus dem mindestens zehn untereinander verbundene Biotech-Unternehmen hervorgegangen sind – keines von ihnen hat bisher ein neues Medikament zu Ende entwickelt und auf den Markt gebracht. Stattdessen hat er ungeheure Summen damit gemacht, Investoren für die Börsengänge seiner Firmen aufzutreiben, die sonst eher nicht in der Gesundheits- und Pharmabranche investieren.

Eine ganze Reihe von Rechtsstreitigkeiten resultierte daraus, unter anderem mit seinem eigenen Bruder und der Popsängerin Cher. Hinzu kommen Kontroversen um Unregelmäßigkeiten bei klinischen Tests und mutmaßliche Korruption. Vor allem vergangenes Jahr hatte er mit Aktionären seiner Unternehmen zu kämpfen, nachdem herauskam, dass die Universität Utah mit einer 12-Millionen-Dollar-Spende von Soon-Shiong Gentests finanziert hat, die von seinem eigenen Unternehmen NantHealth durchgeführt werden. Die Aktien von NantHealth brachen daraufhin ein: Waren sie 2016 noch 14 Dollar wert, fielen sie vergangenes Jahr auf 4 Dollar. Es folgten Verluste und die Entlassung von 300 Mitarbeitern.

Vor allem seine Marketing-Praktiken stehen immer wieder in der Kritik. So warfen ihm Pharma-Experten vergangenen März vor, mit einer Online-Werbung Bundesgesetze gebrochen zu haben. Das Corpus Delicti war ein Video, das NantHealth in sozialen Medien verbreitet hat. In ihm berichtete eine Schauspielerin davon, dass ihr Blutkrebs dank eines medizinischen „Durchbruchs“ geheilt worden sei und dass ihre Ärzte von der neuen Therapie überzeugt seien. Mit diesem „Durchbruch“ ist NK-92 gemeint, eine neue T-Zellen-Therapie, an der NantKwest arbeitet – ein weiteres Unternehmen aus Soon-Shiongs Konglomerat. Dass die Schauspielerin an Blutkrebs erkrankt war, stimmt. Dass sie geheilt wurde, auch. Ebenso, dass sie die Therapie von NantKwest erhielt. Das Problem: NK-92 befindet sich nach wie vor in einem frühen Stadium der Erprobung, bisher wird es nur auf seine Sicherheit getestet, nicht auf seine Effektivität. Die Frau erhielt es parallel zu einer konventionellen Chemotherapie. Dass ihre Ärzte davon überzeugt sind, dass sie dank der neuen Therapie genesen ist, stimmt deshalb nicht. Ganz im Gegenteil: Sie sagten Journalisten, ihre Patientin habe den Krebs aufgrund der konventionellen Therapie besiegen können. Anzeichen, dass NK-92 dazu beigetragen habe, gebe es nicht.

So weit handelt es sich bei dem Video zunächst um ethisch fragwürdiges Marketing. Experten vertreten jedoch die Meinung, dass der Multimilliardär dieses mal eine rote Linie überschritten hat und klar in den Bereich des Justitiablen vorgestoßen ist. Denn die FDA verbietet, dass Sponsoren – oder jede juristische Person, die an Stelle eines Sponsors agiert – Werbeaussagen bezüglich der Wirksamkeit oder Sicherheit eines Medikaments tätigen, bevor diese in klinischen Studien belegt wurden. „Das ist sicherlich nicht, was wir erwarten, wenn wir sagen, dass du etwas nicht vermarkten darfst, bevor es keine FDA-Zulassung hat“, sagt Michael Wilkens, Pharma-Marketing-Experte der University of California, „dass du es mit der linken Hand vermarktest, während du es mit der rechten noch entwickelst.“

Dass Soon-Shiong nun das mittelfristige Überleben der LA Times sichert, mag aus wirtschaftlicher Sicht ein Segen für die Zeitung sein. Der Fall der Washington Post macht zumindest Hoffnung: Seit Amazon-Chef Bezos das renommierte Blatt gehört, geht es auch wirtschaftlich wieder bergauf. Die vielen Kontroversen um Soon-Shiongs Geschäftspraktiken werden allerdings nicht helfen, die weit verbreiteten Sorgen um die Unabhängigkeit der Presse nach der Übernahme durch finanzstarke Investoren zu zerstreuen. Wie die LA Times in Zukunft über ihn berichtet, wird jedenfalls mit Argusaugen beobachtet werden.

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