Apothekenkette

Boots: Todesfälle wegen Personalmangel?

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Berlin -

Personelle Engpässe und massiver Druck auf die Mitarbeiter in Filialen der britischen Apothekenkette Boots könnten zu Todesfällen wegen Fehldosierungen beigetragen haben. Das hat die BBC in einer Dokumentation enthüllt. Mittlerweile habe man zusätzlich in Personal und damit die Sicherheit investiert, kontert der Konzern.

Greg Lawton arbeitete zwischen 2008 und 2015 für Boots. Zuletzt war er Teil eines Personalplanungsteams. Sein Wissen über die tatsächliche Mitarbeiterausstattung in den Filialen habe ihm schlaflose Nächte beschert, sagte Lawton in der BBC-Sendung „Inside Out“. Im Jahr 2012 nahm er auf Anordnung der Konzernzentrale die Filialen mit den höchsten Abgabefehlern unter die Lupe. „Wir sprachen mit den Apothekenangestellten, Filial- und Gebietsleitern, sie sagten, dass Unterbesetzung hier absolut ein Thema war.“

Zwischen Mai 2012 und November 2013 starben drei Senioren, weil das zuständige Personal sich nachweislich nicht an die Sicherheitsrichtlinien der Kette gehalten hatte. So erhielt etwa Arlene Devereaux (71) im November 2012 in ihrer Boots-Filiale Morphintabletten in einer sechsmal höheren Konzentration als vom Arzt verordnet. Douglas Lamond (86) kam ein halbes Jahr zuvor ums Leben, weil er versehentlich Medikamente eines anderen Patienten erhalten hatte.

Eine im März 2017 durchgeführte Untersuchung der Polizei ergab hier, dass die Mitarbeiter seiner sehr stark frequentierten Niederlassung in Felixstowe über starken Druck klagten. Sie hätten ihrem Gebietsleiter mehrmals mitgeteilt, ihnen stünde nicht genug Platz zur Verrichtung ihrer Arbeit zur Verfügung. Boots dagegen entgegnete, entsprechende Aufzeichnungen lägen nicht vor. Die Polizei sagte der BBC, die Kette habe die Herausgabe des internen Untersuchungsberichts verweigert. Boots dagegen betonte, man habe mit den Behörden kooperiert.

Im Jahr 2014 nahm Lawton die Personal- und Budgetplanung genauer unter die Lupe. Er sei besorgt gewesen, dass der durch Unterbesetzung entstehende Druck auf die Apotheker und ihre Mitarbeiter zu gravierenden Fehlern führen könnte und möglicherweise Patienten zu Schaden oder gar zu Tode kommen könnten. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Konzern kontaktierte Lawton das General Pharmaceutical Council (GphC). Er übergab der Aufsicht eine 55-seitige Zeugenaussage mit Dutzenden von Dokumenten.

Das GphC urteilte im Dezember 2016 jedoch, es gebe nicht genug unabhängig erbrachte Beweise, die ein Risiko für die Patientensicherheit belegten. Man habe zwischen November 2013 und August 2017 mehr als 2000 Boots-Filialen inspiziert, so die Behörde zur BBC. 26 von ihnen hätten nicht genug qualifiziertes Personal beschäftigt, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Inzwischen entsprächen aber auch diese Niederlassungen dem nötigen Standard.

Man habe zwischen April 2016 und März 2017 mehr als 220 Millionen Medikamente auf Rezept ausgegeben, erklärte Boots gegenüber der BBC. Es seien nur 901 Vorfälle gemeldet worden, bei denen ein Patient zu Schaden gekommen sei. Das entspreche einer Quote von 0,00041 Prozent. In den Zahlen seien auch Vorfälle enthalten, die nach einer korrekten Ausgabe entstanden seien, etwa wenn ein Patient allergisch auf sein Medikament reagiert habe. Die Fehlerquote sei eine der niedrigsten im gesamten britischen Apothekensektor. Seit 2013 habe kein Todesfall mehr mit einem Abgabefehler in Verbindung gebracht werden können.

Nach Lawsons Weggang sei die Zahl der Apotheker und PTA erhöht worden, um die Sicherheit zu erhöhen. Der Konzern hat nach eigenen Angaben jetzt beinahe 2400 Apotheken und beschäftigt 6697 Apotheker. „Wir werden weiter in mehr Personal investieren“, so Richard Bradley, zuständiger Direktor für die britischen Boots-Apotheken. „Unsere Apotheken sind sehr gut besucht, aber sicher.“

Vom Sender anonym befragte Boots-Apotheker zeichnen ein anderes Bild: „An manchen Tagen arbeitet das Team an der Schmerzgrenze“, sagte einer. „Die Menge an Aufgaben ist physisch nicht zu bewältigen, wenn man keine Überstunden macht oder nicht noch nach Ladenschluss arbeitet.“ Ein anderer Kollege meinte: „Fehler mögen nicht bemerkt werden und das könnte schlussendlich dazu führen, dass jemand stirbt, dass jemand seine Medikamente nicht erhält, dass Menschen Schaden nehmen. Kleine Verwechslungen nur, die eine statt der anderen Tablette.“

Offenbar zermürben nicht nur sie die Arbeitsbedingungen: Nach einer jetzt veröffentlichten Umfrage der Pharmacists’ Defence Association (PDA) haben 7 Prozent der in der Gewerkschaft organisierten Boots-Apotheker ihre Filiale während der Öffnungszeiten auch einfach mal dicht gelassen. 47 Prozent der 436 Befragten gaben dafür Unterbesetzung oder mangelnde Kompetenz der diensthabenden Mitarbeiter an, 30 Prozent Arbeitsüberlastung.

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